Volocopter „Ein Geschäftsführer kann die Oberbürgermeisterin auch mal an einem Sonntag anrufen“

2017 siedelte sich das junge Technologieunternehmen Volocopter in Bruchsal an. Quelle: imago images

Bruchsal, das waren Barockschloss und Spargelmarkt. Bis die Stadt plötzlich innovative Technologieunternehmen anlockte, so wie das mit Hunderten Millionen Euro finanzierte Flugtaxi-Start-up Volocopter. Wie geht das? Teil 4 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Cornelia Petzold-Schick ist Juristin und seit 2009 Oberbürgermeisterin der Stadt Bruchsal bei Karlsruhe.

WirtschaftsWoche: Frau Petzold-Schick, Ihnen ist geglückt, wovon Bürgermeister und Oberbürgermeisterinnen vielerorts träumen: Sie konnten 2017 das junge Technologieunternehmen Volocopter ansiedeln, das mit Flugtaxis unsere Verkehrsprobleme lösen will. Mittlerweile investieren Geldgeber Milliarden Euro in solche Firmen. Was haben Sie den Gründern versprochen, damit sie ausgerechnet zu Ihnen nach Bruchsal kommen?
Cornelia Petzold-Schick: Jedenfalls keine goldenen Wasserhähne. Volocopter, die übrigens schon in Bruchsal waren, bevor sie so bekannt geworden sind, sind die Spitze einer für uns glücklichen Entwicklung. Wir haben allerdings in den vergangenen Jahren mehrere erfolgreiche Start-ups gewonnen, zum Beispiel auch Cynora, das mit seinen Materialien faltbare Displays ermöglicht. Bruchsal ist im Vergleich zu München und Hamburg vielleicht kein besonderes Städtchen, aber wir bieten eine hohe Lebensqualität – und das ist heute wichtiger denn je, weil Unternehmen so stark um Mitarbeiter konkurrieren.

Als Sie ihr Amt vor elf Jahren angetreten haben, stand es allerdings schlecht um Ihre Stadt. Das wichtigste Kaufhaus in der Innenstadt hatte 2009 geschlossen, einer privaten Universität war das Geld ausgegangen…
… und wenig später hat Nokia-Siemens völlig unerwartet und trotz bestehender Standortsicherungsverträge sein Werk geschlossen, in dem 7.000 Menschen gearbeitet haben – bei damals gerade 40.000 Einwohnern. Die Leute hatten zu der Zeit das Gefühl, ihr prosperierendes Städtchen geht darnieder. Auch mein erster Haushalt war von Finanzproblemen gezeichnet: Die Hälfte der Gewerbesteuer war weggebrochen. 10.000 Quadratmeter Gewerbefläche mitten in der Stadt standen leer, nachdem Siemens den Standort aufgegeben hatte.

Cornelia Petzold-Schick ist Juristin und seit 2009 Oberbürgermeisterin der Stadt Bruchsal bei Karlsruhe. Quelle: Simone Staron

Viele Kommunen sind abhängig von einer Branche oder einem großen Unternehmen – und entsprechend anfällig, wenn es für die schlecht läuft. Wie lässt sich das ändern?
Also vorab: Bruchsal hatte auch früher schon einen gesunden Branchenmix. Aber es stimmt, nach der Schließung von Siemens wäre es am leichtesten gewesen, für die Fläche einfach eine große Spedition anzuwerben. Ich wollte aber eine nachhaltigere Ansiedlung. Also haben wir uns auf Start-ups und kleine Unternehmen konzentriert. Von Bruchsal ist es nicht weit nach Karlsruhe und in die Region Rhein-Neckar, ein Umfeld, das Veränderungen zugeneigt ist. Hier ist die Wissenschaft stark, mit dem Karlsruher Institut für Technologie zum Beispiel. Damals zeigte sich schon, dass die Digitalisierung kommt, auch wenn das Wort noch nicht so allgegenwärtig war wie heute. In diesem Kontext haben wir gesucht.

Der Wille ist das eine, aber wie zeigt man sich nach außen glaubhaft als zukunftsorientierter Standort, wenn man für sein Barockschloss und seinen Spargelmarkt bekannt ist?
Indem man innovativen Unternehmen Raum gibt. Man muss auch die notwendigen politischen Beschlüsse durchsetzen, zusammen mit dem Gemeinderat. Und man braucht Partner. Wir haben mit dem Projektentwickler Triwo einen gefunden, der versteht, worauf es bei der Ansiedlung von Technologieunternehmen ankommt. 

