




In der große Koalition mögen sich die eine oder andere Woche zu lang gebraucht haben für ihre Sondierungen, Verhandlungen, die Regionalkonferenzen und Basisbefragungen – der oberste Repräsentant des Parlaments aber genehmigt sich an diesem Morgen keine Sekunde Verzögerung. Um Punkt neun Uhr betritt Bundestagspräsident Nobert Lammert mit der ihm eigenen inneren Grandezza das Rednerpult im Reichstag, der Gong ertönt, und schlagartig verwandelt sich das schnatterige Gewusel von mehr als 600 Abgeordneten in einen seriösen Staatsakt. Lammert nähert sich dem Mikro. Das Interregnum nach der Bundestagswahl findet nun sein Ende. Sogar Claudia Roth ist zu diesem Fest fast pünktlich.
So eine (Wieder-)Wahl der Bundeskanzlerin vermengt immer mehrere Veranstaltungen in einer: Es ist ein Höhepunkt parlamentarischer Politik, symbolisches Staatstheater und ein bisschen Klassentreffen. Auf der Gästetribüne hat Guido Westerwelle Platz genommen, noch ein paar wenige Augenblicke Außenminister, und plaudert gelassen mit Johanna Wanka, die dem Kabinett auch weiterhin als Bildungsministerin angehören wird. Vergangenheit und Zukunft sitzen da Schulter an Schulter. Wenige Plätze weiter hat sich mit den designierten SPD-Ministern Manuela Schwesig (Familie) und Heiko Maas (Justiz) noch mehr Zukunft bequem gemacht. Eine Mitarbeiterin macht gleich mal mit dem iPhone Erinnerungsfotos.
Dieser Vormittag in der Hauptstadt ist auch ein Lehrstück in Sachen Kinderstube und Charakterstärke. Tatsächlich hat sich von den FDP-Bundesministern nur Westerwelle eingefunden, um mit seiner Anwesenheit der Noch-Chefin Angela Merkel und dem nachfolgenden Kabinett seine Ehre zu erweisen. Von seinen liberalen Amtskollegen keine Spur.
Weil die namentliche Abstimmung zur Wahl der Bundeskanzlerin fast eine halbe Stunde dauern wird, bis alle Parlamentarier ihre Stimmkarte ausgefüllt und in eine Urne geworfen haben, ist viel Zeit für Spaziergänge und Plaudereien und Stoffproduktion für die anwesenden Fotografen, Kameraleute und Journalisten. Merkel winkt hoch zu Westerwelle, der wiederum verabredet sich spontan von Tribüne zu Tribüne mit DGB-Chef Michael Sommer zum kurzen Plausch. Dann eskortieren Merkels Büroleiterin Beate Baumann und ihre Medienberaterin Eva Christiansen mit fürsorglicher Ruhe deren Mutter Herlind Kasner in die erste Reihe der Gästetribüne. Merkels Ehemann wird nicht gesichtet. Ein paar Reihen weiter hinten sitzen brav die Kinder Ursula von der Leyens.