Eben noch im Bundestag und demnächst schon auf einem schönen Posten in der freien Wirtschaft: Mit dem Wechsel von Peer Steinbrück in die Bankenbranche flammt die Diskussion über Karenzzeiten und eine befürchtete Einflussnahme auf die Politik wieder auf. „Ich werde ein Angebot der ING-Diba annehmen, als Berater des Vorstandes“, sagt der ehemalige Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück der „Zeit“ (Donnerstag).
Seine Zeit als Minister sei sieben Jahre her, er könne keine Interessenkollision erkennen, meinte Steinbrück. Kritik erntete er dennoch prompt: „Gekaufte Politik? #SPD #Steinbrück lässt sich sein Engagement für die EU-#Bankenrettung jetzt versilbern“, twitterte etwa die Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht. Und der Grünen-Politiker Sven Giegold: „Diese schnellen Seitenwechsel sind Futter für den Politikverdruss.“ Nötig seien Karenzzeiten auch für Abgeordnete.
Erst Spitzenpolitiker und dann eine Topfunktion in der Wirtschaft, ist so ein Wechsel überhaupt zulässig? Rechtlich gibt da keine Probleme: Die Karenzzeit für ehemalige Regierungsmitglieder, die in die Wirtschaft wechseln, beträgt eineinhalb Jahre. In dieser Zeit kann die Bundesregierung die neue Beschäftigung untersagen. Mehrere Wechsel hatten die Debatte in den vergangenen Jahren befeuert. Darunter vor allem der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), der zur Bahn ging.
Steinbrücks Vorschläge zur Bändigung der Finanzmärkte (2012)
Finanztermingeschäfte (Derivate), die völlig unkontrolliert an der Börse vorbei abgewickelt werden, sollen stark eingeschränkt werden. Solche Over-the-Counter-Geschäfte (OTC - „über den Tresen“) nehmen seit einiger Zeit massiv zu.
Begrenzung der absoluten Zahl von Warenterminverträgen zu Spekulationszwecken (sogenannte Positionslimits). Verbot von Geschäften mit Agrar- und Energierohstoffen sowie Nahrungsmitteln für Banken und Finanzgesellschaften.
Das seit 2010 geltende Verbot von ungedeckten Leerverkäufen auf Aktien und Staatsanleihen wird auf Kreditderivate von Banken und Firmen ausgeweitet.
Nur noch vorher überprüfte Unternehmen dürfen damit an der Börse tätig werden. Notwendig sei eine Mindestverweildauer, bis ein Auftrag ausgeführt wird.
Dazu sollen auch ausländische Töchter europäischer Banken herangezogen werden. Ebenso der außereuropäische Handel mit Wertpapieren von Emittenten aus Europa.
Zu Vermeidung von Blasen soll in Europa für die Beleihung eine Obergrenze von 80 Prozent zum Preis der Immobilie bzw. zum eingebrachten Eigenkapital vereinbart werden - in Boom-Phasen von 60 Prozent.
Der Staat soll sich aus der Haftung für die Banken weitgehend zurückziehen. Die Institute sollen europaweit aus eigenen Mitteln einen Rettungsschirm in Höhe von 150 bis 200 Milliarden aufbauen. Dieser „Banken-ESM“ soll auch Großbanken abwickeln oder restrukturieren können. Für kleine und mittelgroße Banken soll ein nationaler Fonds zuständig sein. Auch die Aktionäre und Gläubiger seien neben den Eigentümern an den Verlusten zu beteiligen.
Zunächst soll der Eigenhandel von Banken beschränkt werden. Darunter versteht man Geschäfte, die zur kurzfristigen Gewinnerzielung auf eigene Rechnung getätigt werden. In einem zweiten Schritt ist die Trennung des Einlage- und Kreditgeschäfts vom Investmentteil geplant. Fortführung der Bereiche unter dem Dach einer Holding als rechtlich eigenständige Töchter.
Ihre Zahl soll von bislang zehn auf zwei bis drei schlagkräftige Institute verringert werden.
Für Hedge-Fonds, Private Equity, Zweckgesellschaften oder Geldmarktfonds sollen die gleichen Eigenkapitalregeln gelten wie für Banken. Verbot der Kreditvergabe an solche Finanzgesellschaften und der Beteiligung von Banken an ihnen.
Plädiert wird für eine europäische Bankenaufsicht nur für systemrelevante Großbanken unter dem Dach der EZB. Deutsche Spar- und Genossenschaftsbanken sollen nicht davon betroffen sein.
Alle Top-Verdiener (nicht nur der Vorstand) einer Bank sollen ihr Einkommen veröffentlichen. Die erfolgsabhängigen Zuschläge dürfen das Festgehalt nicht übersteigen.
Steinbrück hatte im Sommer angekündigt, vorzeitig aus dem Bundestag auszuscheiden, und vergangene Woche seine Abschiedsrede im Parlament gehalten. Er begründete den Schritt damit, dass er seiner Partei im Bundestagswahlkampf mit seiner selbst auferlegten Zurückhaltung nicht helfen könnte.
Der Sozialdemokrat sieht seinen eigenen Worten zufolge auch keinen Widerspruch zu seiner früheren Kritik an Banken, da Europas größte Direktbank Ing-Diba „sehr konservativ und risikoscheu“ sei. Steinbrück stammt aus einer Bankiersfamilie, einer seiner Vorfahren hat die Deutsche Bank mitgegründet. In die Schlagzeilen geriet er unter anderem, weil er für Reden hohe Honorare bekam.
