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Vor dem EU-Gipfel Cameron kämpft gegen Windmühlen

Die britische Regierung will auf dem EU-Gipfel in Belgien verhindern, dass Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wird. Der Luxemburger wird sich dennoch durchsetzen – und Deutschland einen hohen Preis dafür zahlen.

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Zehn faszinierende Fakten über die EU
EU heißt nicht, dass auch mit Euro bezahlt wirdDie Europäische Union ist seit ihrer Entstehung ständig gewachsen. Aktuell besteht sie aus 28 Mitgliedsstaaten. Die EU ist jedoch nicht mit der Eurozone gleichzusetzen. Diese besteht derzeit aus 18 Euro-Staaten, die auch mit der Gemeinschaftswährung Euro bezahlen. Zuletzt stieg Lettland am 1. Januar 2014 als 18. EU-Land in den Euro ein. Von den zehn weiteren EU-Staaten sind acht verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die dafür vereinbarten Kriterien erfüllen. Großbritannien und Dänemark haben als einzige Länder eine Ausstiegsoption. Quelle: dpa
Eine Union, eine Sprache?Dies ist nicht so. Insgesamt gibt es derzeit 24 Amtssprachen von Bulgarisch bis Ungarisch. Als bislang letzte Sprache kam 2013 Kroatisch hinzu. Das bietet reichlich Arbeit für Dolmetscher: Da jede Sitzung des Europa-Parlaments in alle Sprachen übersetzt wird, bedeutet das 552 Kombinationsmöglichkeiten der Amtssprachen für die Dolmetscher. Im Jahr 2013 wurden 2,024 Millionen Seiten von Dokumenten übersetzt. Quelle: dpa
In der EU geht es nicht allen gutDie EU-Länder sind vor allem durch die Wirtschaftskrise weit davon entfernt, ihr „2020-Ziel“ zu erreichen. Es sieht vor, bis zum Jahr 2020 mindestens 20 Millionen Menschen aus Armut und sozialer Ausgrenzung zu holen. Statistiken von 2011 zeigen, dass 24 Prozent der EU-Bürger von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Das sind mehr als 120 Millionen Menschen. 9 Prozent leiden unter akuter materieller Armut, das heißt, sie können sich zum Beispiel keine Waschmaschine und kein Telefon leisten und haben auch kein Geld für Heizkosten oder unvorhergesehene Ausgaben. Dabei leben 12 Millionen mehr Frauen als Männer in Armut. Zehn Prozent der EU-Bürger leben in einem Haushalt, in dem niemand eine Arbeit hat. Quelle: dpa
EU hat weniger Angestellte als der Frankfurter Flughafen23.000 Beamte arbeiten für die EU. Mit externen Experten und zeitlich befristeten Angestellten kommt die EU auf 34.000 Mitarbeiter. Und das, obwohl sie für 500 Millionen Menschen zuständig ist. Zum Vergleich: Am Flughafen Frankfurt sind 60.000 Menschen tätig. Quelle: dpa
Die Zeit der alten Hasen ist vorbeiMit Hans-Gert Pöttering, der 2014 nicht mehr kandidiert, verlässt nach der Abstimmung der letzte EU-Abgeordnete der ersten Stunde das Parlament. Er saß seit der ersten direkten Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 durchgehend in Straßburg. Quelle: REUTERS
Der „Trilog“ ist wichtigDieses kuriose Wort beschreibt ein informelles Treffen zwischen Vertretern der EU-Kommission, der Ratspräsidentschaft  und des Parlaments. Die drei Parteien treffen sich beim „Trilog“, um nach Kompromissen zu suchen, die bei beiden Gesetzgebern der EU (Rat und Parlament) durchsetzbar sind. Damit ist der „Trilog“ eines der wichtigsten Instrumente der EU-Gesetzgebung, obwohl er in keinem EU-Vertrag Erwähnung findet. Im Bild ist das Parlamentsgebäude der EU in Straßburg zu sehen. Quelle: dpa
Jeder dritte Abgeordnete ist weiblichDer Frauenanteil unter den Europaabgeordneten ist seit 1979 stetig gestiegen: von zunächst 18 auf heute 35 Prozent. Damit liegt die Quote über dem Durchschnitt der nationalen Parlamente in Europa. Vorreiter ist hier Finnland mit einem Frauenanteil von 62 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland liegt im oberen Mittelfeld, hier sind von 99 Abgeordneten 37 weiblich. Quelle: dpa

