Unternehmens-Kriminalität Wirtschaft empört über neues Gesetz

Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, äußert sich in ihrem Ministerium zum Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft. Die Bundesregierung setzt das im Koalitionsvertrag vereinbarte neue Sanktionsrecht für Unternehmen um. Quelle: dpa

Die Bundesregierung verabschiedet klammheimlich ein Gesetz, mit dem Unternehmen hohe Bußgelder drohen. Unionsmittelständler fordern nun ein „Belastungsmoratorium“.

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Plötzlich ging alles ganz schnell. An diesem Dienstag verabschiedete die Bundesregierung den Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Und zwar auf ungewöhnlichem Wege. Statt in der regulären Kabinettssitzung, die üblicherweise am Mittwoch stattfindet, winkten die Minister das Gesetz schriftlich im Umlaufverfahren durch. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat damit einen Etappensieg für ihr Projekt errungen, die Verschärfung der Strafen bei Wirtschaftsvergehen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte offenkundig seinen Widerstand und damit die fast einjährige Blockade gegen das Projekt aufgegeben. Umso empörter reagieren Wirtschaftsvertreter und Teile der Union.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach sagte der WirtschaftsWoche: „Dieses Gesetz braucht kein Mensch.“ Es gebe bereits wirksame Strafen gegen Unternehmenskriminalität. Nun aber würden Millionen Unternehmen gezwungen, umständlich Compliance-Systeme aufzubauen. Der Parlamentskreis Mittelstand (PKM) in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert laut Michelbach nun ein „Belastungsmoratorium für die Wirtschaft“. Es könne doch nicht sein, dass die Regierung zwar mit Milliarden Euro den Unternehmen unter die Arme greife, sie aber auf der anderen Seite mit immer mehr Bürokratie und anderen Belastungen unter Druck setze.

Der Wirtschaftsrat der CDU kritisiert, die geplante Schaffung eines Unternehmensstrafrechts gängele die gesamte Privatwirtschaft mit neuen bürokratischen Auflagen wegen der Vergehen Einzelner. „Wenn das die Mittelstandsstrategie der Bundesregierung ist, sollten wir uns ernsthafte Sorgen um den Standort Deutschland machen. In einer Zeit, in der die Wirtschaft massiv mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen hat, ist das das denkbar schlechteste Signal, das die Politik senden kann“, warnt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. Außerdem messe die Bundesregierung hier mit zweierlei Maß. „Während die Privatwirtschaft unter das Gesetz fällt, soll das so genannte Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft nicht für Unternehmen der öffentlichen Hand gelten. Was ist das für ein Weltbild?“ Steiger weiter: „Dieses Vorhaben erinnert eher an die DDR als an die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik.“ Starker Tobak, der die Empörung in Wirtschaftskreisen widerspiegelt.

Dagegen sieht Bundesjustizministerin Lambrecht ihren Gesetzentwurf naturgemäß völlig anders. „Wir sorgen mit dem Gesetz dafür, dass die ehrlichen Unternehmen nicht die Dummen sind. Das dient dem Schutz vieler Arbeitsplätze, die durch Skandale gefährdet werden, dem Verbraucherschutz und dem fairen Wettbewerb“, so die Ministerin. Die Verantwortung dürfe nicht länger nur auf einzelne Mitarbeiter geschoben werden, wenn Unternehmen kriminell handeln. Künftig müssen deshalb laut Gesetzentwurf Staatsanwaltschaften nicht nur gegen verantwortliche Manager und Beschäftigte, sondern stets auch gegen das Unternehmen ermitteln. Für Unternehmen soll es empfindliche, an den Umsatz gekoppelte Sanktionen geben. Im übrigen werde damit der Koalitionsvertrag eins zu eins umgesetzt.

Nach der Verabschiedung im Kabinett müssen sich nun Bundestag und Bundesrat mit dem umstrittenen Gesetz befassen. Das dürfte nach der parlamentarischen Sommerpause geschehen und für einen munteren Herbst im Bundestag sorgen. Denn in der Unionsfraktion gärt es, viele fühlen sich von ihrem Wirtschaftsminister Altmaier verraten, weil er seinen Widerstand aufgegeben hat. Nach einer Verabschiedung sollen die Betroffenen zwei Jahre Zeit bekommen, die neuen Vorgaben umzusetzen. Bei Unternehmen geht es insbesondere um die Schaffung interner Kontroll- und Betrugsbekämpfungssysteme. Betroffen sind auch die Staatsanwaltschaften, die personell massiv aufrüsten müssen. Denn künftig, wenn das Gesetz so wirksam wird, liegt es nicht mehr im Ermessen der Staatsanwaltschaften, ob sie einen Fall aufgreifen; dann müssen sie nach dem sogenannten Legalitätsprinzip allen Verdachtsfällen nachgehen. Schließlich sollen Wirtschaftsstrafverfahren am Landgericht stattfinden, wo sich bisher Amtsgerichte darum kümmern.

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