Verkehrspolitik Warum Schienenprojekte in Deutschland so lange dauern

Wenn bis 2030 doppelt so viele Menschen auf der Schiene unterwegs sein sollen wie bisher, muss sich das Ausbau-Tempo erhöhen. Doch das ist kompliziert.

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Die Strecken für den Nah- und Fernverkehr sollen ausgebaut werden.

Bauen, bauen, bauen: Das ist nicht nur das Motto für Wohnraum in Ballungsgebieten, sondern - Bahnreisende müssen nun stark sein - auch für die Schiene. Wenn dort künftig deutlich mehr Menschen und Güter unterwegs sein sollen, braucht es mehr Infrastruktur. Es ist die zentrale Aufgabe künftiger Verkehrspolitik.

Doch derzeit dauert es im Schnitt 20 Jahre, bis ein Schienen-Großprojekt umgesetzt ist. „Allein zwei Drittel davon sind Planungszeiten, während die eigentliche Bauphase im Schnitt etwa sieben Jahre dauert“, heißt es dazu im Bundesverkehrsministerium.

Mit Blick auf die Verkehrs- und Klimaziele der Bundesregierung muss sich das Tempo deutlich erhöhen. Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit der Bahn fahren wie bis vor wenigen Jahren. Der Anteil der Eisenbahn am Güterverkehr soll von derzeit 19 auf bis dahin 25 Prozent steigen. Mit der derzeitigen, schon jetzt überlasteten Infrastruktur ist das nicht zu stemmen.

Sie stoße insbesondere in den Ballungsräumen an ihre Kapazitätsgrenzen, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. „Auf dem Land sollten vor dem Hintergrund gleichwertiger Lebensverhältnisse wieder mehr Städte und Gemeinden an den Schienenpersonenverkehr angebunden werden.“ Mit derart langen Planverfahren seien die Ziele von Bund und Ländern nicht zu erreichen. „Daher braucht es eine deutliche Beschleunigung der Plan- und Bauverfahren.“

Die Deutsche Bahn hält eigenen Angaben zufolge bei großen Schienenprojekten eine Planungs- und Bauzeit von zwölf Jahren für erstrebenswert. Kürzere Planungsverfahren und mehr Personal in Behörden gelten als zentrale Hebel für den zügigeren Ausbau. Das Thema dürfte auch in den anstehenden Verhandlungen über eine neue Regierung eine große Rolle spielen.

„Man wird sehen, dass es schneller geht“

Der Bund hat schon in der vergangenen Legislaturperiode Gesetze umgesetzt, die aus Sicht der Fachleute in die richtige Richtung gehen: So werden Anhörungs- und Planfeststellungsverfahren inzwischen einheitlich beim Eisenbahn-Bundesamt gebündelt und nicht mehr bei unterschiedlichen Behörden und Ämtern.

Außerdem soll bei bestimmten Bahn-Projekten kein langwieriges Planfeststellungsverfahren mehr notwendig sein. Es reicht die Zustimmung des Bundestags.

„Die Wirkung dieser Gesetze wird sich erst bei neuen Projekten zeigen, die in diesem Jahr begonnen worden sind“, sagt Verkehrsexperte Andreas Geißler vom Branchenverband Allianz pro Schiene. „Da wird man sehen, dass es schneller geht.“

Doch ein Schienenprojekt wird nicht nur durch komplizierte Planungsverfahren in die Länge gezogen. Im Rahmen des sogenannten Deutschlandtakts sollen Fern- und Regionalverkehr in Deutschland enger getaktet und besser aufeinander abgestimmt werden. Der internationale Fern- und Güterverkehr gewinnt zudem an Bedeutung. Lokale Schienenprojekte geraten so in einen größeren Zusammenhang - und rufen Bürgerinitiativen auf den Plan.

Wie unter einem Brennglas lässt sich das etwa am geplanten Bau einer neuen S-Bahn-Linie, der S4, zwischen Hamburg und Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein beobachten: Zwei neue S-Bahn-Gleise auf 36 Kilometern und fünf neue Bahnhöfe sollen hier zwischen der Hansestadt und dem angrenzenden Bundesland entstehen. 250.000 Anwohnerinnen und Anwohner sollen so neben der halbstündig verkehrenden Regionalbahn eine weitere Alternative mit engerer Taktung erhalten. Knapp zwei Milliarden Euro kostet das Vorhaben.

