Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Diesel-Fahrverbote drohen – das sollten Städte, Dieselfahrer und Hersteller jetzt wissen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hält Diesel-Fahrverbote für grundsätzlich zulässig. Das Wichtigste im Überblick.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat geurteilt. Diesel-Fahrverbote sind rechtlich zulässig. Quelle: dpa

Berlin/Leipzig Vor drei Jahren waren Stickoxide noch etwas für Experten. Aber seit im Abgas-Skandal herauskam, dass viele Diesel mehr davon ausstoßen, als sie sollten, beschäftigt das gesundheitsschädliche Gas Autofahrer, Autobauer, Gerichte und Politiker.

Mit dem Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts, dass Diesel-Fahrverbote als letzter Ausweg möglich sind, könnten bald die ersten neuen Verbotsschilder in den Städten auftauchen. Vor allem die Bundesregierung und die Autoindustrie sind nun gefordert.

Was hat Leipzig geurteilt?
Das Bundesverwaltungsgericht hält Diesel-Fahrverbote für bessere Luft in Städten nach geltendem Recht für grundsätzlich zulässig - auch ohne eine bundeseinheitliche Regelung wie eine „blaue Plakette“. In den jeweiligen Luftreinhalteplänen muss jedoch die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme geprüft werden - sprich: mit Übergangsfristen etwa sollen mögliche Nachteile für Dieselfahrer abgemildert werden.

Außerdem sollen Ausnahmeregelungen geprüft werden, damit zum Beispiel Handwerker noch Kunden beliefern können.

Die Bundesrichter urteilten, zwar lasse das Bundesrecht „zonen- wie streckenbezogene“ Fahrverbote speziell für Diesel eigentlich nicht zu. Das EU-Recht verpflichte aber dazu, dass Grenzwerte schnellstmöglich eingehalten werden. Deswegen seien Fahrverbote zulässig, wenn sie sich als die „einzig geeignete Maßnahme“ erweisen, um die Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten.

Experten des Umweltbundesamts haben viele Studien zur Gefahr von Stickoxiden ausgewertet. Trotz einer nach eigenen Angaben sehr vorsichtigen Rechnung kam heraus: Mindestens 6000 Menschen im Jahr sterben in Deutschland vorzeitig alleine an Herz-Kreislauf-Krankheiten, die von Stickoxid ausgelöst werden.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch Schlaganfälle, Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD sowie Diabetes durch Stickoxide ausgelöst oder verschlimmert werden können. Die EU, die anders rechnet, geht von 10.400 vorzeitigen Todesfällen aus.

Was bedeutet das für die beklagten Städte Düsseldorf und Stuttgart?
Bei dem Verfahren in Leipzig ging es konkret um Luftreinhaltepläne in Düsseldorf und Stuttgart. Diese müssen nun so geändert werden, dass die Grenzwerte schnellstmöglich eingehalten werden. In Stuttgart muss eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten geprüft werden.

In einer ersten Stufe sind nur ältere Fahrzeuge betroffen - etwa bis zur Abgasnorm Euro 4. Um die Verhältnismäßigkeit herzustellen, dürfen aber jüngere Euro-5-Fahrzeuge nicht vor dem 1. September 2019 mit Verkehrsverboten belegt werden. Zu Düsseldorf urteilte das Gericht, die Behörden hätten Fahrverbote ernsthaft in den Blick zu nehmen.

Zugleich gab das Gericht noch einen Ausweg vor: Die betroffenen Kommunen müssten darstellen, wie sich die Überschreitung der Grenzwerte entwickelt hat. Sollte sich die Luft verbessert haben, könnten Fahrverboten vermieden werden.

Was bedeutet das Urteil für Dieselfahrer?
Die Unsicherheit dürfte steigen. Zwar schränkten die Bundesrichter ein: Verkehrsverbote würden nur für einen Bruchteil des Streckennetzes in Deutschland in Betracht kommen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass zeitlich versetzt eingeführte Verkehrsverbote zu einem Zusammenbruch des Gebrauchtwagenmarktes führten.

Das Urteil sagt aber zugleich: Es gibt es keine finanzielle Ausgleichspflicht für Dieselautos, die im Falle von Fahrverboten an Wert verlieren könnten. „Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen“, betonte der Senatsvorsitzende Andreas Korbmacher.

Doch das Urteil betrifft nicht alle Diesel. Klar ist, dass Benziner mit Stickoxiden keine Probleme haben. Eng könnte es zunächst für ältere Diesel werden, die zum Beispiel den EU- Abgasnormen Euro 3 und 4 entsprechen. Stuttgart darf Euro-5-Diesel frühestens ab September 2019 aussperren, wenn sie mindestens vier Jahre alt sind. Noch dazu muss es Ausnahmen geben, etwa für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen, wie die Richter entschieden.

