Verteidigung Bundeswehr-Reform ohne Konzept

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Grafik: Personalstärke der Bundeswehr

„Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche“, verkündete der neue Minister in seinem ersten Tagesbefehl an die „Soldatinnen und Soldaten, zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr“. Beim ersten Truppenbesuch in der vergangenen Woche zurrte er das noch einmal fest: Er werde in Ruhe entscheiden – über das gesamte Reformpaket, nicht über viele kleine Einzelschritte.

Eine große Aufgabe. „Es ist ein Experimentierkasten“, stöhnt ein Experte, ausgerechnet aus einer Koalitionsfraktion, über den Stand der Reform. Von einem „bestellten Haus“, wie es zu Guttenberg in seiner Rücktrittsrede anpries, könne kaum die Rede sein. Der fränkische Freiherr hatte zwar zahlreiche Neuerungen angeschoben – doch nicht abschließend entschieden: Außer dem Aussetzen der Wehrpflicht zum Sommer dieses Jahres ist völlig offen, wie der Bund künftig das öffentliche Gut Sicherheit produzieren soll. 31,5 Milliarden Euro stehen dafür allein in diesem Jahr bereit – und sollten möglichst effizienter eingesetzt werden.

„De Maizière hat viel Potenzial, die Weichen zu stellen“, sagt Hilmar Linnenkamp von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät. „Er ist da nicht gebunden an seinen Vorgänger, denn der hat eher so getan, als ob er Weichen stellt.“

Von dem neuen Minister wird die Quadratur des Kreises gefordert:

Die Truppenstärke hängt vor allem vom Streitkräfte-Budget für die kommenden Jahre ab. Bringt die geplante Reform aber nicht die beschlossenen 8,3 Milliarden Euro Einsparung, wankt die Konsolidierung des Bundeshaushalts.Ob die Bundeswehr genügend Freiwillige, gerade bei den Mannschaften, gewinnt, werden erst die künftigen Bewerberzahlen zeigen. Bislang meldeten sich deutlich weniger als erhofft. Die Truppe muss zum attraktiven Arbeitgeber mutieren: mit Prämien für Bewerber, aber auch mit konkurrenzfähigen Arbeitsbedingungen und Ausbildungsmöglichkeiten.Die Zahl der Zivilbeschäftigten richtet sich nach der Truppenstärke – derzeit sind es rund 103.000 Menschen auf 76 000 Vollzeit-Stellen. Doch noch im Dezember 2010 wurde ein Tarifvertrag fortgeschrieben, der jetzt bis 2017 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt.Größe und Struktur der Bundeswehr sind entscheidend für die Zahl der verbleibenden Standorte. Traditionell diente die Armee bislang als wichtiger Arbeitgeber in strukturschwachen Regionen.

Truppenstärke, Aufgabenprofil und Etat bestimmen, welche Technik sich das Militär in den nächsten Jahrzehnten leisten kann oder muss. Die Existenz einer nationalen Rüstungsindustrie hängt stark von der staatlichen Kaufkraft ab.

Erst ein Markstein ist gesetzt: Die Wehrpflicht, einst Heiligtum der Unionsparteien und binnen Jahresfrist zum Abschuss freigegeben, wird zum 1. Juli dieses Jahres faktisch abgeschafft – auch wenn das Gesetz, noch nicht vom Parlament verabschiedet, lediglich eine „Aussetzung“ vorsieht. Außer im Verteidigungsfall ist kaum vorstellbar, dass der verpflichtende Dienst junger Männer an der Waffe wieder eingeführt wird. Diese erstaunliche Kehrtwende hat in der Tat der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg vollbracht. Doch für die Folgen fehlt die Vorsorge.

Die Abschaffung der Wehrpflicht lässt die Zahl von heute 250.000 Soldatinnen und Soldaten drastisch schrumpfen. Das ist gewollt. Wie viele Männer und Frauen künftig in Uniform Dienst tun, bleibt offen – der gültige Kabinettsbeschluss „bis zu 185.000“ vom Dezember vergangenen Jahres lässt auch eine geringere Stärke zu.

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