Bilanz zum Wirecard-Ausschuss Wahlkampfgetöse oder echte Empörung?

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Quelle: AP

Teils bis in die Morgenstunden hat der Wirecard-Ausschuss getagt. Die Abgeordneten förderten manches zutage. Doch manches hat sich in acht Monaten Arbeit gar nicht geändert.

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Ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl ziehen die Abgeordneten im Wirecard-Untersuchungsausschuss Bilanz - oder vielmehr: mehrere Bilanzen. CDU, CSU und SPD tragen den Abschlussbericht mit, daneben gibt es ein gemeinsames Sondervotum der Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne und ein eigenes der AfD.

Gemeinsam ist allen die Entrüstung über die mutmaßlichen Betrügereien des Zahlungsdienstleisters in Milliardenhöhe und die peinliche Frage, wie das das Unternehmen damit jahrelang durchkam. Der Obmann der Linksfraktion im Ausschuss, Fabio De Masi zeigte sich entgeistert über „diese Milliardenlüge, diese Illusionsfabrik Wirecard“.

Wie schon zum Auftakt im Oktober lädt die Union einen wesentlichen Teil der Verantwortung beim Finanzministerium von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ab, bei dem die Finanzaufsicht Bafin angesiedelt ist. Die SPD wiederum verweist auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die Wirecard jahrelang tadellose Bilanzen bescheinigten - für die Aufsichtsbehörde Apas ist das CDU-geführte Wirtschaftsministerium zuständig.

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht von einem „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ aus - und zwar seit dem Jahr 2015. Der Bilanzskandal hatte für hohe Schäden bei Anlegern gesorgt, weil die Aktie abgestürzt war. Der Untersuchungsausschuss sollte untersuchen, ob staatliche Aufsichtsbehörden und die Bundesregierung zu wenig unternommen haben, um Verdachtsfällen bei Wirecard früher und entschiedener nachzugehen.

Dass das Parteibuch bei ihren Schlussfolgerungen aus dem Wirecard-Skandal eine Rolle gespielt haben könnte, wiesen Union und SPD weit von sich. „Es muss auch möglich sein, politische Verantwortung zu benennen, ohne dass einem direkt Wahlkampfgetöse unterstellt wird“, sagte der Unionsobmann im Ausschuss, Matthias Hauer (CDU). „Die politische Verantwortung trägt Olaf Scholz und das Bundesfinanzministerium.“

Das hatte SPD-Ausschussmitglied Cansel Kiziltepe wohl gehört, die in einer späteren Pressekonferenz zu den Vorwürfen sagte: „Ich halte das für Wahlkampfgetöse der Union. Olaf Scholz trägt keine politische Verantwortung für den Wirecard-Skandal.“ Der Fokus ihrer Parteikollegen auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die insbesondere vom Unternehmen EY kamen, sei „kein politsches Kalkül“ gewesen, sondern entspringe der Überzeugung, dass hier der Kern des Skandals liege.

„Den Bilanzbetrug hätte EY feststellen können und müssen“, unterstrich Kiziltepe. Dass die Prüfer die Bilanzen von Wirecard jahrelang absegneten habe das Vertrauen in das Unternehmen bestärkt. Nicht nur die Grünen-Obfrau Lisa Paus vermisste bei den Prüfern von EY „die kritische Grundhaltung“. Noch am Dienstag scheiterte ein Ex-Prüfer scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit dem Versuch, die Veröffentlichung von Passagen zu verhindern, in denen sein Handeln kritisch betrachtet wurde.

Einigkeit über Parteigrenzen hinweg gab es beim so genannten Leerverkaufsverbot, das die Bafin im Februar 2019 ausgesprochen hatte. Damit verbot sie Spekulationen auf fallende Wirecard-Kurse. Der Bafin wird deshalb vorgeworfen, bei Aktionären den falschen Eindruck erweckt zu haben, bei Wirecard sei alles in Ordnung gewesen, obwohl es bereits Berichte über Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. „Das Leerverkaufsverbot war ein Fehler“, räumte der SPD-Obmann im Ausschuss, Jens Zimmermann ein - zumindest rückblickend sei das klar.

Der FDP-Obmann im Ausschuss, Florian Toncar, resümierte: „Es ist, glaube ich, ein großes Ärgernis für viele Bürger, dass am Ende bei solchen Skandalen es niemanden gibt, der sich auch hinstellt und eigene Fehler einräumt.“ Der Ausschutzvorsitzende Kay Gottschalk von der AfD forderte Scholz' Rücktritt und beklagte „die Pattex-Haftkraft“ mancher Politiker, die an ihrem Stuhl klebten.

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Konsequenzen hatte die Affäre. So bekommt die Bafin zusätzliche Befugnisse, und Vorschriften für Abschlussprüfer werden verschärft. Nun werden die Zuständigkeiten für die Bilanzkontrolle bei der Bafin gebündelt. Mitarbeiter der Bafin dürfen selbst nicht mehr mit bestimmten Finanzprodukten handeln. Das bisherige zweistufige Verfahren mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung wird vereinfacht. Zudem müssen Abschlussprüfer spätestens nach fünf Jahren wechseln, damit sie nicht betriebsblind werden. Sie werden auch stärker in Haftung genommen.

Mehr zum Thema: Als Wirtschaftsberater der Kanzlerin entscheidet Lars-Hendrik Röller über den Zugang von Firmen zu Angela Merkel – ein heikler Job, wie der Fall Wirecard zeigt. Doch der Wunsch der Unternehmen nach politischer Hilfe ist ungebrochen.

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