Die deutschen Steuerzahler können auf eine milliardenschwere Entlastung hoffen. Denn ab 1. August muss der sechsprozentige Zinsaufschlag auf Steuernachzahlungen fallen. So will es das Bundesverfassungsgericht. Doch bei der Umsetzung der Karlsruher Entscheidung vom vorigen Sommer tut sich die Politik schwer. Seit Wochen ringen die Steuerabteilungsleiter von Bund und Ländern um einen neuen gemeinsamen Fiskalzins. Klar ist bisher nur, dass dieser sinkt. Aber auf wie viel? Auf drei, null oder irgendetwas Krummes dazwischen?
Die bürokratischste Position vertritt ausgerechnet das inzwischen FDP-geführte Bundesfinanzministerium. So sprach sich die Parlamentarische Staatssekretärin Katja Hessel (FDP) gegenüber der Zeitung „Die Welt“ für einen flexiblen Zinssatz aus, in Anlehnung an den Basiszinssatz der Bundesbank. Dieser aber wird ständig neu festgesetzt. Folglich müssten die Finanzbehörden ständig einen neuen Zins anwenden, wenn sie Steuernachforderungen oder auch -erstattungen ermittelt haben.
Nur kein variabler Satz
Von einem ständig variierenden Zinssatz halten die Länderfinanzminister aber herzlich wenig, da sie auf ihre Behörden zusätzliche Arbeit zukommen sehen. Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) plädiert für einen festen Zinssatz von maximal drei Prozent, der durch zwölf teilbar sein sollte – weil die Verzugs- und Erstattungszinsen pro Monat festgesetzt werden. Baden-Württemberg und Hamburg machen sich sogar für einen Zinssatz von null stark.
Noch weiter gehen die Finanzminister Bayerns, Albert Füracker, und Hessens, Michael Boddenberg. Sie wollen den Zins komplett abschaffen. „Aufwand und Ertrag stehen hier in keinem angemessenen Verhältnis“, sagt Boddenberg. Und Füracker verweist darauf, dass der Zins für den Staat zuletzt zum Verlustgeschäft wurde, seit die Erstattungszinsen höher als die Verzugszinsen ausfallen.
Um das seit dem vergangenen Sommer zaudernde Bundesfinanzministerium zum Handeln zu drängen, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Donnerstag einen Antrag eingebracht, das Karlsruher Urteil zügig umzusetzen. Von einer „Tatenlosigkeit des früheren Bundesfinanzministers Olaf Scholz“ spricht der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe Sebastian Brehm, doch nun müsse sein Amtsnachfolger in die Puschen kommen. Ohnehin sei es ein Skandal, dass es erst eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts bedürfe, um die Fehlentwicklung zu beenden.
Sechs Milliarden Euro pro Prozentpunkt
Die Zurückhaltung des Bundesfinanzministeriums hat einen besonderen Grund, der über die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen hinausgeht. Es geht um die Verzinsung von Pensionsrückstellungen in den Steuerbilanzen der deutschen Unternehmen, die sich auf hunderte Milliarden Euro summieren. Jede Senkung des Rückstellungszinses um einen Prozentpunkt dürfte zunächst sechs Milliarden Euro an jährlichem Steuerausfall bedeuten, so interne Schätzungen im Bundesfinanzministerium. Dass aber die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nun kräftig sinken und der Rückstellungszins bei, nun ja: sechs Prozent bleibt, dürfte schwer zu erklären sein.
Deshalb erklärte Finanzstaatssekretärin Hessel, als sie noch Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag war, dass es dringenden Handlungsbedarf über die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen hinaus gebe – nämlich auch bei den Stundungs-, Hinterziehungs-, Aussetzungs- und Rückstellungszinsen. Hessel sagte der WirtschaftsWoche Ende September 2021: „Anscheinend will man die nächste Verurteilung durch das Bundesverfassungsgericht abwarten.“
Tatsächlich ist in Karlsruhe noch ein Verfahren zur sechsprozentigen Verzinsung von Pensionsrückstellungen anhängig, das die renommierte Kölner Steuerrechtlerin Johanna Hey für einen Bonner Unternehmer führt. Stellt sich nun die Frage, ob das mittlerweile FDP-geführte Bundesfinanzministerium alle fiskalischen Zinsen der Realität anpasst.
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