Vierte Impfung Warum sich der Omikron-Impfstoff verzögert

Ein, zwei, drei - und vier? Während Hersteller wie Biontech bereits im März Millionen Dosen des Omikron-Impfstoffs liefern wollen, lässt sich die europäische Zulassungsbehörde EMA Zeit mit einer Entscheidung über ihre Strategie.   Quelle: REUTERS

Biontech will bald den angepassten Omikron-Impfstoff liefern, doch die Arzneimittelbehörde EMA lässt sich Zeit. Lauterbach sieht ein „Problem“ – und wünscht sich mehr Tempo. 

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Die EU-Kommission hat bei Biontech „All Inclusive“ gebucht: Gibt es eine neue, dominierende Corona-Variante, passt das Unternehmen den Impfstoff ohne Aufpreis an, so steht es nach Angaben von Verhandlerkreisen im Vertrag – eine kluge Entscheidung aus Brüsseler Sicht angesichts der vielen Virusvarianten. 

Alpha, Delta und nun Omikron: Seit der Ursprungsform, dem sogenannten Wildtyp, hat es bereits mehrere dominierende Corona-Mutationen gegeben. Die derzeit verfügbaren Impfstoffe sind auf die ersten beiden Varianten hin entwickelt worden, Omikron macht aber nun eine Anpassung notwendig. Denn auch Geimpfte können sich mit Omikron anstecken, wobei die bisherige Impfung sie weiter vor einem schweren Verlauf schützt.    

Doch während Biontech erste Dosen des Omikron-Impfstoffs bereits in wenigen Wochen liefern könnte, zögert und zaudert die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA bei der Zulassung. Trotz der Rekordzahlen an Infektionen bremst die Behörde mit Sitz in Amsterdam den Booster vorerst aus – weshalb womöglich Länder außerhalb der EU schneller bedient werden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von einem „Problem“.

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Biontech kann ab März liefern, muss aber warten 

Erst Anfang November war die Omikron-Variante in Südafrika entdeckt worden, schnell kündigten die Hersteller Moderna und Biontech eine Anpassung des Impfstoffs an. Ende Januar will Biontech nun die klinischen Studien beginnen, sagte Unternehmenschef Uğur Şahin vergangene Woche, parallel haben die Mainzer bereits mit der Produktion begonnen.

50 bis 100 Millionen Dosen könnten bereits im März ausgeliefert werden – die EMA aber will erst Richtung Mai über eine Zulassung entscheiden, erklärte Marco Cavaleri, Impfstrategie-Chef der EMA, vergangene Woche. Das dürfte aber deutlich zu spät sein für die aktuelle Omikron-Welle, die nach WHO-Angaben bis Frühjahr „halb Europa“ mit Corona infizieren wird.  

Für die Grippe gibt es eingespielte Verfahren  

Dabei müsste der EMA klar gewesen sein, dass im Verlauf der Pandemie früher oder später eine Anpassung des Impfstoffs notwendig sein wird. Trotzdem hat die Behörde bisher offensichtlich keinen entsprechenden Fahrplan entwickelt. Für die Grippeschutzimpfung ist das Verfahren dagegen bereits eingespielt.

So gibt die Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr jeweils für die versetzt beginnende Grippesaison auf der Nord- und Südhalbkugel vor, auf welche Varianten der Impfstoff angepasst werden soll, um eine möglichst hohe Immunität zu erreichen. Etwa sieben Monate vor Beginn der jeweiligen Saison können die Hersteller entsprechend mit der Produktion beginnen.

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Wohin mit den Millionen-Dosen? 

Solche Blaupause gibt es für Corona aber noch nicht – weshalb Biontech jetzt erstmal quasi ins Blaue hinein produzieren muss. Denn die EMA hat viele Fragen noch nicht geklärt: Will sie einen Impfstoff, der auf Delta und Omikron angepasst wird, also einen sogenannten Multivarianten-Impfstoff. Oder wird Omikron so dominierend sein und bleiben, dass ein Monovarianten-Impfstoff reicht.

