Als Olaf Scholz am Dienstagnachmittag im hessischen Allendorf an der Eder eintrifft, war das nicht sein erster Besuch bei der Unternehmensgruppe Viessmann. Schon in seiner Zeit als Bundesarbeitsminister war er einmal dort, ebenso wie seine Amtsvorgängerin Angela Merkel, die der Familie Viessmann bereits 2017 zum 100. Firmenjubiläum ihre Aufwartung machte. Jetzt aber geht es nicht um Auszeichnungen und runde Geburtstage, sondern um ein handfestes Problem – den Klimaschutz im Gebäudesektor.
Zwar sind die Deutschen angesichts des drohenden Gasmangels schon froh, wenn im kommenden Winter ihre Wohnungen überhaupt irgendwie warm bleiben. Jenseits der von den russischen Gaslieferungen abhängigen Versorgungsfrage aber steht der Klimaschutz als unerreichtes Ziel im Mittelpunkt. Hier müssen vor allem im Wärmesektor noch erhebliche Defizite beseitigt werden, wenn die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Versprechen im Klimaschutz erfüllen will.
„Nicht in Perfektion sterben“
Zentrale Frage ist deshalb, wie schnell es in Deutschland gelingen kann, Millionen alter Heizungen auszutauschen, zumal Gasheizungen neben Ölkesseln ebenfalls ersetzt werden müssen. Max Viessmann, der 2017 in die Unternehmensspitze aufgerückt ist und sein Vater Martin Viessmann, wollen Scholz am Dienstag erklären, welchen Beitrag sie dazu leisten können. Bei Neubauten solle man auf Wärmepumpen setzen, in Kombination mit Fotovoltaik und einem Stromspeicher, empfiehlt CEO Max Viessmann.
Kompliziert wird die Sache allerdings bei Bestandsgebäuden, räumt er ein, vor allem bei Häusern aus der Vorkriegszeit. Einen klassischen Altbau bekommt man mit einer normalen Wärmepumpe im Winter nicht ausreichend geheizt, außerdem wäre der Stromverbrauch dann enorm hoch.
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Allerdings sind rund 85 Prozent der Altbauten in Deutschland nicht saniert – und trotz aller Förderung des Fiskus werden nur rund ein Prozent pro Jahr erneuert. „Die größte Herausforderung ist die Dekarbonisierung der Städte“, sagt Viessmann deshalb. Besonders bei den Altbauten brauche man neuartige, digital gesteuerte Kombinationen aus Fernwärme, Geothermie und so genannten Booster-Wärmepumpen. Viessmann fordert „pragmatische Lösungen“, man dürfe bei diesem gewaltigen Vorhaben „nicht in Perfektion sterben“.
Das klingt alles gut, ist aber technisch wie politisch äußerst kompliziert. Scholz, der einmal Bundesfinanzminister war, weiß dass er auch mit noch so viel Förderung das Problem nicht so schnell lösen kann, wie es angezeigt wäre. Außerdem ist Scholz auch noch Sozialdemokrat und hat immer die Frage im Hinterkopf, ob Millionen Mieter mit Normaleinkommen, die überwiegend in älteren Häusern wohnen, die enormen Kosten stemmen können, die mit neuen Heizungen auf sie zukämen – zusätzlich zu den ohnehin schon explodierenden Energiekosten.
Hier ist aus der Sicht des Kanzlers politische Vorsicht angebracht, die Menschen sind ohnehin schon beunruhigt. Zwar sind zunächst die Eigentümer der Immobilien gefragt, aber wenn sie die Investitionen nicht auf die (stark gestiegenen) Mieten umlegen können, werden sie den Einbau neuer Heizungen so lange wie möglich hinausschieben.
Dem hat die Bundesregierung allerdings einen Riegel vorgeschoben. Denn schon ab 2024 dürfen die Hauseigentümer nur noch Heizungen einbauen, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das bedeutet eigentlich das „Aus“ für die klassische Gasheizung, aber angesichts des Protestes und der Bedenken von Experten hat die Ampelkoalition die Austauschpflicht für die Altheizungen modifiziert. Es soll doch längere Übergangsfristen geben, die beteiligten Ressorts von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) beraten über Details. Scholz jedenfalls weiß um die politische Sprengkraft des Heizungsthemas – vor allem mit Blick auf die sozialdemokratische Wählerklientel.
Boom bei Wärmepumpen
Für die Firma Viessmann sind die steigenden Anforderungen an den Klimaschutz im Gebäudesektor allerdings ein gutes Geschäft, auch wenn es wegen des Mangels an geeigneten Handwerkern immer schwieriger wird, die entsprechenden Produkte auch zu verbauen.
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Natürlich setzt der Hersteller von Heiz- und Klimatechnik stark auf moderne Wärmepumpen. Der Umsatz mit diesen Geräten stieg im Geschäftsjahr 2021 mit einem Plus von 41 Prozent stärker als der Gesamtumsatz, der um 21 Prozent zulegte. Zu den neuen, wachsenden Geschäftsfeldern gehören auch Dienstleistungen rund um erneuerbare Energien.
Das Familienunternehmen hat weltweit rund 13.000 Beschäftigte und erzielte 2021 einen Umsatz von 3,4 Milliarden Euro, davon die Hälfte im Ausland. Der Gewinn lag 2020 bei 223,9 Millionen Euro, die abschließende konsolidierte Bilanz für 2021 ist noch nicht veröffentlicht. Das Gespräch mit dem Kanzler führt die Unternehmensspitze hinter verschlossenen Türen – ein öffentlicher Termin mit Scholz ist nicht vorgesehen, höchstens ein kurzes Foto – wahrscheinlich ohne Wärmepumpe.
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