Viel Aufwand, wenig Personal Bundeswehr zwischen Wollen und Können

Die Bundeswehr steckt in der Krise. Sie muss sich neu ausrichten, um den aktuellen Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden. Dabei spielen steigende Kosten und Personalmangel eine zentrale Rolle. Ein Gastbeitrag.

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Ein Bundeswehrsoldat der Schnellen Eingreiftruppe in Masar-i-Scharif (Afghanistan). Viele Kameraden sind längst nicht so gut ausgerüstet wie die Spezialeinheit. Quelle: dpa

Plötzlich ist Sicherheit ein deutsches Thema. „Das“ Thema. Sowohl die Sicherheit nach innen als auch die Sicherheit nach außen. Die Gründe kennt jeder: Terror und mögliche Bedrohungen von außen treffen und betreffen Deutschland und Westeuropa mehr als je zuvor in den vergangenen Jahrzehnten.

Sicherheit nach innen ist Aufgabe der Polizei, Sicherheit nach außen Aufgabe des Militärs. Ergo stehen Polizei und Bundeswehr nicht nur im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie werden – man staune nicht – erstmals seit langem in der allgemeinen Debatte mit Wohlwollen bedacht. Nur noch für Unbelehrbare sind Polizisten „Bullen“ oder Soldaten „Mörder“. Personal und Material von Polizei und Bundeswehr sollen ausgebaut werden. Das ist neudeutscher Konsens. Schauen wir auf einen Aspekt der Bundeswehr: das Personal.

Ursula von der Leyen kippte mit der starren Personalobergrenze im Mai wieder eine Säule der Bundeswehrreform ihrer beiden Vorgänger. Dies war nicht nur politisch richtig und wichtig, sondern auch militärstrategisch zwingend erforderlich. Sie bewies damit, dass sie mutig und entschlossen genug ist, gravierende Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

Ein Rückblick: Vor genau sechs Jahren hielt der damalige Bundesminister der Verteidigung, Karl Theodor zu Guttenberg, an der Führungsakademie der Bundeswehr eine Grundsatzrede, in der er die Zukunftsstrategie der Bundeswehr skizzierte: „Der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non, unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muss, ist die von mir schon apostrophierte Schuldenbremse, ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel der Haushaltskonsolidierung, ein Ziel, das uns immer mittelbar wie unmittelbar auch trifft.“

Auf gut Deutsch: Die Bundeswehr kann zukünftig nur so viel leisten, wie sie kosten darf. 2010 waren der arabisch-muslimische Weltbürgerkrieg und Putins Expansionismus bereits unaufhaltsam im Entstehen begriffen. Die politische Führung der Bundeswehr antwortete aus finanziellen Gründen darauf mit Personal- und Material-Obergrenzen. Dass diese Strategie scheitern musste, erscheint aus zweierlei Gründen zwangsläufig:

  1. Die außen- und sicherheitspolitischen Kontrahenten Deutschlands interessieren sich nicht für diese oder andere von deutschen Politikern markierte Obergrenzen. Die Ankündigung der Nato, je ein rotierendes, zusätzliches Bataillon (rund 750 Soldaten) in den baltischen Staaten stationieren zu wollen, beantwortete unlängst Russland mit der geplanten Aufstellung von drei Divisionen mit je mehr als 30.000 Soldaten entlang seiner Grenzen.

  2. Die Einführung der 41-Stundenwoche hat der Bundeswehrführung gezeigt, dass Arbeitszeit endlich ist. Wenn man also mehr Aufgaben erledigen möchte, kann man nicht mehr die Zeit erhöhen, sondern muss mehr Arbeitskraft investieren.

Ähnlich kurzsichtig war das geplante Dynamische Verfügbarkeitsmanagement der Bundeswehr. Alle Kampf- und Kampfunterstützungsverbände sollten nur noch rund 35 Prozent ihrer gepanzerten Fahrzeuge behalten. Für Übungen und Ausbildungen hätten die Soldaten zwei Jahre im Voraus zusätzliche Panzer oder Leasingautos aus einem Materialpool buchen müssen. Ganz im Sinne der Guttenberg‘schen Spardoktrin war das ein illusorischer und peinlicher Versuch, Geld durch weniger Fahrzeuge einzusparen.
Von der Leyen ließ das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement aufgrund der veränderten Sicherheitslage sinnvollerweise fallen. Zwei Jahre im Voraus lassen sich weltweite Krisen eben nicht planen. Weder in Bezug aufs Personal noch Material.


