Verfassungsschutz-Skandal „Es ist leichter geworden, ein Innentäter zu sein“

Ein Islamist arbeitet monatelang beim Verfassungsschutz und wird dann enttarnt. Ein Einzelfall? Womöglich nicht. CDU-Geheimdienstexperte Sensburg fordert daher schärfere Kontrollen für alle Sicherheitsbehörden.

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Die Enttarnung eines mutmaßlichen Islamisten bringt den Verfassungsschutz in Erklärungsnot. Quelle: dpa

Berlin Nach der Enttarnung eines mutmaßlichen Islamisten im Bundesamt für Verfassungsschutz fordert der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Patrick Sensburg (CDU), Konsequenzen für alle deutschen Sicherheitsbehörden. Sogenannte Innentäter habe es zwar früher auch schon gegeben. Allerdings sei die heutige Bedrohungslage „wesentlich vielschichtiger“, sagte Sensburg dem Handelsblatt.

„Und weil wir uns als offene Gesellschaft verstehen, ist es leichter geworden, ein Innentäter zu sein.“ Zudem seien die „Radikalisierungsphasen“ kürzer geworden. Daraus müssten für alle Sicherheitsbehörden – Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND), Bundeskriminalamt (BKA), Militärischer Abschirmdienst (MAD) und Polizei – Konsequenzen gezogen werden.

„Wenn wir für Piloten von Passagierflugzeugen kontinuierliche Sicherheitsüberprüfungen fordern, dann sollte das für Staatsbeamte in sicherheitsrelevanten Bereichen erst recht möglich sein“, betonte Sensburg. Er halte daher eine Überprüfung „in deutlich kürzeren Intervallen als bisher“ für angebracht. „Künftig sollte ein Sicherheitscheck nicht nach mehreren Jahren, sondern künftig einmal im Jahr stattfinden“, schlug Sensburg vor. Dazu sollte in Interviews „intensiv“ nach der politischen Ausrichtung gefragt werden. „Mich würde schon interessieren, ob sich ein Verfassungsschützer oder Polizist zum Islam oder den Reichsbürgern hingezogen fühlt.“

Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer warnte hingegen vor vorschnellen Konsequenzen. Auch wenn der aktuelle Vorfall „besorgniserregend“ sei, beweise er, „dass unsere Sicherheitsbehörden in der Lage sind, schnell und erfolgreich zu reagieren, wenn es um die Entdeckung eines möglichen Innentäters geht“, sagte Mayer dem Handelsblatt. „Die Aufarbeitung des Falles wird zeigen, ob es Defizite bei der Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt.“

Bisher lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die Sicherheitsüberprüfung bei dem enttarnten 51-Jährigen nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt worden seien. Dessen ungeachtet sollte der Verfassungsschutz aus Sicht Mayers „jetzt auch im Hinblick auf die hohe Zahl von geplanten Neueinstellungen gewarnt sein, dass bei den Überprüfungen äußerst gründlich vorzugehen ist“.

Vertreter der Koalition im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags sprachen indes den Inlandsgeheimdienst am Mittwoch von Versäumnissen bei der Sicherheitsüberprüfung des 51-jährigen Verdächtigen frei. Die Oppositionsparteien hingegen hielten dem Verfassungsschutz eine Panne vor. Dessen Präsident Hans-Georg Maaßen informierte in der Sitzung des Gremiums über den Fall.


Verdächtiger soll Porno-Darsteller gewesen sein

Der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zufolge sollte der Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die islamistische Szene observieren. Er äußerte sich im Internet unter falschem Namen islamistisch und verriet dort Dienstgeheimnisse. In einem Chat geriet er an einen anderen Verfassungsschützer und flog so auf. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung soll Pornofilm-Material gefunden worden sein, auf dem er als Darsteller agiert, berichteten die „Washington Post“ und unter Berufung auf Ermittler auch die „Bild“-Zeitung. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist es der erste Fall beim Bundesamt, in dem ein Islamist in den eigenen Reihen enttarnt wurde. Zuerst hatten „Die Welt“ und „Der Spiegel“ über die Enttarnung berichtet.

