Drei Musiktitel, gespielt vom Bundeswehr-Orchester vor dem Bendlerblock, dem Sitz des Verteidigungsministeriums in Berlin. Dieser Abschied am Donnerstag fällt etwas anders aus, als ihn das Notenarchiv der Bundeswehr normalerweise hergibt. Und wohl auch anders als die meisten Deutschen ihre Langzeitkanzlerin bisher eingeschätzt haben.
Ein Choral, ein Chanson und ein als Blasmusik getarntes Punkstück: Die drei Lieder, die sich Angela Merkel, die Pfarrerstochter aus der Uckermark, als Musik für die feierliche Verabschiedung ins demnächst beginnende Privatleben gewünscht hat, zeigen einiges. Über ihr Amtsverständnis, über die strikte Trennung von Privatem und Öffentlichem, die sie pflegt, und über ihren Hang zum ironischen bis widerborstigen Humor, den sie jenseits großer öffentlicher Auftritte pflegt.
Die diszipliniert Demütige in Merkel hat sich wohl zu Beginn den Choral gewünscht: Großer Gott, wir loben dich. Schon ziemlich alt und ein echter Gottesdienstklassiker, 1771 von Ignaz Franz verfasst. Danke sagen also. Das Stück wird gerne auch ökumenisch gesungen und ist dabei der Kanzlerin ähnlich, die ja immer mal untypisch zu verbinden wusste. Als Ostdeutsche, die das ganze Deutschland und ihre auch eher westdeutsch geprägte Partei, die CDU, zu regieren wusste. Und dabei von Konservativen immer mal als Sozialdemokratin im Kreise der Christdemokraten kritisiert wurde. Das Kirchenlied wird oft zu freudigen Anlässen, zum Dank und zum Jahresschluss gespielt. Passt also.
Die Selbstbewusste, die auch unterschätzt wurde, hat sich wohl den zweiten Titel gewünscht. Der Titel war wie der dritte auch schon nicht mehr im Notenarchiv der Bundeswehr zu finden. Hildegard Knefs Chanson „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Eine Hoffnung auf Leichtigkeit für die Zeit nach vielen Jahren der Pflicht, quasi rund um die Uhr erreichbar und entscheidungsfähig zu sein? Oder doch eine Definition, was sie schon immer für sich möglich hielt und durchzusetzen bereit war in dieser so ungewöhnlichen, großen Karriere?
Hildegard Knef, die Berlinerin, die im Nachkriegsdeutschland gegen Mief und Verkniffenheit opponierte, dehnt damit selbst die Grenzen des Möglichen aus und singt da ganz selbstbewusst „Mit 16 sagte ich still: Ich will, will alles oder nichts“. Und dann auch „Und später, sagte ich noch: Ich möcht' verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren.“ Ganz passend für Merkel, unabhängig allemal. Aber den Text werden sich alle mitdenken müssen, die Bundeswehr bietet nur Sinfonisches Blasorchester.
Und dann schließlich die hintergründig Provokante, die doch Humorbegabte. Die hat sich den echten Knaller gewünscht, den die Bundeswehr überhaupt erst als Stück für die Instrumente im Musikkorps arrangieren musste. Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ ist im Original, Entschuldigung liebe Blechbläser in Uniform, sicher hundertmal besser als vom Stabsmusikkorps intoniert. Das ist Punkmusik, die im Original zunächst nur quasi als Blasmusik daherkommt. Fast erdig und auf jeden Fall rotzig, mit Bezug zu Merkels Ostbiografie. Angeblich kann es noch jede zweite und jeder zweite Ostdeutsche halbwegs auswendig singen. Das Lied wurde 1974 in der DDR geschrieben, auch irgendwie ein Klassiker. Der Refrain sei kurz erwähnt:
„Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael
Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war haha, haha
Du hast den Farbfilm vergessen bei meiner Seel'
Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr.“
Das Stück lässt sich mitgrölen, mitfühlen, und es zeigt: Es gibt ein Leben jenseits der Kanzlerinnenschaft, auf jeden Fall gibt es eins nach der Kanzlerinnenschaft. Schade, dass Nina Hagen nicht singt, grölt oder fiept, wie es eigentlich dazu gehört. Da hat Angela Merkel was durchblicken lassen, ohne ihr kleines Wunschkonzert wohl selbst je zu kommentieren.
Typisch.
Mehr zum Thema: Bundeskanzlerin Angela Merkel biegt auf die Zielgerade ihrer Berufskarriere ein. Klar ist: Wir werden sie vermissen. Ihre Ruhe und Raute. Ihre Listigkeit und Lakonie. Wenn auch nicht ihre politische Ambitionslosigkeit.