David Cameron sagt „no“ zu Jean-Claude Juncker. Lautstark versucht der britische Premier zu verhindern, dass der Luxemburger EU-Kommissionspräsident wird. Doch Cameron führt einen Kampf gegen Windmühlen, der Brite ist in Europa vor dem zweitägigen EU-Gipfel in Belgien am Donnerstag und Freitag isoliert.
Schweden und die Niederlande, die den luxemburgischen Ex-Regierungschef bisher ebenfalls abgelehnt hatten, stellen nun in Aussicht, Juncker beim Gipfel doch zu unterstützen. Er sei bereit, Juncker zu akzeptieren, wenn dieser von den EU-Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit nominiert werde und die Unterstützung des EU-Parlaments bekomme, sagte Frederik Reinfeldt im Parlament in Stockholm. Auch die niederländische Regierung kündigte an, Juncker nun doch mitzutragen. Wenn es auf dem EU-Gipfel zu einer Abstimmung komme, "werden wir Junckers Kandidatur unterstützen", sagte Ministerpräsident Mark Rutte.

Damit haben EU-Abgeordnete zu kämpfen

Junckers Nominierung soll am Freitagnachmittag beim EU-Gipfel in Brüssel offiziell beschlossen werden. Nach der Europawahl im Mai soll der EU-Kommissionspräsident erstmals unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses vom EU-Parlament gewählt werden. Die Parteifamilien schickten daher europaweite Spitzenkandidaten ins Rennen - für die konservative EVP war dies Juncker. Insbesondere Großbritannien lehnt ein Verfahren aber ab, bei dem der Spitzenkandidat automatisch für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert wird. Zudem repräsentiere Juncker, so Cameron, ein altes, reformmüdes Europa.

Der konservative britische „Daily Telegraph“ unterstreicht diese Argumentation. „Seine (Junckers) Ernennung, wenn sie denn erfolgt, wird ein historisches Desaster erheblicher Größenordnung sein, das Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union sehr wahrscheinlich macht. Indem man Juncker den Schlüsselposten und die Brüsseler Maschinerie überlässt, werden die Föderalisten nicht nur letztlich die Reformen vom Tisch nehmen und das Ende der EU als Club klar definierter Nationalstaaten signalisieren. Indem sie so herablassend sind, vergiften sie auch die künftigen Beziehungen, was es schwieriger macht, eine Lösung zu finden für den Fall des britischen Rückzuges.“

Trotz der Drohkulisse wird Cameron wohl nur noch vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban unterstützt – und steht vor einer bitteren Niederlage. Aus Protest gegen das Verfahren will er beim EU-Gipfel eine Abstimmung über die Kandidatenfrage erzwingen - bisher war der Kommissionspräsident immer im Konsens bestimmt worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich unbeeindruckt. Eine Kampfabstimmung sei „kein Drama“. Und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ergänzte: „Niemand will, dass Großbritannien die EU verlässt. Aber es kann auch kein Vetorecht gegen erfolgreiche Spitzenkandidaten geben.“

Doch Deutschland hat einen hohen Preis zu zahlen, will Berlin die Kandidatur Junckers durchdrücken. Italien und Frankreich machten vorab bereits deutlich, dass die Besetzung nur im Zusammenhang mit politischen Inhalten diskutiert werden kann. Das heißt: Paris und Rom stimmen nur zu, wenn sie gleichzeitig eigene Wünsche durchsetzen können.

Konkret geht es um die Aufweichung des Stabilitätspaktes. Matteo Renzi, der italienische Ministerpräsident, hat in den vergangenen Tagen fleißig für seine Ideen geworben, Ausgaben zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu tolerieren – selbst wenn dann die Defizitkriterien nicht eingehalten werden können.

Von einer Aufgabe des Stabilitätspaktes will die Bundesregierung nichts wissen. Gleichwohl erwarte man eine Diskussion über „die flexible Anwendung“ des Paktes, heißt es aus Regierungskreisen. Es wäre ein Kursschwenk in Europa, der viele Gefahren birgt. Denn falls diese Anwendung eine Lizenz zum Schuldenmachen beinhaltet, dürften die Investoren schon bald wieder Fragen an die Zahlungsfähigkeit Europas stellen - und die Schuldenkrise letztlich verschlimmern.

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