Die SPD-Führung
Seit 2009 Parteichef, macht die SPD in regelmäßigen Abständen mit Alleingängen nervös. War im Sommer in der Krise, bekam beim Ja zur Vorratsdatenspeicherung reichlich Gegenwind. Punktete in der Flüchtlingskrise aber wieder. Hat Anspruch auf Kanzlerkandidatur 2017 angemeldet. Bei seiner Rede gab er sich staatsmännisch und warb für einen Kurs der Mitte. Die Linke goutierte das nicht. Die herbe Quittung: Nur 74,3 Prozent nach 83,6 Prozent vor zwei Jahren.
Landesmutter in Nordrhein-Westfalen, lange als Gabriel-Konkurrentin gehandelt, will von Bundespolitik aber nichts mehr wissen. Konzentriert sich voll auf die Landtagswahl 2017 an Rhein und Ruhr. In der Flüchtlingskrise wieder präsenter. Parteivize seit 2009, bei der letzten Parteitagswahl vor zwei Jahren 85,6 Prozent. Am Freitag fehlte sie wegen Fieber und Schüttelfrost. Geschadet hat es nicht: Sie kam auf 91,4 Prozent Zustimmung.
Seit 2011 SPD-Vize (Wahl 2013: 79,9 Prozent). Die Flüchtlingskrise wäre für die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung eigentlich die große Zeit, um Akzente zu setzen. Sie blieb bislang aber eher blass - auch als Parteivize. Geht mit ihrer zurückhaltenden Art im SPD-Gefüge etwas unter. Als einzige Migrantin unter den Vizes hat die Tochter türkischer Kaufleute in diesen Zeiten dennoch einen festen Platz. Der Lohn: 83,6 Prozent.
Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, wird oft unterschätzt, müht sich um bundespolitisches Profil. „TSG“ kümmert sich auch um die internationalen SPD-Kontakte. Der Mann mit den dicken Brillengläsern - in der Jugend drohte er zu erblinden - ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Bekam 2013 als Vize 88,9 Prozent. Schaffte das Resultat diesmal fast: 88,0 Prozent.
Wird als kluger Verhandler in der SPD geschätzt, wie bei den Bund-Länder-Finanzen. Für den Fall, dass Gabriel irgendwann nicht mehr will oder darf, fällt stets auch sein Name. Hat bei den Delegierten aber oft einen eher schweren Stand. Vor zwei Jahren bekam er als Vize nur 67,3 Prozent. Das Nein seiner Hamburger zur Olympia-Bewerbung der Hansestadt war für Scholz ein Dämpfer. Der Parteitag leistete etwas Aufbauarbeit: 80,2 Prozent.
Seit 2009 Parteivize (Wahl 2013: 80,1 Prozent). Die Bundesfamilienministerin hat sich in der SPD einen guten Stand erarbeitet - gerade mit ihrem Thema Frauen und Familie. Früher intern mitunter belächelt, gilt sie heute als wichtige Figur im Parteiengefüge, mit Aussicht auf höhere Aufgaben. Mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann soll sie das Wahlprogramm für 2017 erarbeiten. Erwartet derzeit ihr zweites Kind. Die Delegierten bescherten ihr mit 92,2 Prozent das beste Ergebnis aller Vizes.
Allzweckwaffe vom linken Flügel, SPD-Erklärbär auf allen Kanälen. Träumt seit Jahren davon, Generalsekretär zu werden - darf aber nicht, weil es nach dem Fahimi-Rückzug wieder eine Frau sein sollte. Der Kieler Landeschef erhielt 2013 bei seiner Wahl zum Vize 78,3 Prozent. Auch er kann sein Niveau in etwa halten: 77,3 Prozent.
Von Gabriel als Generalsekretärin ausgeguckt. Bislang in der Bundespolitik kaum in Erscheinung getreten. Sitzt seit 2013 im Bundestag, muss nun den nächsten Wahlkampf vorbereiten. Machte vor der Politik Karriere als Juristin. Kein Wadenbeißer-Typ, eher ruhig, zurückhaltend. Muss sich in der SPD erst noch einen Namen machen. Der Parteitag gibt ihr mit 93 Prozent eine großen Vertrauensvorschuss. Fast 20 Punkte mehr als ihr künftiger Chef Gabriel.
Unterdessen hat Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) ein weiteres Spitzenamt in dem Unternehmen übernommen, das den umstrittenen Ausbau der Ostsee-Gaspipeline von Russland nach Deutschland vorantreibt. Schröder sei seit dem 29. Juli Präsident des Verwaltungsrats des Energiekonzerns Nord Stream 2, teilte das Unternehmen am Mittwoch im schweizerischen Zug mit. Nord Stream 2 gehört derzeit zu 100 Prozent dem vom russischen Staat gelenkten Energiekonzern Gazprom.
Schröder ist bereits Aufsichtsratsvorsitzender und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses von Nord Stream. Die geplante Erweiterung der Pipeline um zwei zusätzliche Röhren stößt nicht nur in Polen, sondern auch bei der EU auf Kritik, die eine steigende Abhängigkeit Europas von russischem Gas fürchtet. Über das neue Amt von Schröder hatte zunächst der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet.
Für mehr Wirbel als Schröders zusätzlicher Erdgas-Posten könnte der Wechsel einer hohen Beamtin aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu dem Gazprom-Unternehmen sorgen. Nord Stream 2 bestätigte am Mittwoch den Wechsel von Marion Scheller, bislang Referatsleiterin in der Abteilung Energiepolitik des Ministeriums, zum 1. Oktober. Wie das Magazin „politik und kommunikation“ berichtete, wird Scheller in der neu geschaffenen Position in Berlin die aktuelle Entwicklung im Energiebereich und den auswärtigen Beziehungen beobachten und die Verbindung zu Regierung und Parlament sowie zu Verbänden und Medien halten.