US-Konjunktur „Die Gefahr einer harten Landung für die Finanzmärkte steigt“

Quelle: Getty Images

Der US-Ökonom Nouriel Roubini alias „Dr. Doom“ warnt in einem Gastbeitrag für die WirtschaftsWoche vor einer gefährlichen neuen Spekulationsblase in Amerika – angefacht auch durch kleine Daytrader und den „Shitcoin“.

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Nouriel Roubini ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Stern School of Business der New York University sowie CEO von Roubini Macro Associates.

Die USA sind auf dem Weg in eine K-Konjunktur. Das bedeutet: Wer einen stabilen Vollzeitjob hat, zusätzliche Arbeitgeberleistungen erhält und über ein Finanzpolster verfügt, dem geht es gut, da die Aktienmärkte immer neue Höhen erklimmen. Wer arbeitslos ist oder einen schlechtbezahlten Teilzeitjob als Arbeiter oder im Dienstleistungsgewerbe hat, kämpft in der Regel mit Schulden, niedrigem Vermögen – und sieht sich schwindenden wirtschaftlichen Aussichten gegenüber.

Dieser Trend lässt eine wachsende Abkopplung zwischen Märkten und Realwirtschaft erkennen. Der Aktienboom bringt den meisten Menschen gar nichts. Die unteren 50 Prozent der Vermögensbesitzer halten gerade mal 0,7 Prozent des gesamten Aktienbestands, während die obersten zehn Prozent zusammen 87,2 Prozent halten (und das oberste eine Prozent satte 51,8 Prozent). Die 50 reichsten Amerikaner haben genauso viel Vermögen wie die ärmsten 165 Millionen.

Die steigende Ungleichheit folgte auf den Aufstieg der großen Technologieunternehmen (Big Tech). Für jeden Arbeitsplatz, den Amazon schafft, gehen drei Arbeitsplätze im Einzelhandel verloren, eine ähnliche Dynamik gibt es auch in anderen von den Technologieriesen dominierten Sektoren. Doch sind die heutigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belastungen nichts Neues. Aufgrund der Stagnation der realen Medianeinkommen sowie steigenden Lebenshaltungskosten sind finanzschwache Arbeitnehmer schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage, finanziell mitzuhalten.

Als „Lösung“ für dieses Problem galt jahrzehntelang die „Demokratisierung“ der Finanzwelt, die es armen und finanziell angeschlagenen Haushalten ermöglichen sollte, höhere Kredite aufzunehmen, um sich Häuser zu kaufen, die sie sich nicht leisten konnten, und diese Häuser dann als Geldautomaten zu nutzen. Diese Ausweitung der Verbraucherkredite – Hypothekendarlehen und andere Schulden – führte zu einer Blase, die mit der Finanzkrise von 2008 endete. Damals verloren Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze, ihr Zuhause und ihre Ersparnisse.

Heute werden dieselben Millennials, die vor mehr als einem Jahrzehnt über den Tisch gezogen wurden, erneut abgezockt. Arbeitnehmern, die auf Projekt-, Teilzeit- oder freiberufliche Arbeit angewiesen sind, wird derzeit ein neuer Strick angeboten, mit dem sie sich im Namen der „Finanzdemokratisierung“ aufhängen können. Millionen Menschen haben Konten bei Robinhood und anderen Anlage-Apps eröffnet, wo sie ihre knappen Ersparnisse und Einkommen mehrfach gehebelt einsetzen können, um mit wertlosen Aktien zu spekulieren.

Das jüngste GameStop-Narrativ, laut welchem eine geeinte Front heroischer kleiner Daytrader unmoralische, Leerverkäufe tätigende Hedgefonds bekämpft, verbirgt die hässliche Wahrheit, dass hier einmal mehr eine Kohorte schlecht ausgebildeter und verschuldeter Menschen ausgenutzt wird. Viele wurden überzeugt, dass finanzieller Erfolg nicht auf menschenwürdigen Arbeitsplätzen, harter Arbeit und geduldigem Sparen und Investieren beruht, sondern auf unsoliden Anlagesystemen, die mit schnellem Reichtum locken – sowie Spekulationen mit per se wertlosen Anlagen wie Kryptowährungen (oder „Shitcoins“, wie ich sie nenne).

Lassen wir uns nicht täuschen: Das Narrativ, bei dem eine Armee von Millennial-Daviden einen Wall-Street-Goliath zu Fall bringt, ist lediglich als weiterer raffinierter Trick, um ahnungslose Amateuranleger abzuzocken. Wie 2008 wird das unausweichliche Ergebnis eine weitere Vermögensblase sein. Der Unterschied ist, dass diesmal populistische Kongressabgeordnete über Finanzmittler herziehen, weil diese es schutzbedürftigen Gruppen nicht gestatten, sich noch weiter zu verschulden.

Was die Lage noch verschlimmert: Die Märkte fangen inzwischen an, sich Sorgen über das massive Experiment der Monetisierung der Haushaltsdefizite zu machen, das die Notenbank und das US-Finanzministerium derzeit mittels quantitativer Lockerung durchführen. Ein wachsender Chor von Kritikern warnt, dass dieser Ansatz zur Überhitzung der Volkswirtschaft führen und die Fed zwingen könnte, schneller als erwartet die Zinsen anzuheben. Die nominalen und realen Anleiherenditen steigen bereits, und dies hat riskante Anlagewerte wie Aktien erschüttert. Aufgrund dieser Sorgen über ein von der Fed ausgehendes „Taper Tantrum“ macht eine Erholung, die gut für die Märkte sein sollte, inzwischen einer Marktkorrektur Platz.

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