Vermögen Die Deutschen vererben so viel wie nie

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Tue Gutes und mache es bekannt

Susanne Anger, zupackend, fröhlich, hat diesen Kreis 2013 ins Leben gerufen. An „Mein Erbe tut Gutes“ ist dann auch tatsächlich nichts verdruckst, nichts schamvoll – im Gegenteil. Aus Angers Hand gibt es einen edlen Bildband, in dem Prominente wie Friede Springer, Wim Wenders oder Reinhold Messner erzählen, was Vermächtnis für sie bedeutet. Regelmäßig veranstaltet die Initiative Infoabende zu Fragen rund ums Stiften und Vermachen. Eine Postkarte, die überall verteilt wird, ziert die hübsche, zarte Zeichnung eines Apfelbaumes, daneben prangt nur eine Frage: „Was wäre Ihr letztes Geschenk an die Welt?“

Im Grunde ist das Angers Absicht in einem Bild zusammengeführt: den Gedanken ans soziale Vererben wie einen Samen in die Köpfe zu pflanzen – und dann darauf zu hoffen, dass er aufblüht, irgendwann. Tue Gutes und mache es bekannt, ist ihr Credo, mit dem sie für mittlerweile mehr als 20 große soziale Organisationen um Erbschaften wirbt. „Es gibt eine neue Sehnsucht nach dem Bleibenden“, sagt Anger. Und ihre Klienten könnten sie mit Geld stillen. Die guten Absichten auf beiden Seiten, sagt sie, würden ja nicht schlecht dadurch, dass man sie betriebswirtschaftlich optimiere.

Es ist eine bemerkenswerte Professionalisierung: Selbst das finanzielle Nachleben wird den Regeln des Marktes unterworfen, auf dem der am meisten abbekommt, der am besten darum wirbt.

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von Martin Gerth

Fast 400.000 Deutsche sind Vermögensmillionäre, Tendenz: steigend. Schon heute hinterlässt ein Erblasser 300 000 Euro – im Schnitt. Geht das nicht an die nächsten Verwandten, machen die drei großen K das Rennen: Kinder, Krebs und Kranke. Ein Großteil des Spenden- und Erbschaftsaufkommens der vergangenen Jahre ging an die SOS Kinderdörfer. Es folgten die Deutsche Krebshilfe und die Stiftung Bethel, die sich um leidende Menschen kümmert. Doch auch mit kleinem Werbebudget lassen sich nicht nur die Herzen der Menschen öffnen, sondern auch ihre Portemonnaies. Wie das geht, lässt sich bei der Deutschen Fundraising Akademie lernen. Dort trifft man die Malteserin Monika Willich wieder. Die Fachfrau für Nachlassgewinnung steht an einem Novembermorgen in einem Berliner Konferenzsaal, vor einem guten Dutzend Zuhörer. Die niedersächsische Architektenkammer, die ihre eigene Stiftung finanziell aufpäppeln will, hat ebenso jemanden geschickt wie der Nabu oder Terre des Hommes. Eine Dame von der CDU erklärt, man betreibe zwar noch kein organisiertes Nachlass-Fundraising, bekomme aber öfters Erbschaften. Deshalb wolle sich die CDU nun professionalisieren. Es gebe schließlich viele Menschen im Land, die der Partei gerne etwas hinterlassen würden, „aus Dankbarkeit für die Demokratie“.

Nachlass ohne Testament
Streitereien zwischen Familienmitgliedern Quelle: Fotolia
Gesetzliche Erbfolge Quelle: Fotolia
Erben der ersten Ordnung Quelle: AP
Ehepartner Quelle: Fotolia
Witwe Quelle: Fotolia
Geschwister Quelle: dpa
Keine Kinder

Nachlass-Akquise, das lässt sich bei Frau Willich erleben, ist ein straff geführtes Business. Es geht um den effizientesten Zeitpunkt der Ansprache (nie vor dem 65. Geburtstag) und die optimale Farbwahl der Broschüre (immer dezent). Vor allem aber geht es darum, die Worte zu wägen: Nichts hassen die Menschen mehr als das Gefühl, ausgenommen zu werden. Erzählen aber wollen viele: über Kanarienvögel und Briefmarkensammlungen, über Enkel und Expartner, die leichte Jugend von heute und das schwere Leben von früher. Erste Pflicht der Nachlassinteressierten ist es deshalb, sich mit aufrichtiger Freude an Küchentische zu setzen und auf Couchgarnituren zu platzieren, Frankfurter Kranz und Bienenstich zu verspeisen, sich die Fotos und Urkunden zeigen zu lassen, die Zeugen sind eines langen, ereignisreichen Lebens.

Natürlich müssen sie bei alledem gut zuhören – und sich vor allem schnell einen Eindruck verschaffen davon, ob Aufwand und Ertrag in einem guten Verhältnis stehen: ob es also wirkliche Summen zu vererben gibt oder doch nur Hausrat zu entsorgen.

Das parteipolitische Geschacher um die Erbschaftssteuerreform kratzt leider argumentativ nur an der Oberfläche. Die Menschen interessieren andere als die von den Parteien behandelten Fragen, wie eine Untersuchung zeigt.
von Ferdinand Knauß

Die neue Spenderrepublik – sie ist nicht nur Ausdruck einer grassierenden Nächstenliebe im Land. Sondern auch die ganz private Reaktion von Wohlhabenden und Gutgestellten auf die schwelende Umverteilungsdebatte. Geld kann befreien: auch von den letzten schweren Fragen. Muss ich tatsächlich der Nichte, die ohnehin schon viel hat, noch mehr geben? Bekommt der Staat eine Umverteilung der Vermögen hin – oder muss ich womöglich das meinige tun, damit es gerecht zugeht?

Am Ende eben auch: Was habe ich gewollt im Leben? Und so ist wohltätiges Vererben auch ein moderner Ablasshandel, bei dem sich mit Aktien und Banktransfers Bedeutung und Friede kaufen oder Charaktergüte beglaubigen lässt – Schuld und Sühne?

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