Anwohner sind unzufrieden – Umweltschützer protestieren

„Es ist derzeit das größte Projekt in der Region Nord, das sich in der Bauphase befindet“, sagt Gesamtprojektleiterin Amina Karam von der Deutschen Bahn. Doch es ist mehr als ein Regionalprojekt. Die Strecke gehört zur Hinterlandanbindung der neuen Fehmarnbeltquerung zwischen Dänemark und Deutschland. Durch die beiden neuen S-Bahn-Gleise werden Kapazitäten auf der bestehenden Infrastruktur für mehr international verkehrende Fern- und Güterzüge frei.

Anwohnerinnen und Anwohner fürchten zum einen, dass es damit lauter wird und zum anderen, dass Teile ihrer Grundstücke den neuen S-Bahn-Gleisen zum Opfer fallen. Außerdem protestieren Umweltschützer: Für den Bau der Strecke müssen zahlreiche Bäume gefällt werden. Seit 2012 laufen die Planungen für die S4 und obwohl alles im Zeitplan liegt, dürfte die neue Strecke erst 2029 fertig werden.

„Es ist nicht immer so, dass Bürgerbeteiligungen Sachen blockieren“, sagt Arnold Harmsen, Gründer der Bürgerinitiative „Lärm-und Umweltschutz Wandsbek-Marienthal“. „Wenn die Menschen sehen, das ist in ihrem Interesse, dann gibt es auch eine große Zustimmung.“ Im Falle der S4 ist das aus seiner Sicht aber nicht gelungen. „Wir fühlen uns leider überhaupt nicht ernst genommen“, sagt Harmsen. Die Bahn sei trotz zahlreicher Bürgersprechstunden nicht bereit gewesen, die Sorgen sowie die Ideen der Betroffenen zu berücksichtigen.

„2010 haben wir die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern bei Bauprojekten auf ganz neue Beine gestellt“, entgegnet Michelle Bruhn, Projektpartner-Managerin bei der Bahn und in Hamburg verantwortlich für den Bürgerdialog. Seither gehe der Konzern früh auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu, um sie bei der Planung mit einzubeziehen. „Wir reden hier nicht von drei, vier Gesprächsrunden im Monat“, sagt Bruhn. „Im Grunde kommunizieren wir permanent mit den Anwohnerinnen und Anwohnern.“

Nabu: „Keine Beschleunigung durch Absenkung von Umweltstandards“

Das erkennt auch die Allianz pro Schiene an: „In Sachen Bürgerbeteiligung hat die Bahn in der Vergangenheit vieles gemacht, was sich als sehr förderlich erwiesen hat“, sagt Geißler. Auch dieses Vorgehen habe die Prozesse bereits beschleunigt.

Doch für die kommende Bundesregierung bleiben aus seiner Sicht wichtige Aufgaben bestehen: „Was wir bislang nicht haben, ist eine Durchfinanzierung der Projekte“, sagt Geißler. „Die Wartezeiten, bis die Finanzierung für den nächsten Bauschritt steht, können über Monate dauern.“ Das kritisiert auch die Deutsche Bahn: „Es ist nicht so, dass solche Projekte dann ruckzuck finanziert werden und schnell starten können“, sagt S4-Gesamtprojektleiterin Karam.

Landsberg vom Städte- und Gemeindebund spricht sich für eine neue Kategorie von Investitionsvorhaben mit übergeordnetem gesamtgesellschaftlichem Interesse aus. „In dieser neuen Kategorie müssen dann spürbare Reduzierungen von Anforderungen bei Bau, Planung und Ausschreibung möglich sein.“

Auch der Umweltverband Nabu ist der Meinung, Deutschland komme beim Aufbau einer klimaverträglichen Infrastruktur zu langsam voran. „Was wir hingegen nicht teilen, sind Aussagen, die dahin gehen, eine Beschleunigung über die Absenkung von Umweltstandards erreichen zu wollen“, warnt Verkehrsexperte Daniel Rieger. Die wesentlichen Stellschrauben bleiben aus seiner Sicht eine adäquate Ausstattung von Behörden und Gerichten sowie eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung.

Auch wenn wichtige Gesetze bereits umgesetzt wurden, bleibt für die künftige Regierung also viel zu tun: Sie muss nicht nur bei offenen Sachfragen wie der Finanzierung vorankommen, sondern komplexe Interessen unter einen Hut bringen. Die Zeit drängt. Bis 2030 sind es nur noch neun Jahre; weniger als halb so viele, wie ein Großprojekt derzeit in Anspruch nimmt.

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