Volksbegehren gegen G8 Das Ende des Turbo-Abiturs hat einen Haken

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Peinlich für alle Parteien

Als vor 39 Jahren zuletzt in Nordrhein-Westfalen ein Volksbegehren erfolgreich war, stand die parlamentarische Opposition, also die CDU, eindeutig auf der Seite der Initiative „Stop KOOP“. Mit Hilfe der CDU gelang die Sammlung von über 3,6 Millionen Unterschriften. Um sich die blamable Niederlage in einem Volksentscheid zu ersparen, gab die von Johannes Rau geführte SPD-Landesregierung damals ihren Plan der „kooperierenden Schulen“ (eine Art Gesamtschulen) auf.

Die personelle, organisatorische und mobilisierende Unterstützung durch Oppositionsparteien fehlt der heutigen Anti-G8-Initiative vollständig. Die Eintragungsbögen mit den Unterschriften bei allen 396 Städten und Gemeinden wieder einzusammeln, wird zum Beispiel für Marcus Hohenstein und seine Mitstreiter eine Mammutaufgabe werden. Alle Kosten müssen sie zunächst selbst tragen, nur im Falle des Erfolges, wenn also der Landtag dem Gesetzentwurf der Initiative zugestimmt hat oder eine Volksabstimmung stattfand, werden sie später vom Land erstattet.

Warum kann sich die CDU-Opposition in Nordrhein-Westfalen nicht an die Spitze des Volksbegehrens setzen, das das Zeug hat, der Landesregierung mitten im Landtagswahlkampf die Hölle heiß zu machen?

Fast alle etablierten Bildungspolitiker der großen Landesparteien, CDU inklusive, stehen vor dem Problem, dass sie nach dem so genannten PISA-Schock weitgehend einhellig den Empfehlungen von OECD, Bertelsmann-Stiftung und Wirtschaftsvertretern folgten, die nach kürzeren Schulzeiten riefen. Es war die CDU-Bildungsministerin Barbara Sommer, die G8 an nordrhein-westfälischen Gymnasien einführen ließ. Darum kann auch die nordrhein-westfälische CDU das Volksbegehren nicht unterstützen, sondern muss angesichts des überdeutlichen Bürgerunwillens verschämt nach einem Weg zurück suchen, der nicht allzu offensichtlich wie das Eingeständnis eines kapitalen Fehlers aussieht.

Auch die Düsseldorfer Koalitionsparteien, SPD und Grüne, stehen in einer Zwickmühle. Als im März 2013 eine von der Dortmunder Schülerin Merle Ruge angestoßene Online-Petition gegen das Turbo-Abitur mit 10.225 Unterzeichnern dem Petitionsausschuss vorgelegt wurde, belächelte man die Schülerin noch. Doch der Widerwillen gegen G8 flaute nicht ab, sondern wuchs. Das wurde spätestens im April 2015 unübersehbar, als „G9 jetzt! NRW“ im Landtag 71 Aktenordner mit 112.355 Unterschriften vorlegte. Die machten den Weg zum Volksbegehren frei.

Bei SPD und Grünen hat sich herumgesprochen, dass auch bei der eigenen Klientel G8 ausgesprochen unattraktiv ist. Und die Landtagswahlen im Mai stehen kurz bevor. Gegen das Volksbegehren klare Kante zu zeigen, wäre selbstmörderisch. Also hält man die Füße weitgehend still und versucht es mit einem mühselig vernebelten Beidrehen.

Dass das Abitur nach 9 statt 8 Schuljahren an Gymnasien eine Option für Schüler werden soll, fordert die NRW-CDU. Allerdings ohne das Volksbegehren zu unterstützen. Die Regierungsparteien SPD und Grüne versuchen es mit einer Uminterpretation des Themas: Sie sperren sich weniger gegen G9 an sich, sondern vor allem gegen die zweite Forderung der Volksinitiative, nämlich die Rücknahme des mit G8 eingeführten Nachmittagsunterrichts (Hohenstein und seine Mitstreiter sprechen vom „Zwangsganztag“). Stattdessen soll unter den Schlagworten "Flexibilität" und "Individuelle Schulzeit" auf das jetzige Modell wahlweise ein weiteres Jahr unter gleichen Bedingungen draufgesattelt werden.

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