Urteil zu heimlichen Videoaufnahmen Enge Grenzen für Mitarbeiter-Überwachung

Nachdem sich eine Sekretärin mehrfach krankmeldete, ließ sie ihr Chef observieren. Doch der bloße Verdacht aufs Blaumachen reicht nicht aus, um Mitarbeiter überwachen zu dürfen, urteilte jetzt das Bundesarbeitsgericht.

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Paragraph wird gezerrt Quelle: Fotolia

Schwere Bronchitis, Rippenfellentzündung und später ein Bandscheibenvorfall – der Chef eines Metallbetriebs aus Münster will nicht so recht glauben, unter welchen Beschwerden seine Sekretärin leiden soll. Zwar legt die Mitarbeiterin stets Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Doch ihr Chef wird skeptisch. Schließlich gab es da zuletzt eine kleine Meinungsverschiedenheit um Produktunterlagen. Und Blaumachen ist ja mittlerweile so etwas wie Volkssport. 

Der Arbeitgeber beauftragt einen Detektiv, um die Sache zu klären. Dieser filmt die Frau über mehrere Tage hinweg im Februar 2012. Etwa bei einem Besuch im Waschsalon, wie sie einen Hund begrüßt oder an einem Fußweg steht. Doch sind solche Observierungen überhaupt rechtmäßig? Nein, urteilte am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (AZ.: 8 AZR 1007/13).

Wieweit dürfen Arbeitgeber bei der Überwachung ihrer Mitarbeiter gehen

Die heimlich erstellten Videoaufnahmen durch einen Detektiv seien unzulässig. Voraussetzung für die Überwachung von Mitarbeitern ist immer ein konkreter Verdacht einer schweren Rechtsverletzung. Erst wenn Tatsachen vorliegen, die dokumentieren oder zumindest den Verdacht nähren, dass Mitarbeiter eine Straftat begangen haben, kann das heimliche Filmen von Mitarbeitern erlaubt sein. „Das reine Bauchgefühl eines Arbeitgebers reicht jedoch nicht aus“, sagt Katrin Scheicht, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der internationalen Kanzlei Norton Rose Fulbright LLP.

Der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts begründete seine Entscheidung damit, dass Videoaufzeichnungen und die Überwachung durch Detektive einen gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen darstellen. Der Chef des Metallbetriebs aus Münster hat demnach rechtswidrig gehandelt. Denn vor dem Auftrag an den Detektiv habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass seine Mitarbeiterin ihre Krankheit nur vortäusche.

„Der Einsatz von Videoüberwachung darf nur dann erfolgen, wenn er verhältnismäßig ist“, sagt Arbeitsrechtlerin Scheicht. Erst wenn es kein milderes Mittel gibt, um eine Straftat nachzuweisen, sei das Filmen von Mitarbeitern unter Umständen erlaubt. Im Fall der Sekretärin aus Münster wäre als milderes Mittel die Überwachung durch den Detektiv wohl prinzipiell zulässig gewesen – die Aufzeichnung von Foto- und Videomaterial aber nicht. „Im Grunde darf die Videoüberwachung nur das letzte Mittel sein“, erklärt Scheicht.

Arbeitsrecht für Vorstände

Das heißt aber nicht, dass Videoüberwachung generell verboten ist. Bei dem Delikt „krank zu feiern“ wäre ein konkreter Anhaltspunkt für einen Verdacht, der das heimliche Filmen von Mittarbeitern erlaubt, etwa das sogenannte Ärztehopping, sagt Arbeitsrechtsexpertin Scheicht. Denn wenn sich ein Mitarbeiter ständig von einem anderen Arzt krankschreiben lässt, kann das ein starkes Indiz dafür sein, dass die Erkrankung nur vorgetäuscht wird.

Filmen und überwachen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter unrechtmäßig, dann drohen zweierlei Sanktionen. Einerseits kann der Mitarbeiter Schmerzensgeld beantragen. Andererseits dürfen die Videoaufnahmen nicht als Beweis vor Gericht herangezogen werden, etwa bei einem Disput über eine Kündigung.  „Es gilt das sogenannte Beweisverwertungsverbot“, erklärt Fachanwältin Scheicht.

Beide Sanktionen sind beim Fall der Sekretärin des Metallbetriebs aus Münster zur Anwendung gekommen. So wurden die Aufnahmen des Detektivs von den Gerichten nicht anerkannt. Die Kündigung der Mitarbeiterin wurde schon von den Vorinstanzen für unwirksam erklärt, weil die Arbeitnehmerin ärztliche Atteste vorlegen konnte, aus denen sich etwa ihr Bandscheibenvorfall zweifelsfrei ergab.

Die Klägerin scheiterte jedoch mit ihrer vollständigen Forderung nach einem Schmerzensgeld in der Höhe von 10 500 Euro. Das Bundesarbeitsgericht hat ihr nur 1000 Euro zugesprochen. Gemessen an Urteilen zu Videoüberwachung aus der Vergangenheit fällt diese Entschädigungssumme aber noch relativ hoch aus.

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