Von Reiseimpfung bis Coronatest Selbstzahlerleistungen im Fokus

Individuelle Gesundheitsleistungen sind zusätzliche, nicht zwingend notwendige oder nicht nachweisbar erfolgversprechende Leistungen. Quelle: dpa

Reiseimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen müssen oft selbst gezahlt werden. Auch zum Coronavirus bieten etliche Praxen mittlerweile Selbstzahlerleistungen an. Was hat es damit auf sich?

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Wer sich ohne besondere Gründe auf das Coronavirus testen lassen will, zahlt in der Regel selbst. Bei einem Antikörpertest auf das Virus springt die Kasse noch seltener ein. Beide Untersuchung gelten in fast allen Bundesländern als individuelle Gesundheitsleistung, kurz IGeL - und damit zu einer umstrittenen Kategorie, für die die gesetzlich Versicherten jährlich etwa eine Milliarde Euro ausgeben.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDS) warnte am Dienstag, einige Zusatzleistungen könnten nicht nur teuer, sondern sogar gefährlich sein. „Zwei der Topseller? die Augeninnendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung und der Ultraschall der Eierstöcke - schaden eher als dass sie nützen“, sagte MDS-Geschäftsführer Peter Pick. Diese IGeL-Leistungen widersprächen den Empfehlungen ärztlicher Fachgesellschaften. Patienten würden oft unzureichend über Risiken informiert und die Konsequenzen falsch positiver Befunde seien hoch. Dies sollten Patientinnen und Patienten wissen:

Das sind IGeL: Individuelle Gesundheitsleistungen sind zusätzliche, nicht zwingend notwendige oder nicht nachweisbar erfolgversprechende Leistungen. Oft dienen sie der Vorsorge oder Früherkennung. Prinzipiell können Ärztinnen und Ärzte zahlreiche solcher Behandlungen in ihren Praxen anbieten. Laut IGeL-Monitor der Krankenkassen gibt es derzeit mehrere Hundert solcher Leistungen. Beispiele sind der Brustultraschall zur gezielten Krebsvorsorge, aber auch Impfungen für private Reisen.

Die Entscheider: Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt, was von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt werden muss. Laut Gesetz müssen das Behandlungen sein, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“. Diese Kassenleistungen dürfen Praxen nicht als IGeL anbieten. Lehnt der Ausschuss aus Klinik-, Ärzte- und Krankenkassenvertretern ein medizinisches Verfahren ab oder hat er noch nicht darüber entschieden, wird es oftmals als IGeL angeboten.

Wann die Kasse trotzdem zahlt: Hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Methode erst einmal als Kassenleistung abgelehnt, dürfen die gesetzlichen Krankenkassen sie auch nicht freiwillig zahlen. Gibt es hingegen noch keine Entscheidung zu einer Behandlung, kann es sein, dass einige Kassen die Kosten freiwillig übernehmen. Manche Angebote werden auch bei einem konkreten Krankheitsverdacht zur Kassenleistung. Wer etwa Fieber und Erkältungssymptome hat, muss den gängigen Corona-Test nicht selber zahlen. Ebenso bestimmte Berufsgruppen - etwa Lehrerinnen und Lehrern, wenn jemand aus deren Schule positiv getestet wurde.

Corona-Tests als IGeL: Für den Nachweis von Corona-Erregern wird ein sogenannter PCR-Test verwendet. Dazu werden Abstriche in den Atemwegen gemacht, etwa im Rachen und an den Bronchien. Die Tests sind wissenschaftlich validiert. Bei Antikörpertests wird hingegen das Blut untersucht: Die Idee ist, dass im Blut gebildete Schutzstoffe auf eine bereits überstandene Erkrankung hinweisen. Deshalb empfiehlt das Robert Koch-Institut die Tests auch nicht zur Akutdiagnostik. Bei beiden Untersuchungen kommt es auf die Umstände an, wer zahlt. Fällt ein PCR-Test trotz vergangener Krankheitssymptome negativ aus oder hält der Arzt ihn für notwendig, übernimmt die Kasse auch die Kosten für einen Antikörpertest.

Die Kritik: Der Medizinische Dienst als Vertretung der gesetzlichen Krankenkassen stuft manche der IGeL-Behandlungen als potenziell schädlich ein. So warnt er etwa vor einem PSA-Test zur Prostatakrebserkennung. Falsch positive Ergebnisse bei Gesunden könnten zu invasiven Behandlungen führen.

Auch bei den Corona-Tests sind die Experten skeptisch: Wenn über die Aussagekraft von Testergebnissen nicht genügend aufgeklärt werde, könnten sich Patienten in falscher Sicherheit wiegen und Abstands- und Hygieneregeln missachten.


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Der Verband fordert, dass Ärzte keinen Druck auf ihre Patienten ausüben dürfen, freiwillige Leistungen in Anspruch zu nehmen. Genau das sei aber häufig der Fall, kritisiert Eugen Brysch, Vorstand der Deutsche Stiftung Patientenschutz. „Überrumpeln und Ängste zu schüren sind Bestandteil dieses Geschäftsmodells.“ Der individuelle Nutzen der Leistungen sei fragwürdig. Brysch fordert: „Zwischen dem Angebot des Arztes und der Leistungserbringung muss es eine vierzehntägige Bedenkzeit geben. Wird die Frist nicht eingehalten, kann der Patient die Zahlung verweigern.“

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