Die Hauptstadt könnte so zu einer Blaupause für ganz Deutschland werden. Obwohl die Radrevolution nicht allen passt. Die Belange der Wirtschaft würden nicht gehört, klagt der Unternehmensverband Berlin-Brandenburg. Das Wachstum in der Hauptstadt sei gefährdet – gerade der Liefer- und Baustellenverkehr könne schließlich auch in einer grünen Zukunft nicht allein mit dem Zweirad abgewickelt werden.
Aktivisten übergehen diese Einwände. Der Verein Changing Cities, der sich im Zuge des Berliner Volksentscheids gegründet hat, möchte sogar gezielt andere Städte und Kommunen unterstützen, quer durch die Republik. In Bamberg zum Beispiel hat die Initiative Radentscheid einen Bürgerentscheid erwirkt. Zehn Direktmaßnahmen sollen das fränkische Studentenstädtchen mit seinen 73 000 Einwohnern für Radler sicherer machen: etwa Radschnellwege, Fahrradstraßen und grüne Wellen. Bald werden die Bamberger darüber abstimmen. Bürgerinitiativen gibt es auch in Metropolen wie Hamburg, München, Stuttgart sowie in zahlreichen Städten in Nordrhein-Westfalen. Strößenreuther, der Bürgermeister und Stadtplaner berät, sagt selbstbewusst: „Unsere Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten.“
Es geht um viel Geld. Radschnellwege kosten ein bis zwei Millionen Euro pro Kilometer. Und teuer wird es auch, weil sich die Einschätzung, was ein guter Radweg ist, geändert hat. So verlegte man seit den Neunzigerjahren Radwege durch gemalte Markierungen auf die Hauptstraßen, damit Radler von Autofahrern besser gesehen werden. Heute fordern Experten die Rückbesinnung auf separate Radwege mit physischer Begrenzung zum Autoverkehr. Das Leitmotiv lautet: Würden sich Kinder und ältere Menschen sicher fühlen? Auf der Straße eher nicht.
Schneller, teurer, weiter: Rekorde rund ums Fahrrad
Schnurgerade Strecke und ein windschnittiges Rad in länglicher Ei-Form: Im September 2016 beschleunigt der Kanadier Todd Reichert im US-Bundesstaat Nevada auf 144,17 Kilometer pro Stunde. Er knackt damit seinen eigenen Guinness-Rekord vom Vorjahr.
Der Niederländer Fred Rompelberg rast im Oktober 1995 hinter einem Dragster im US-Bundesstaat Utah auf 268,831 Stundenkilometer - und schafft es so ins Guinness-Buch der Rekorde.
Der britische Tour-de-France-Gewinner Bradley Wiggins legt im Juni 2015 im Olympischen Velodrom in London auf seinem Bahnrad in einer Stunde 54,526 Kilometer zurück - ein vom internationalen Radsport-Verband UCI anerkannter Rekord.
Mit dem Rad braucht der Neuseeländer Andrew Nicholson 2015 für fast 30.000 Kilometer 123 Tage und 43 Minuten - und ist damit laut Guinness der schnellste auf dieser Strecke.
Mit 4569 Kilometern legt Kurt Osburn im Frühsommer 1999 die weiteste Strecke nur auf dem Hinterrad zurück. Im Schnitt fährt der Amerikaner von Kalifornien nach Florida rund 60 Kilometer am Tag.
Das längste Zweirad wird im Januar 2015 in Australien gemessen. Forscher aus Adelaide müssen mit dem 41,42 Meter langen Gefährt 100 Meter zurücklegen - und schaffen es.
Auf dem wohl schwersten Fahrrad strampelt im September 2016 der Schleswig-Holsteiner Frank Dose. 1080 Kilogramm zeigt die Waage - der Rekord muss aber noch vom Guinness-Buch anerkannt werden.
Der größte Drahtesel wird im Oktober 2012 auf der Insel Usedom gemessen. Das Rad von Didi Senft ist 7,80 Meter lang und hat einen Raddurchmesser von 3,30 Metern.
Das teuerste Rad in einer Auktion ist laut Guinness ein vom britischen Künstler Damien Hirst mit echten Schmetterlingsflügeln verziertes Rad des US-Fahrers Lance Armstrong. Im November 2009 geht es bei Sotheby's für 318.000 Pfund (354.000 Euro) unter den Hammer.
Noch teurer ist das goldüberzogene und diamantverzierte Mountainbike des Herstellers The House of Solid Gold. Ein Exemplar gibt es für eine gepfefferte halbe Million US-Dollar (etwa 450.000 Euro).
Doch breite Radelpfade mit reibungsarmer Asphaltdecke kosten. Immerhin hat auch im Bundesverkehrsministerium ein Umdenken stattgefunden. Dort wird der Radverkehr, trotz mancher Verbände-Warnung, inzwischen als ernsthafter Wirtschaftsfaktor begriffen. „Die Wirtschaft profitiert vielfältig vom Radverkehr“, heißt es in einer Analyse des Ministeriums. Fast eine Dreiviertelmillion elektrobetriebener Pedelecs hätten sich mittlerweile verkauft. Außerdem seien innerstädtische Einzelhandelsgeschäfte mit dem Fahrrad „oft besser zu erreichen als mit dem Auto“. Der Fahrradtourismus werde wichtiger. Und Unternehmen, so die Analyse, „nutzen ein- und mehrspurige Transporträder für Kurier-und Lieferdienste und im Wirtschaftsverkehr“.
Die Zeit drängt: Dieselfahrzeugen, die Grenzwerte oft um ein Vielfaches reißen, drohen bald Fahrverbote. Außerdem sind Verbrenner nach wie vor einer der Hauptverursacher des klimaschädlichen Kohlendioxids. „Die kommende Legislaturperiode bis 2021 ist die letzte Ausfahrt“, sagt Christian Hochfeld, Leiter der Agora Verkehrswende: „Nötig dafür wäre ein Grundkonsens wie bei der Energiewende.“ Und mehr Geld des Bundes.