Viktor Orbán zu Besuch bei der CSU Seehofers Grenzschutzkapitän

Bei seinem Besuch in Bayern fordert der ungarische Regierungschef, dass sich die EU ums Wesentliche kümmern soll, sonst sei „ein Staat kein Staat mehr“. Die CSU spendet Applaus – und will ein mitteleuropäisches Bündnis.

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„2018 ist das Jahr der Wiederherstellung des Volkswillens.“ Quelle: dpa

Seeon Die Nachricht verbreitete sich im Kloster Seeon wie ein Lauffeuer: Viktor Orbán, der Ministerpräsident Ungarns, werde um Viertel nach zwölf eintreffen. CSU-Chef Horst Seehofer, der Fraktionschef der Konservativen im Europäischen Parlament, Manfred Weber und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellten sich an der Zufahrt des Klosters auf, die Journalisten postierten ihre Kameras, um ja kein Bild vom vielkritisierten Staatschef zu verpassen. Dann flackerte Blaulicht auf. Sieben schwarze Transporter fuhren vor. Aus einem stieg Orbán. Gemeinsam schritt er mit den CSU-Vertretern für erste Bilder vor die Fernsehkameras, dann vor die Linsen der Fotografen. Danach verschwanden sie wortlos zu einem Mittagessen im kleinen Kreis, bevor es dann zum Tagungsort der CSU-Landesgruppe ging, die im Chiemgau ihre alljährliche Klausurtagung abhielt.

Wenn Horst Seehofer und der 54-jährige Ungar aufeinander treffen, dann bedeutet das in der Regel für Angela Merkel nichts Gutes. Beide sind erbitterte Gegner einer Flüchtlingspolitik, wie sie Merkel mit ihrer offenen Grenze von 2015 praktiziert hatte. Beide fordern den konsequenten Schutz der Grenzen, wobei Orbán es auch ablehnt, über ein Quotensystem in Europa Flüchtlinge aufzunehmen. Darüber hinaus führt er die Gruppe der mittel- und osteuropäischen Staaten an, die sich mit der Europäischen Union anlegen und muss mit dem Vorwurf leben, die Menschenrechte in seinem Land sukzessive einzuschränken. Dieses Mal aber störte das Treffen vor allem die erhoffte Ruhe für die am Sonntag beginnenden Gespräche der Union mit der SPD, die sich mühen, eine neue Koalition und damit eine neue Regierung zu begründen.

Nach dem Treffen kündigte Seehofer eine vertiefte Zusammenarbeit Bayerns mit den mitteleuropäischen Staaten an. Er sprach von einem „mitteleuropäischen Bündnis“, das er persönlich auf den Weg bringen werde. Es gehe um eine engere Zusammenarbeit, um die „Zukunftsaufgaben in Europa“ zu lösen. Orbán bekannte sich zu wirtschaftlichen Reformen, die jeder Staat in Europa auf den Weg bringen und sicherstellen müsse. Ungarn sei mit seiner Wirtschaft auf einem guten Weg. Zur Flüchtlingspolitik sagte er an Seehofer gewandt: „Betrachten Sie mich nach wie vor als ihren Grenzschutzkapitän.“ Der Zaun in Ungarn garantiere, dass keine Flüchtlinge mehr nach Bayern kämen.

SPD-Forderungen gegen CSU-Kurs

Zugleich rechtfertigte er seine Haltung: In Europa hätten Spitzenpolitiker vielerorts „nicht das getan, was das Volk wollte“. Das Volk wolle keinen Terror, sondern Sicherheit und geschützte Grenzen. Auch wolle es, dass Menschen ohne Schutzstatus zurück in ihre Heimat kehrten. „2018 ist das Jahr der Wiederherstellung des Volkswillens“, sagte Orbán. Fragen waren nicht gestattet.

„In Europa ist eine Spaltung zwischen den west- sowie den mittel- und osteuropäischen Staaten zu erkennen“, sagte der CSU-Europapolitiker Thomas Silberhorn dem Handelsblatt. Die Forderung der SPD und Martin Schulz, wer sich nicht an die Regeln der EU halte, solle gehen, sei nicht der Kurs der CSU. „Wir müssen wieder für eine gemeinsame Grundlage sorgen“, sagte er. Deshalb treffe sich die Landesgruppe gegen alle Kritik mit Orbán. Er habe eine führende Rolle unter den Viségrad-Staaten. „Wir müssen mit den Regierenden reden.“

Im Gespräch mit der Landesgruppe habe Orbán „historisch fundiert für die osteuropäische Sicht geworben“, sagte CSU-Fraktionsvize Georg Nüßlein dem Handelsblatt. „Seine Skepsis hinsichtlich der Integrierbarkeit vieler Muslime teile ich, genauso wie seinen Hinweis, dass von der Nation – nicht von Brüssel – entschieden werden muss, wer sich im Staatsgebiet aufhalten darf.“ Orban habe für seine Feststellung, dass „sonst ein Staat kein Staat mehr ist“, von den Kollegen „donnernden Applaus erhalten“.