Welche Folgen hat das Urteil für andere Städte?
Auch wenn das Bundesgericht konkret nur über die beiden Fälle in NRW und Baden-Württemberg geurteilt hat – die Entscheidung hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Für jede Stadt, in der Grenzwerte überschritten werden, ist es nun generell möglich, Fahrverbote für ältere Diesel als Option in den jeweiligen Luftreinhalteplan aufzunehmen.

Die entscheidende Frage ist: können Fahrverbote mit anderen Maßnahmen verhindert werden? Es gibt keinen Automatismus. Falls es dazu kommt, könnten Fahrverbote zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein. In rund 70 deutschen Städten werden die Grenzwerte für Stickoxide, die als gesundheitsschädlich gelten, nicht eingehalten. Diesel gelten als ein Hauptverursacher.

In den ersten Städten wird es schon konkret - Hamburg etwa will ältere Diesel aus zwei Straßen aussperren. In den meisten Städten ist aber noch offen, ob überhaupt - und erst recht, wo - Fahrverbote kommen sollen. Umweltschützer befürchten, dass vor allem um die Messstellen herum die Luft sauberer werden soll - dann hätte Deutschland vielleicht kein Problem mehr mit der EU, den Stadtbewohnern wäre aber nicht geholfen.

Andererseits sind die Messstellen nicht willkürlich verteilt, sondern nach festen, ziemlich komplizierten Regeln, damit sie repräsentative Ergebnisse liefern.

Messstellen in München, Stuttgart und Köln wiesen die schlechtesten Werte 2017 aus. Zu den 37 Städten, deren Grenzwert-Überschreitung für das vergangene Jahr schon jetzt sicher ist, gehören aber auch kleinere, etwa Reutlingen, Heilbronn, Darmstadt, Limburg an der Lahn oder Tübingen. Die Werte hat das Umweltbundesamt veröffentlicht.

Was bedeutet das Urteil für die Autohersteller?
Für die Dieseltechnologie ist der Dienstag ein „schwarzer Tag“ - und damit für die deutsche Autoindustrie, die lange auf den Diesel gesetzt hat. Deren Image ist wegen des Abgasskandals ohnehin ramponiert, die Diesel-Neuzulassungen sind seit Monaten auf Talfahrt.

Ins Zentrum rücken dürfte nun die Frage: wie können Dieselautos technisch am wirksamsten nachgerüstet werden? Reichen Software-Updates aus, oder sind aufwendigere Umbauten direkt am Motor notwendig? Aber wer zahlt diese möglichen Hardware-Nachrüstungen am Ende, die pro Fahrzeug Schätzungen zufolge zwischen 1500 und 2000 Euro kosten - der Steuerzahler, die Hersteller oder beide?

Die neueste Diesel-Generation ist sauberer, die Städte tun schon einiges für ihre Luft, Software-Updates verbessern die Abgasreinigung von Millionen Autos, und der Diesel-Anteil bei Neuwagen-Käufen ist deutlich zurückgegangen. All das zeigt Wirkung. An vielen Messstationen sind die Stickoxid-Werte 2017 deutlich niedriger ausgefallen als 2016, wie das Umweltbundesamt auflistet.

Nur: Es reicht eben noch nicht. Schätzungen zufolge dürften 70 Kommunen weiterhin zu hohe Werte haben, noch liegen nicht alle Daten vor.

Bisher lassen die Autobauer nur neue Software aufspielen, um die Abgasreinigung zu verbessern - neue Bauteile lehnen sie als ineffizient ab. Spannend ist, was in einem Gutachten für eine Expertengruppe unter Leitung des Verkehrsministeriums dazu steht. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD Hardware-Nachrüstungen an zwei Bedingungen gekoppelt: Sie müssten „technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar“ sein. Ersteres dürfte klar zu beantworten sein - das zweite ist wohl eher eine Ermessensfrage.

Wie reagiert die Bundesregierung?
Die geschäftsführende Bundesregierung betonte: Fahrverbote sollen vermieden werden. Das Milliardenprogramm „Saubere Luft“ für Kommunen beginne zu wirken. Dabei geht es etwa um eine bessere Taktung des ÖPNV oder die Umrüstung von Bussen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet nur mit begrenzten Folgen des Urteils. Viele betroffene Städte hätten nicht so große Überschreitungen der Grenzwerte.

Nach dem Urteil dürfte aber nicht nur eine breite politische Debatte über technische Nachrüstungen einsetzen - sondern auch über die Einführung einer „blauen Plakette“. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, das Kommunen schon jetzt Fahrverbote eigenmächtig erlassen dürfen. Aber nicht auf Basis des deutschen Gesetzes - sondern auf Basis des EU-Rechts, wenn die Stadtluft anders nicht schnell sauber zu kriegen ist.

Kommunen und Umweltschützer dagegen wollen trotzdem eine „blaue Plakette“ als bundesweite Kennzeichnung relativ sauberer Autos. Das lehnt die Bundesregierung bisher allerdings ab.

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