Nach Angaben des PKGr-Vorsitzenden Clemens Binninger (CDU) bewarb sich der Mann 2014 beim BfV. Nach einer umfangreichen Sicherheitsüberprüfung der höchsten Stufe sei er im April 2016 eingestellt worden. „Nach unserer Auffassung ist hier dem Bundesamt für Verfassungsschutz überhaupt kein Vorwurf zu machen. Man hat all das überprüft, was notwendig war.“ Es habe über die Dauer der Sicherheitsüberprüfung „überhaupt keine Anhaltspunkte auf irgendwelche extremistische oder islamistische Bestrebungen gegeben.“ Auch könne derzeit davon ausgegangen werden, dass keine Informationen über den 51-Jährigen an Dritte abgeflossen seien.

Nach Binningers Angaben ist noch nicht abschließend geklärt, ob es sich bei dem Mann wirklich um einen Islamisten handelt. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sieht zwar auch keine Versäumnisse beim BfV. Er regte dennoch eine Verbesserung der Sicherheitsüberprüfungen bei den Behörden an.

Der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, André Hahn (Linke), hielt der Koalition den Versuch vor, den Fall herunterzuspielen. „Im vorliegenden Fall ist aus meiner Sicht völlig klar: Das ist eine neuerliche gravierende Panne beim Verfassungsschutz. Die Eigensicherung hat ganz offenkundig versagt.“ Ähnlich äußerte sich Christian Ströbele von den Grünen.

Maaßen hatte zuvor eine gründliche Aufarbeitung des Falles angekündigt. Der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte er, die Enttarnung sei einer sorgfältigen Aufklärung sowie schneller Aufklärungsmaßnahmen zu verdanken. Der Verdächtige habe sich völlig unauffällig verhalten. „Wir haben es hier offensichtlich mit einem Fall zu tun, in dem sich eine Person von seinem persönlichen Umfeld unbemerkt radikalisiert hat.“ Sein Amt sei wie jeder Nachrichtendienst Ziel strategischer Einschleusungsversuche ausländischer Dienste, Extremisten und Terroristen. „Deshalb müssen wir als Sicherheitsbehörde besonders wachsam in Bezug auf Innentäter sein.“ Nach der PKGr-Sitzung wollte sich Maaßen nicht vor Reportern äußern.


„Eine größere Gefahr, als wenn ich einen Deutschen einstelle“

Dem Verdächtigen wird vorgehalten, sich beim Verfassungsschutz eingeschlichen zu haben, um gleichgesinnte Islamisten vor Polizeiaktionen zu warnen und ihnen einen Anschlag auf das BfV zu ermöglichen. Die Ermittlungen hätten bisher keine Hinweise ergeben, dass eine Gefahr bestanden habe, teilte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mit. Die Strafverfolgungsbehörde ermittelt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der versuchten Verletzung von Dienstgeheimnissen. Geprüft wird außerdem, ob der Generalbundesanwalt den Fall übernimmt. Das Bundeskriminalamt ermittelt.

Der CDU-Politiker Sensburg wies darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terror schon länger auf Mitarbeiter aus anderen Kulturkreisen zurückgreifen. „Um einen anderen, gezielteren Zugang zu Quellen zu bekommen, hat man schon vor vielen Jahren damit begonnen, Personen mit islamischem Hintergrund einzustellen, darunter Leute aus Afghanistan, Iran oder Irak“, sagte er. „Natürlich birgt das eine größere Gefahr, als wenn ich einen Deutschen einstelle“, fügte Sensburg hinzu.

Aber eine Radikalisierung sei bei keiner Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen. Das müsse auch nicht zwingend über einen längeren Zeitraum hinweg geschehen. „Eine kurzfristige Radikalisierung kann über das Internet stattfinden oder durch eine Predigt in einer Moschee befördert werden.“ Also nicht unbedingt in Zellen oder Netzwerken.

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