Die Zukunft Europas wird auch bei den Gesprächen von CDU, CSU und SPD eine wichtige Rolle spielen. Bei der Sondierung sind die Parteivorsitzenden eigentlich nur in der engsten Runde vertreten, um die finalen Entscheidungen bei Streitfragen zu fällen. Bei der Europapolitik aber leiten sie die entsprechende Arbeitsgruppe. Schließlich gilt es, eine Reform der Europäischen Union auf den Weg zu bringen, die durch das Versagen in der Flüchtlingskrise, den Streit mit den Mittel- und Osteuropäern sowie den Ausstieg Großbritanniens aus der EU nötig geworden ist. Es gilt zudem eine Antwort auf die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Emanuel Macron zur Neuaufstellung Europas zu finden.

Wie es in der CSU hieß, habe Seehofer im kleinen Kreis die kritischen Punkte an Orbáns Politik angesprochen, so wie er es auch bei Besuchen in Moskau bei Wladimir Putin pflege. Auch Europapolitiker Weber verteidigte einerseits die Gespräche mit Orbán. Gleichzeitig kritisierte er Ungarns Verweigerungshaltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Sicherung der Außengrenzen sei zwar ein wichtiger Beitrag Ungarns gewesen, wofür Orban Unterstützung verdiene, sagte Weber. „Auf der anderen Seite ist er jemand, der verweigert, Menschen in Not aufzunehmen, und das ist nicht akzeptabel. Wir brauchen Lastenverteilung auf diesem Kontinent.“

Hardliner in der Flüchtlingspolitik indes erhalten inzwischen Unterstützung durch die neue österreichische Regierung. So brachte Vize-Kanzler Hans-Christian Strache (FPÖ) am Freitag eine Ausgangssperre von Flüchtlingen und deren Unterbringung in Kasernen ins Gespräch.

Viele Streitpunkte vor Sondierungsgesprächen

All diese Äußerungen richten sich letztlich nicht nur gegen die Haltung von CDU-Chefin Merkel und ihre Flüchtlingspolitik. Auch SPD-Chef Martin Schulz nutzte am Freitag den Besuch des ungarischen Staatschefs zur Kritik. Orbán verfolge eine „gefährliche Logik“, hatte er vor dem Treffen erklärt und von Seehofer klare Worte verlangt.

Derlei Sticheleien befördern indes nicht die ab Sonntag beginnenden Sondierungsgespräche in Berlin. Wie es hieß, habe es beim letzten Vorgespräch am vergangenen Mittwoch zwischen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sowie den Landesinnenministerin Boris Pistorius (SPD) und Joachim Herrmann (CSU) keine Annäherung bei den unterschiedlichen Auffassungen gegeben. Ein Streitpunkt ist etwa der Familiennachzug bei Flüchtlingen sowie die medizinische Bestimmung des Alters von jungen Flüchtlingen. Zum Familiennachzug, den die SPD nicht länger aussetzen will, sagte Schulz: „Deutschland muss sich an internationales Recht halten, unabhängig von der Stimmung im Land oder in der CSU.“

Ab Sonntag, so haben es die Vertreter der Parteien vereinbart, soll es keine öffentlichen Äußerungen mehr geben. Entsprechend nutzen die Spitzenpolitiker noch die Zeit bis dahin, um ihre Positionen ein letztes Mal medial abzustecken. Die stellvertretende Parteivorsitzende Manuela Schwesig nannte es am Freitag „befremdlich“, dass CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jetzt eine „konservative Revolution“ fordere. „Die Bürger erwarten keine Revolution, sondern sie erwarten eine stabile Regierung“, sagte Schwesig, die in Mecklenburg-Vorpommern eine SPD/CDU-Regierung anführt. Dies sei der Union bisher nicht gelungen. „Deshalb sind alle gut beraten, vernünftig und sachlich miteinander zu reden und keine Revolution auszurufen.“

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) verlangte Mäßigung von der CSU. Insbesondere die Positionen von Dobrindt seien „sehr schwierig für die SPD“, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende. Dobrindt hatte die SPD vor Vorschlägen aus der „sozialistischen Mottenkiste“ gewarnt und eine „bürgerlich-konservative Wende“ gefordert.

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