Verkehrspolitik Fahrrad first

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Berlin als Vorbild für ganz Deutschland

Die Hauptstadt könnte so zu einer Blaupause für ganz Deutschland werden. Obwohl die Radrevolution nicht allen passt. Die Belange der Wirtschaft würden nicht gehört, klagt der Unternehmensverband Berlin-Brandenburg. Das Wachstum in der Hauptstadt sei gefährdet – gerade der Liefer- und Baustellenverkehr könne schließlich auch in einer grünen Zukunft nicht allein mit dem Zweirad abgewickelt werden.

Aktivisten übergehen diese Einwände. Der Verein Changing Cities, der sich im Zuge des Berliner Volksentscheids gegründet hat, möchte sogar gezielt andere Städte und Kommunen unterstützen, quer durch die Republik. In Bamberg zum Beispiel hat die Initiative Radentscheid einen Bürgerentscheid erwirkt. Zehn Direktmaßnahmen sollen das fränkische Studentenstädtchen mit seinen 73 000 Einwohnern für Radler sicherer machen: etwa Radschnellwege, Fahrradstraßen und grüne Wellen. Bald werden die Bamberger darüber abstimmen. Bürgerinitiativen gibt es auch in Metropolen wie Hamburg, München, Stuttgart sowie in zahlreichen Städten in Nordrhein-Westfalen. Strößenreuther, der Bürgermeister und Stadtplaner berät, sagt selbstbewusst: „Unsere Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten.“

Es geht um viel Geld. Radschnellwege kosten ein bis zwei Millionen Euro pro Kilometer. Und teuer wird es auch, weil sich die Einschätzung, was ein guter Radweg ist, geändert hat. So verlegte man seit den Neunzigerjahren Radwege durch gemalte Markierungen auf die Hauptstraßen, damit Radler von Autofahrern besser gesehen werden. Heute fordern Experten die Rückbesinnung auf separate Radwege mit physischer Begrenzung zum Autoverkehr. Das Leitmotiv lautet: Würden sich Kinder und ältere Menschen sicher fühlen? Auf der Straße eher nicht.

Schneller, teurer, weiter: Rekorde rund ums Fahrrad

Doch breite Radelpfade mit reibungsarmer Asphaltdecke kosten. Immerhin hat auch im Bundesverkehrsministerium ein Umdenken stattgefunden. Dort wird der Radverkehr, trotz mancher Verbände-Warnung, inzwischen als ernsthafter Wirtschaftsfaktor begriffen. „Die Wirtschaft profitiert vielfältig vom Radverkehr“, heißt es in einer Analyse des Ministeriums. Fast eine Dreiviertelmillion elektrobetriebener Pedelecs hätten sich mittlerweile verkauft. Außerdem seien innerstädtische Einzelhandelsgeschäfte mit dem Fahrrad „oft besser zu erreichen als mit dem Auto“. Der Fahrradtourismus werde wichtiger. Und Unternehmen, so die Analyse, „nutzen ein- und mehrspurige Transporträder für Kurier-und Lieferdienste und im Wirtschaftsverkehr“.

Die Zeit drängt: Dieselfahrzeugen, die Grenzwerte oft um ein Vielfaches reißen, drohen bald Fahrverbote. Außerdem sind Verbrenner nach wie vor einer der Hauptverursacher des klimaschädlichen Kohlendioxids. „Die kommende Legislaturperiode bis 2021 ist die letzte Ausfahrt“, sagt Christian Hochfeld, Leiter der Agora Verkehrswende: „Nötig dafür wäre ein Grundkonsens wie bei der Energiewende.“ Und mehr Geld des Bundes.

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