Mangel an Fachpersonal

Die Ministerin möchte folgerichtig die Zahl der Soldaten um 6.900 zu erhöhen, um den gewachsenen Herausforderungen zu begegnen. Diese Aufgabe ist ähnlich schwierig, wie einen rasenden Zug vor einem nahenden Gleisbruch zum Stehen zu bringen.
Zunächst ist die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten in den letzten drei Jahren von 176.000 Soldaten langsam, aber kontinuierlich unter die angestrebte Sollstärke von 170.000 auf aktuell 167.000 Soldaten gefallen. Dies ist Ausdruck des enormen Konkurrenzdrucks des freien Arbeitsmarktes, der es der Bundeswehr vor allem im wirtschaftsstarken Süden erschwert, ausreichend Nachwuchs zu gewinnen.

Zuvor hatte die Bundesregierung aktiv den Abbau der ehemals 195.000 Zeit- und Berufssoldaten mit ihrem Reformbegleitgesetz eingeleitet. Anhand der sogenannten Altersbänder 1 bis 3 wurde es Zeit- und Berufssoldaten ermöglicht, ohne finanzielle Einbußen ihre Dienstzeit zu verkürzen oder in Frühpension gehen zu können. Die zwanghafte Realisierung der Personalobergrenze war der Motor dieser absurden Personalpolitik, zumal Frühpensionäre die Personalkosten nur in einen anderen Haushaltstopf verschieben. Insgesamt betrachtet ging damit viel qualifiziertes Personal verloren, das jetzt wieder händeringend gesucht und gebraucht wird.

Problematisch ist derzeit nicht der Nachwuchs an Mannschaftssoldaten, den die Bundeswehr inzwischen auch ohne Wehrpflicht decken kann. Ob das so bleibt, ist fraglich. Offenbar glaubt man selbst im Verteidigungsministerium nicht recht daran. Wie sonst lässt es sich erklären, dass laut darüber nachgedacht wird, ob und wie EU-Bürger für die Bundeswehr gewonnen werden können. Wie ließe sich diese Entwicklung mit dem Leitbild des bezahlten oder fast unbezahlten „Bürgers in Uniform“ vereinbaren?

Schwerwiegender ist bereits jetzt der Mangel am Fachpersonal. Man denke an Informatiker. Sie und vergleichbare Berufsgruppen werden nach ihrer Fachausbildung in der Regel den Weg in die wesentlich lukrativeren Industrie- und Dienstleistungsbetriebe wählen. Hierbei zählt nicht nur das Geld, sondern auch das weiterhin kritische Ansehen des Soldatenberufes in Deutschland. Der Soldatenberuf ist nicht nur gefährlich, sondern in vielen Bevölkerungskreisen auch nicht gut gelitten. 600 neue Dienstposten im Fachbereich IT zu besetzen, ist daher eine Herkulesaufgabe, zumal immer weniger Akademiker ohne Wehrpflicht mit der Bundeswehr in Berührung kommen werden.

Dass dieses Fachpersonal mit flotten Plakat-Sprüchen wie „Wir machen Karrieren und Olympiasieger“ oder vergleichbar oberflächlichen Parolen gewonnen werden kann, darf bezweifelt werden. Wer sich für die Bundeswehr eher als für ein IT-Unternehmen entscheidet, lässt sich so nicht motivieren. Wer Qualifikation braucht, kann auf ernstzunehmende Motivation nicht verzichten. Weniger denn je ist heute Sicherheitspolitik ohne Intelligenz möglich. Sprücheklopfen ist weder gute Sicherheits- noch Personalpolitik. Weder nach innen noch nach außen.

Der Historiker und Publizist Prof. Dr. Michael Wolffsohn ist u.a. Autor der Bücher „Zivilcourage“ (2016), „Zum Weltfrieden“ (2016), „Wem gehört das Heilige Land?“ (13. Auflage 2016), „Israel“ (8. Auflage 2016)
Maximilian Beenisch ist Staats- und Sozialwissenschaftler.

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