Verteidigungsetat Minister-Auftrieb im Baltikum

Zwei Minister, eine Mission: Sigmar Gabriel und Ursula von der Leyen sichern den baltischen Staaten Solidarität gegenüber Russland zu. Doch die Reisen werden überschattet von einem viel profaneren Streitthema.

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Bundesaußenminister Gabriel besuchte das von der Bundeswehr angeführte Nato-Bataillon auf dem Militärstützpunkt im litauischen Rukla. Quelle: dpa

Ämari/Rukla Eigentlich war es ganz anders geplant. Außenminister Sigmar Gabriel wollte schon vergangene Woche ins Baltikum reisen. Doch dann wurde der SPD-Politiker krank und musste seine Antrittsreise verschieben. Nun überschneidet sich sein Besuch am Donnerstag ausgerechnet mit der Reise der Kabinettskollegin, mit der er gerade tüchtig im Clinch liegt: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). 

Die beiden streiten öffentlich darum, wie viel Geld Deutschland in die Verteidigung stecken soll. Ein Nato-Beschluss verlangt, dass die Mitgliedsstaaten bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär ausgeben sollen. Von der Leyen steht voll dahinter, Gabriel bezeichnet das Ziel als „völlig unrealistisch“ - und von der Leyen als „naiv“. 

Um die zwei Prozent zu erreichen, müssten die Ausgaben in Deutschland pro Jahr um fast zehn Prozent steigen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz selbst eingeschränkt, dass Deutschland seinen Verteidigungsetat nicht um mehr als acht Prozent im Jahr erhöhen könne. Für sie sind die zwei Prozent aber eine anzustrebende Zielmarke.

Gerade in Estland, Lettland und Litauen wird die Auseinandersetzung in Deutschland genau verfolgt. Dabei haben Gabriel und von der Leyen am Donnerstag eigentlich die gleiche Mission: Beistand zusichern, Geschlossenheit demonstrieren, Solidarität zeigen mit den kleinen Nato-Verbündeten im Osten. Denn die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen grenzen an Russland und haben deshalb Angst. Seit sich Moskau die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim einverleibt hat, wächst im Baltikum die Sorge vor einer russischen Invasion - und folglich wächst auch die Präsenz der Nato an ihrer Ostflanke.

Die Nato stationiert gerade in jedem der drei baltischen Länder und in Polen etwa 1000 Soldaten. Die Bundeswehr hat die Führungsrolle in Litauen übernommen. Gabriel trifft sich in einem Zelt auf dem Kasernengelände in Rukla mit Soldaten, fragt nach ihren Erlebnissen und berichtet von seiner eigenen Bundeswehrzeit. Viele Strukturen und Abläufe müssten sich noch finden, berichtet ihm ein Hauptmann. Vom Streit Gabriels mit ihrer Dienstherrin bekommen die Soldaten nichts mit. Das Sicherheitsbedürfnis der Balten sei „riesengroß“, sagt Gabriel nach der Begegnung. Er versichert: Die Deutschen würden sich an dem Nato-Einsatz beteiligen, „solange es nötig ist“.

Währenddessen steht von der Leyen auf dem Militärflugplatz Ämari in Estland, es ist kalt und nass. Zwei Eurofighter sind eben aus dem Hangar gerollt und für einen Übungsflug mit ohrenbetäubendem Lärm in den Wolken verschwunden. „Ich hoffe, Sie fühlen sich wie Zuhause“, sagt der estnische Verteidigungsminister Margus Tsahkna zu seiner Amtskollegin. Er betont das „gemeinsame Verständnis von einem Bedrohungsgefühl“. „Wir müssen als Verbündete zusammenhalten.“

Auch die Luftüberwachung der Nato im Baltikum wurde nach Ausbruch der Ukraine-Krise verstärkt. Fünf Eurofighter und 140 Bundeswehr-Soldaten sind derzeit in Ämari stationiert. Denn die Baltenländer haben keine eigene Luftverteidigung. Die Nato und Russland werfen sich gegenseitig vor, dass ihre Kampfjets bei Übungsflügen über der Ostsee teils ihre Transponder abschalten. Diese Geräte übermitteln wichtige Angaben wie etwa Kennung und Position. Weil das für die zivile Luftfahrt gefährlich ist, identifizieren die Jagdflieger der Nato immer wieder die russischen Kampfjets und begleiten sie übers Meer.

Sie können sich fest auf uns verlassen, verspricht von der Leyen den Esten. Bei der Steigerung des deutschen Wehretats gehe es auch um Verlässlichkeit gegenüber Nato-Partnern. Später verleiht ihr die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite in Vilnius gar einen Orden für den deutschen militärischen Beistand.

Die Ehre eines Ordens wird Gabriel auf seiner Osteuropa-Antrittsreise nicht zuteil. Wie auch, schließlich ist der SPD-Politiker erst seit Ende Januar im Amt. Möglicherweise gab es wegen des Nato-Zoffs aber auch Zweifel an der Angemessenheit einer solchen Auszeichnung. Großen Gegenwind bekam der Außenminister aber auch nicht zu spüren - mit Blick auf das bisherige Engagement in der Region und die Belastungen durch die Flüchtlingskrise zeigten die Balten sogar Verständnis.

Und letztlich hatte Gabriel ja auch noch eine andere Botschaft im Gepäck: Noch vor einem Besuch in Polen hat ihn der Weg ins Baltikum geführt. Für die einen der Ausdruck von Wertschätzung, für Gabriel das Signal: Europa funktioniert nicht ohne die kleinen Staaten.

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