Und überhaupt: Was passiert mit den Millionen Dosen des Ursprungsimpfstoffs? Denn sobald es eine Entscheidung gibt, dürften viele Bürgerinnen und Bürger den „neuen“ Impfstoff haben wollen. Angesichts der Verträge und der Pandemieentwicklung kann Biontech die Produktion jetzt aber auch nicht einfach pausieren.

Wer zulässt, wird bedient

Die Millionen-Dosen des Omikron-Impfstoffs dürften im März deshalb erstmal ins Lager wandern – wo sie aber wohl kaum bis Mai stehen dürften. Zwar hat sich die EU ein Vorkaufsrecht gesichert, aber wenn Länder wie Israel und Großbritannien womöglich schneller über die Zulassung entscheiden, werden sie wohl auch als erste bedient.

In Israel läuft bereits die vierte Impfung, allerdings noch mit dem ursprünglichen Impfstoff von Biontech/Pfizer – und mit einem offenbar bisher wenig befriedigenden Ergebnis: Man beobachte auch bei vierfach Geimpften Ansteckungen mit der Omikron-Variante, sagte Gili Regev vom Schiba-Krankenhaus bei Tel Aviv am Montagabend, wie die dpa berichtete.

Zwar sei zwei Wochen nach einer vierten Dosis ein „schöner Anstieg“ der Antikörper zu beobachten. „Aber für Omikron ist dieser schöne Wert nicht genug.“ Nach Angaben von Regev handelt es sich um Zwischenergebnisse – die Studie zeigt aber offenbar, dass eine Anpassung des Impfstoffs auf Omikron sinnvoll sein dürfte.

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Lauterbach wünscht sich „schnelle Zulassung“

Amsterdam aber wartet ab, worüber Gesundheitsminister Lauterbach unzufrieden wirkt. „Es gibt keinen politischen Druck“, sagte er zwar am Freitag, betonte aber zugleich: „Wir wünschen uns eine schnelle Zulassung“. 

Deutschland ist über das Paul-Ehrlich-Institut in der EMA vertreten und dürfte in den entsprechenden Gremien für mehr Tempo werben. Auch mit den Impfstoffherstellern Biontech und Moderna führt das Ministerium Gespräche über die vierte Impfung und den angepassten Impfstoff. „Wir sind uns des Problems bewusst“, erklärte Lauterbach angesichts der langen Zeitspanne zwischen März und Mai.

„Bei der Zulassung darf keine Zeit verschwendet werden“, fordert auch Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. „Die neue Generation angepasster Impfstoffe hat großes Potenzial. Darum sollten sie möglichst schnell verfügbar sein“, sagte er der WirtschaftsWoche. „Im Zweifel gilt aber: Qualität vor Tempo. Vor allem für das Vertrauen in neue Impfstoffe ist das wichtig.“

EMA sorgt sich um „Impfmüdigkeit“

EMA-Impfstrategie-Chef Cavaleri warnte vergangene Woche jedoch vor zu vielen Boostern. Auffrischungsimpfungen alle vier Monate könnten die Immunreaktion schwächen, sagte er. Auch würden die Menschen womöglich „Impfmüde“ werden. Denkbar sei deshalb, dass der Corona-Booster jeweils an den Start der Erkältungssaison gekoppelt werde, womöglich dann auch in Kombination mit dem Grippeimpfstoff.

Moderna entwickelt einen solchen kombinierten Covid/Grippe-Impfstoff, bis Herbst 2023 soll er zumindest in einigen Ländern verfügbar sein, erklärte Vorstandschef Stephane Bancel am Montag. Vorher will Moderna ebenfalls einen Omikron-Impfstoff liefern, im März soll es dazu erste Daten geben. 



Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat ebenfalls noch nicht über einen Omikron-Impfstoff und die Notwendigkeit einer vierten Impfung entschieden. Eine Auffrischungsimpfung scheine aber „erforderlich zu sein, um einen optimalen Schutz gegen die Omikron-Variante zu gewährleisten“, teilte eine Sprecherin mit. Damit klingen die Amerikaner bereits entschiedener als die EMA in Amsterdam.

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