Verlängerung des Kurzarbeitergeldes „Missbrauch von Kurzarbeit ist die Ausnahme“

Hubertus Heil (SPD) besucht den Ausstellungsbauer Minga Network GmbH Quelle: dpa

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weist beim Besuch einer Berliner Messebaufirma Kritik an hohen Kosten zurück und verspricht trotz Krise stabile Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Für 2021 rechnet er im Schnitt mit 770.000 Kurzarbeitern.

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Er habe im Frühjahr gerade angefangen, die Verkaufsstände für die Mobilfunkmesse in Barcelona aufzubauen, als die Nachricht von der Absage der Messe kam, erzählt Ingo Zippel. „Das war der Beginn, danach ging nichts mehr“. Der gelernte Architekt ist Geschäftsführer der „Minga Network“ in Berlin, einem Handwerksbetrieb mit 30 Festangestellten, der sich auf Messebau spezialisiert hat. Wie so viele in der Branche ist die Firma von der Coronakrise besonders hart getroffen. An diesem Mittwoch hat Zippel hohen Besuch.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich angekündigt. Der SPD-Politiker macht sich vor Ort ein Bild und will von Zippel und seinen Angestellten hören, wo der Schuh drückt. Wenige Stunden zuvor saß Heil noch im großen Kabinettssaal des Berliner Kanzleramtes, wo die Bundesregierung offiziell die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate beschlossen hat. Jetzt geht der Arbeitsminister durch die luftigen Hallen und lässt sich von Firmenchef Zippel die Lage erklären. Wo normalerweise gesägt, gehämmert und montiert wird, herrscht ungewohnte Ruhe. Zippel bestätigt, dass er das Kurzarbeitergeld brauche, um seine vielen Spezialisten halten zu können.

Tischler, Schreiner, Dekorateure, Designer und Leute, die Messestände, Ladeneinrichtungen und Filmsets bauen können, waren schon vor Corona schwer zu finden. „Wir haben auch absolute Spezialisten wie etwa einen Marmormaler“, sagt Zippel. Wenn er diese Mitarbeiter jetzt wegen ausbleibender Aufträge entlassen müsse, könne er nach der Pandemie kaum wieder durchstarten. Nicht zuletzt brauche er seine Leute, um neue Geschäftsfelder wie etwa Büroeinrichtungen oder Möbelbau langsam entwickeln zu können. Hubertus Heil nickt. Für ihn sind Zippels Worte die Bestätigung, dass die umstrittene Verlängerung des Kurzarbeitergeldes richtig ist. „Die Behauptung, dass dadurch alte Strukturen konserviert würden, ist falsch, wie man hier sieht“, sagt Heil.

„Kurzarbeit ist im Moment die stabilste Brücke über ein wirtschaftlich tiefes Tal und versetzt viele Unternehmen in die Lage, Fachkräfte halten und sich erneuern zu können“. Die Idee von der „kreativen Zerstörung ist nicht mein Ansatz“, bekräftigt Heil. Die Kurzarbeit würde zudem nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren und dabei helfen, nach dem Abklingen der Pandemie wieder durchstarten zu können.

Die Gefahr von Missbrauch des Kurzarbeitergeldes sieht Heil nur als sehr gering an. „Ich kann nicht ausschließen, dass es angesichts der Masse der Fälle zu einzelnen Mitnahmeeffekten komme, sagt er mit Blick auf die aktuell 5,3 Millionen Kurzarbeiter in Deutschland. Aber für die große Zahl der Unternehmen könne er das nicht bestätigen. „Missbrauch ist die Ausnahme“, betont Heil. Vielmehr würden die Firmen das Instrument gleichermaßen für Substanzerhalt und Erneuerung nutzen. Außerdem gebe es einen Anreiz für Innovationen, weil ab 1. Juli 2021 nicht mehr die vollen Sozialbeiträge übernommen werden, es sei denn ein Unternehmen investiere in Qualifizierung und Weiterbildung. „Meine Wahrnehmung ist nicht, dass sich die Unternehmen auf Kurzarbeit ausruhen“, so der Bundesarbeitsminister.

Inzwischen haben rund 880.000 Unternehmen Kurzarbeit beantragt. Bei Stichproben hat die Bundesagentur für Arbeit bei Stichproben rund 900 Fälle von möglichem Missbrauch gefunden. Die zuletzt festgestellte Steigerung der Fälle wird auf die neu geschaffene Möglichkeit zurückgeführt, dass Arbeitnehmer ein Meldeformular von der Website der Bundesagentur nutzen können, um auf Verdachtsfälle in ihrem Betrieb hinzuweisen.


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Heil räumt ein, dass die Reserven der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 26 Milliarden Euro gegen Ende des Jahres aufgebraucht sein werden. Danach werde der Bund mit Zuschüssen helfen. Kurzarbeit sei ein teures Instrument, aber Massenarbeitslosigkeit sei teurer. Im Durchschnitt des kommenden Jahres rechnet der Arbeitsminister mit einer deutlichen Verringerung der Kurzarbeit auf 770.000 Fälle. Eine krisenbedingte Erhöhung der Sozialbeiträge schließt er aus. „Ich will die Sozialversicherungsbeiträge stabil halten“, sagt Heil, „in meinem Bereich wird es keine Beitragssatzsteigerungen geben, weder bei der Arbeits- noch bei der Rentenversicherung.“

Mehr zum Thema: Verdi wirft dem Sicherheitsanbieter DSW am Flughafen Düsseldorf Missbrauch staatlicher Leistungen vor. Der Fall zeigt die komplizierte Diskussion um das Kurzarbeitergeld.

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