"Meine Sorgen sind keineswegs zerstreut", sagt der Hamburger Lack- und Kosmetikfabrikant Reinhold von Eben-Worleé. Müssen seine Töchter beim nächsten Stabwechsel im 164 Jahre alten Familienbetrieb Zigmillionen Euro an den Fiskus blechen? Womöglich Anteile an fremde Investoren abgeben, um die Steuerschuld zu begleichen?
Für von Eben-Worleé und Tausende andere Unternehmer hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer „für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt“. Genau den gleichen Effekt gibt’s auch im politischen Berlin. Seit Wochen rotieren die zuständigen Beamten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und machen sich Gedanken, wie sie die vom höchsten Gericht bemängelten Verschonungsregeln für Unternehmensübertragungen verfassungsfest machen können.
Eine „minimal-invasive“ Lösung, die Schäubles Abteilungsleiter Michael Sell bei einer Veranstaltung der Stiftung Familienunternehmen Anfang Januar ins Spiel gebracht hat, wird es wohl nicht geben. In diesen Versuchsballon pikste sogleich Verfassungsrichter Michael Eichberger.
Klar scheint, dass es bei großen Unternehmensübertragungen eine Bedürfnisprüfung geben wird. Wie bei der Beantragung von Hartz IV oder Bafög. Der Fiskus soll ermitteln, ob der Empfänger die fällige Erbschaft- oder Schenkungsteuer aus seinem sonstigen Vermögen bezahlen kann, also ohne die Firma anzugreifen. Was aber zählt dazu? Auch die Villa, die womöglich auf den Namen des Ehepartners eingetragen ist?
Wie Betriebsnachfolger ihren Steuervorteil selbst berechnen können
Das Betriebsvermögen entspricht dem letzten Jahresgewinn x 14.
Der Faktor 14 ist der sogenannte Kapitalisierungsfaktor, der für jedes Steuerjahr vom Bundesfinanzministerium bestimmt wird.
Das steuerpflichtige Vermögen entspricht dem Betriebsvermögen, abzüglich der 85 % Verschonungsbetrag. Künftig soll es ab einem Betriebsvermögen von 20 Millionen Euro eine sogenannte Bedürfnisprüfung geben. Wird dabei festgestellt, dass das Unternehmen durch Steuerschuld auf die Übertragung (Erbe oder Schenkung) gefährdet wäre, soll die Steuerzahlung auch gestundet werden.
Die Steuerschuld ergibt sich aus dem steuerpflichtigen Vermögen minus 150.000 Euro Abzugsbetrag. Der Abzugsbetrag von 150.000 Euro ist degressiv. Bleiben nach Abzug der 85 Prozent höchstens 150.000 Euro übrig, greift er voll. Bei höherem Rest, von diesem 150.000 Euro abziehen, durch zwei teilen, diesen Betrag von 150.000 Euro abziehen und das Ergebnis als Abzugsbetrag nehmen.
Von der in Schritt drei ermittelten Steuerschuld muss nur noch der persönliche Freibetrag abgezogen werden. Das Ergebnis ist endgültig zu versteuern. Der persönliche Freibetrag beträgt zum Beispiel für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner 500.000 Euro, für Kinder 400.000 Euro Die Steuersätze liegen in ihrer Steuerklasse bei sieben Prozent (bis 75.000 Euro), elf Prozent bis 300.000 Euro, 15 Prozent bis 600.000 Euro und 19 Prozent bis sechs Millionen Euro.
Ist die Bedürftigkeit festgestellt – was gestandene Unternehmer wie von Eben-Worleé schon semantisch als ehrenrührig empfinden dürften –, stellt sich die Frage nach dem nächsten Schritt. Eine Verschonung ist bei großen Vermögensübertragungen nicht selbstverständlich. „Man muss auch über Stundungen nachdenken“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Thomas Gambke. Die Grünen haben bei der Reform über den Bundesrat ein Mitspracherecht.
Mehr Sympathie als für die großen Quandts und Haniels haben die Grünen für die kleinen Bäcker und Schreiner. Dass nach dem Karlsruher Urteil auch Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten ihr Personal über fünf oder sieben Jahre stabil halten sollen, um von der Erbschaftsteuer verschont zu werden, findet Gambke kritisch. Er sieht deren Flexibilität gefährdet.
Größe muss nach dem Karlsruher Urteil neu definiert werden – vor allem für die Großen. Sollen Schäubles Beamte für sie die Grenze bei 100 Millionen Euro Umsatz oder Übertragungswert ziehen? Auf den Tisch müssen auch Vorschläge zur künftigen Höchstgrenze für das erlaubte Verwaltungsvermögen aus Forderungen, Barem und bestimmten Immobilien. Darf der Fiskus künftig nur die Erben von Unternehmen verschonen, wenn der Anteil des Verwaltungsmögens maximal 15 statt 50 Prozent des Betriebsvermögen beträgt?
Entschieden ist im Bundesfinanzministerium noch nichts. Das kann bei dieser brisanten Materie nur einer: Schäuble selbst. Er muss aus dem Reformmenü auswählen, das ihm seine Beamten zusammenstellen. Schmecken muss es aber anderen. Vor allem den Ländern, denen die Steuer zugute-kommt. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) etwa möchte „wieder dem Anspruch gerecht werden, reiche Erben angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens zu beteiligen“. Schwierig wird’s allemal, zumal Unions-Politiker wie der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach am liebsten gar nichts ändern wollen.