Von langsamen Novemberhilfen bis zum 15-Kilometer-Radius Das Lockdown-Kuddelmuddel: So verspielt die Regierung unser Vertrauen

Die Große Koalition um Kanzlerin Angela Merkel hat sich entschieden, im Kampf gegen Corona immer neue, immer größere und vermeintlich zur Situation passende Register zu ziehen. Doch damit wächst das Chaos. Quelle: dpa

Die Bundesregierung genoss über viele Monate hinweg das mehrheitliche Vertrauen der Bürger. Doch es droht zu schwinden – und die Gründe dafür sind offensichtlich. Ein Kommentar.

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KfW-Kredite. Soforthilfen. Überbrückungshilfe I. Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Überbrückungshilfe II. Novemberhilfen. Dezemberhilfen. Überbrückungshilfe III. Abschlagzahlungen. Steuerstundungen. Umsatzerstattungen. Fixkostenpauschale. Kommen Sie noch mit?

Als Olaf Scholz und Peter Altmaier Mitte März vor die Presse traten, verkündeten sie ein mehrere hundert Milliarden Euro umfassendes Rettungspaket. „Bazooka“ und „Wumms“ gehören zu den politischen Worten des Jahres. Es war der „What ever it takes“-Moment des Finanz- und des Wirtschaftsministers, angelehnt an Marios Draghis berühmten Satz aus der Eurofinanzkrise, der die Märkte beruhigte.

Auch der Auftritt von Scholz und Altmaier war beeindruckend. Ökonomen lobten unisono die schnelle und kraftvolle Reaktion der Bundesregierung. Allein: Stärker und entschlossener als damals sah das Ministerduo danach nie wieder aus. So wie Bundeskanzlerin, Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Pandemielage mal mehr und dann zunehmend weniger Herr wurden, bis erst ein zweiter Lockdown light und nun ein echter Lockdown bis mindestens Ende Januar unausweichlich wurde, so hat auch die ökonomische Krisenreaktionspolitik ihre lange Linie verloren. Den großen Worten folgten immer kleinteiligere Taten, Hürden, Irritationen.

Es geht hier um den Mangel an Konsistenz, Schnelligkeit und Pragmatismus. Wenn der Einzelhandel wegen des zweiten Runterfahrens nun Jobverluste en masse fürchtet und nach der gleichem Umsatzerstattung ruft, die Gastronomie und Hotellerie für November und Dezember erstattet bekommen – wer könnte es der Branche verdenken? Wenn kleine Selbstständige, die im Frühjahr ihre Soforthilfen nicht für den Lebensunterhalt verwenden dürften, nun angesichts pauschaler Erstattungen den Kopf schütteln – muss man sie nicht verstehen? Und wenn Abschlagszahlungen mal eben um zehntausende Euro nachträglich erhöht werden – was sagt das über die Erstentscheidung?

Der Druck war und ist groß, politisch wie zeitlich, keine Frage. Für eine Pandemie gibt es keine politische Probe. Doch im nachvollziehbaren Versuch, immer neue Härten abzufedern und auszugleichen, hat die Bundesregierung ein Bazooka-Kuddelmuddel erschaffen, das keiner inneren Logik mehr folgt. Mehr noch: Die Hilfen kommen nicht recht ins Rollen. Weil für die November- und Dezemberhilfen das bisher unbekannte Umsatzkriterium gewählt wurde, musste die bestehende digitale Anmeldeplattform für die Bundeshilfen erst umprogrammiert werden. Nun ist da bisher kein Wumms, sondern ein Kleckern.



Diese Entwicklung war alles andere als alternativlos. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat jüngst erst noch einmal für ein Modell geworben, dass an den Betriebsergebnissen ansetzt und nach Ansicht der Kieler Ökonomen alle – alle! – Instrumente außer dem Kurzarbeitergeld überflüssig machen könnte.

Seit Anbeginn der Krise haben Ökonomen vom linken bis ins liberale Spektrum zudem unisono für eine massive Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags geworben. Auch hier hätte man durch die Verrechnung von gegenwärtigen Einbrüchen mit früheren Gewinnen ein verhältnismäßig einfaches Mittel zur Hand gehabt, um das eigentliche Ziel aller staatlicher Rettungspolitik zu erreichen: Liquidität zu sichern, Jobs zu schützen und Insolvenzen zu verhindern. Es wird bis heute in eher homöopathischen Dosen genutzt.

Die Große Koalition entschied sich stattdessen dafür, immer neue, immer größere und vermeintlich zur Situation passende Register zu ziehen. Sie eröffnet anhand einer existenziellen Frage wie der Impfstrategie plötzlich den Wahlkampf. Sie denkt sich neue Beschränkungen wie den 15-Kilometerradius aus, die dann aber nur äußerst wacklig begründet werden. Sie schuf damit neue Ansprüche und neue Widersprüche – und sorgte dennoch für Verzögerungen und Verzweiflung in Teilen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft.

Mehr zum Thema: Bund und Länder verlängern und verschärfen den Corona-Lockdown bis Ende Januar. Damit stirbt die Hoffnung der Veranstalter, im Frühjahr wieder durchzustarten. Immer mehr geben auf.

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