Verhandlungsexperte zur Koalitionskrise „Kein Gewinner, nur Überlebende“

Alexander Dobrindt (links), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe in der Unionsfraktion, Markus Blume, CSU-Generalsekretär und Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, nach der Sondersitzung des CSU-Vorstands Quelle: dpa

Seehofer, Dobrindt und Söder ziehen im Streit um die Asylpolitik nicht an einem Strang, glaubt Verhandlungsexperte Thorsten Hofmann. Am Ende würden alle Beteiligten verlieren, inklusive Angela Merkel an Glaubwürdigkeit.

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WirtschaftsWoche: War es verhandlungstaktisch klug von Horst Seehofer, seinen Rücktritt ins Spiel zu bringen?
Thorsten Hofmann: In einer Verhandlung geht es immer einerseits um die Sachebene und andererseits um die Beziehungsebene der Verhandlungsparteien. Der jetzigen Krise ist ein jahrelanger Streit und ein jahreslanges aneinander Abarbeiten von Merkel und Seehofer vorausgegangen. Beide haben ja seit rund 14 Jahren in verschiedenen Funktionen unmittelbar miteinander zusammen. Aber eben nicht so, dass von einer vertrauensvollen Beziehung gesprochen werden kann. Ihre Beziehungsebene wurde in den letzten Jahren noch deutlich zerrütteter durch den Streit um die Asylpolitik. Im Wahlkampf hat man das Thema halbwegs zugekleistert. Nun hat sich der Konflikt wieder zugespitzt. In Konfliktmodellen unterscheidet man verschiedene Ebenen. Die unterste ist: „gemeinsam in den Abgrund“. Sie entsteht in einer Lose-Lose-Situation, wenn es mir egal geworden ist, was mit mir passiert, solange ich nur meinen Kontrahenten auch beschädige. An dieser Schwelle steht Seehofer gerade.

Was bezweckte Seehofer, als er von einem „Endspiel um Glaubwürdigkeit“ sprach?
Wenn es Ziel seiner individuellen Taktik war, die Kanzlerin und seine Parteikonkurrenten zu beschädigen, war das durchaus geschickt. Seehofer sagt zur Begründung seines Rücktrittsangebots: Ich will meine Glaubwürdigkeit behalten. Einmal gegenüber Merkel. Wenn er allerdings zurückträte und die CSU würde in der Koalition bleiben – was die CSU-Signale heute ja nahelegen – würde er auch noch seine Parteifreunde Söder und Dobrindt beschädigen. Denn dann stünde er als treu zu seinem Wort da, aber sie gerade nicht.

Thorsten Hofmann Quelle: Die Hoffotografen

Hatten Seehofer, Dobrindt und Söder von Anfang an vor, die Angelegenheit zu eskalieren, um die Kanzlerin zu stürzen?
Ich glaube nicht, dass diese drei am gleichen Strang ziehen. Söder und Dobrindt wollen der AfD in Bayern die inhaltliche Grundlage des Erfolgs entziehen. Dobrindt und Söder, die noch eine Karriere vor sich haben, ist aber sicher nicht daran gelegen, die Kanzlerin zu stürzen und Neuwahlen des Bundestags notwendig zu machen, kurz bevor sie in Bayern zur Wahl stehen.

Bei Seehofer ist das vielleicht anders. Er ist 69 und hat für einen CSU-Politiker die höchsten Positionen erreicht. Ihm ist es wichtig, als glaubwürdig wahrgenommen zu werden, auch wenn dadurch alle anderen, seine Parteifreunde inbegriffen, als unglaubwürdig dastehen. Denn sein Rücktritt würde nicht nur auf die Kanzlerin, sondern auch auf die eigene Partei negativ abstrahlen, falls die CSU weiter in der der Koalition und Fraktionsgemeinschaft bleibt. Dann müssten Dobrindt und Söder den Wählern erklären, warum sie denn nicht auch das Bündnis mit Merkel endgültig aufkündigen, um zu ihren Forderungen zu stehen. Politischer Machterhalt vor der eigenen Überzeugung wäre der Vorwurf, dem Söder und Dobrindt ausgesetzt würden. Die AfD wird dieses Glaubwürdigkeitsproblem der in der Regierung verbliebenen CSU vermutlich ausschlachten.  

Sachlich geht es um Seehofers so genannten Masterplan. Musste der zu einem derartigen Konflikt führen?
Nein. Seehofer hätte mit einem wunderbaren Erfolg aus der Sache herauskommen können, weil er 62einhalb der darin enthaltenen 63 Maßnahmen durchbekommen hat. Nur in der einen Frage der Zurückweisungen an der Grenze wäre eine Nachschärfung mit Blick auf Europa nötig gewesen. Dann einigte man sich auf dieses Schlüsselwort „wirkungsgleich“ für das, was auf europäischer Ebene herauskommen sollte. In politischen Debatten schafft man oft so ein Wort, hinter dem dann ein Einigungsvolumen entsteht.

Aber wenn nun die persönliche Beziehung der Kontrahenten stark zerrüttet ist, ist die Wahrnehmung von Worten oft komplett verzerrt. Was der eine darunter versteht, versteht der andere noch lange nicht. Für Merkel kam erschwerend hinzu: Nachdem sie vom Gipfel kam und sagte, dass man sich geeinigt habe, springen dann drei Länder ab und widersprechen. Das schwächt natürlich ihre Glaubwürdigkeit. So kann kein Vertrauen entstehen.

Und wer ist der große Gewinner in der ganzen Angelegenheit?
Den gibt es nicht, es gibt nur Überlebende.

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