Wie sehr ärgern sich neidische Nachbarkommunen über Ihre Strategie?
Städte dürfen sich nicht abgrenzen und gegeneinander ausspielen lassen, sondern müssen in ihrer Region zusammenhalten und gute Beziehungen pflegen. Natürlich hat unsere große Oberstadt Karlsruhe ein ganz anderes kulturelles Angebot. Doch genau dieses Zusammenspiel macht uns aus. Umgekehrt akzeptieren mich meine Kolleginnen und Kollegen in den kleineren Umlandgemeinden, weil sie sehen, wie ein starkes Mittelzentrum auf sie ausstrahlt und sie ebenfalls profitieren.

Reicht das wirklich aus, um neue Wirtschaftszweige anzulocken?
Nein, wir zeigen auch, dass wir es ernst meinen, indem wir selbst Geld ausgeben. Wir haben schon vor mehr als fünf Jahren ein Innovationszentrum gegründet, den Efeu Campus, als einhundertprozentige Tochter der Stadt. Zugegeben, dafür bekommen wir viele Fördermittel, wir müssen aber immer auch den Eigenanteil finanzieren. Politiker brauchen für einen solchen Schritt Mut. Da darf man keine Angst haben, etwas falsch zu machen.

Wie meinen Sie das?
Eine Gründung ist, mit all ihren Rechtsvorschriften, für eine Verwaltung nicht immer ganz einfach zu bewältigen. Aber wir haben uns das zugetraut. Auf dem Areal wird jetzt zusammen mit Unternehmen wie SEW Eurodrive erforscht, wie Bestellungen von Robotern auf dem letzten Lieferabschnitt zugestellt werden können, zunächst auf dem Boden. Und später auf dem Transportabschnitt davor auch aus der Luft, in Zusammenarbeit mit Volocopter. Mit den Kommunen in unserem Umland haben wir außerdem das größte Elektro-Carsharing-Angebot Baden-Württembergs aufgebaut.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Hand aufs Herz: Und wenn diese Argumente nicht ziehen, versprechen Sie schnelle Genehmigungsverfahren? Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke beispielsweise hat dem Elektroautobauer Tesla persönlich eine „schnelle Bearbeitung“ zugesagt, damit der US-Konzern seine neue Großfabrik in Grünheide bei Berlin ansiedelt.
Also eines vorweg: Die Verfahrensspielregeln halten wir ein. Wir rufen beispielsweise einen ordentlichen Preis für Grundstücke auf. Aber Unternehmen brauchen kurze Wege in die Verwaltung. Was unsere Bereitschaft angeht, zaubern wir.

Wie lauten Ihre erfolgreichsten Formeln?
Meine Mitarbeiter und ich bauen Vertrauen auf. Das Miteinander leben wir persönlich. Es finden beispielsweise regelmäßig Netzwerktreffen der Bruchsaler Unternehmen statt, die unsere kommunale Wirtschaftsförderung organisiert. Und natürlich können ein Geschäftsführer oder eine CEO die Oberbürgermeisterin auch mal an einem Sonntag anrufen. Außerdem kümmere ich mich für sie um den Kontakt in die Landespolitik und bin deshalb in der Taskforce zum Thema Flugtaxi mit Leuten in den zuständigen Ministerien. Unternehmen brauchen Genehmigungen, das glauben Sie gar nicht.

Oh doch, das glauben wir...
Darauf muss man natürlich eingehen. Wir verstehen uns als Ermöglichungsverwaltung. Wir sind nicht naiv, aber wenn man uns richtig fragt, sagen wir: Wie könnten wir es hinkriegen? Wenn man sich das Vertrauen erarbeitet, ermöglichen zu wollen, akzeptieren Firmen es auch, wenn man offen und ehrlich sagt: So lange wird es dauern und das sind die Grenzen. Nur trauen sich viele Kommunen das nicht.

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Was erwarten Sie eigentlich im Gegenzug von den Unternehmen?
Ich vertraue darauf, dass sie nicht bei der ersten Schwierigkeit weggehen. Und natürlich müssen sie es nicht bei jeder Gelegenheit tun, aber ab und zu darf eine Firma wie Volocopter natürlich auch gerne einmal Bruchsal erwähnen.

Mehr zum Thema: Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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