Vor den Wahlen in Niedersachsen Grüne zwischen Trotz und Frust

Der Wechsel der abtrünnigen Landtagsabgeordneten Elke Twesten zur CDU hat die Grünen in Niedersachsen blamiert. Vor dem Landesparteitag macht sich die Führung Mut, obwohl das Debakel in einer Krisenzeit kommt.

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Meta Janssen-Kucz, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) sprechen über die Themen für die kommende Landtagswahl in Niedersachsen. Quelle: dpa

Hannover Niedersachsens grüner Umweltminister Stefan Wenzel gibt sich kämpferisch. „Wir sind motiviert bis in die Haarspitzen, geschlossen und entschlossen“, sagt Wenzel vor dem Landesparteitag seiner Partei. Bis zum Sonntag wollen die Grünen in Göttingen ihre Kandidaten für die Landtagswahl im Oktober festlegen. Das Motto für die dreitägige Veranstaltung kommt ebenso trotzig daher: „Jetzt erst recht“, so der Slogan.

Entstanden ist er spontan – nur wenige Stunden, nachdem am vergangenen Freitag die grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten ihren Wechsel zur CDU bekannt gab. Die Hinterbänklerin brachte damit die rot-grüne Regierungskoalition von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zum Einsturz, die Ein-Stimmen-Mehrheit ging verloren. Nun ist eine vorgezogene Neuwahl fällig. Und die Grünen in Niedersachsen sind blamiert.

Die Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz setzt angesichts der schwierigen Situation auf Zweckoptimismus. Ein „ganz starkes Team“ werde man bei dem Parteitag zusammenstellen, bei der Landtagswahl ein zweistelliges Ergebnis anstreben. „Ich spüre es überall: Es gibt nach diesem Vorfall eine unheimlich hohe Mobilisierung in der Partei.“

Fragt man Arthur Lempert, dann sieht die Sache an der Basis ziemlich anders aus. „Ich höre bei unseren Wählern die Enttäuschung heraus“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des grünen Ortsverbandes in Scheeßel, dem Heimatort von Elke Twesten im Landkreis Rotenburg/Wümme. „Verräterin“ sei das Wort, das ihm viele mit Blick auf die ehemalige Grünen-Abgeordnete entgegenschleudern würden, so Lempert. „Und klar kommt dann die Frage: „Wenn die sowas macht - warum soll ich dann die Grünen noch wählen?““

Das Debakel um Twestens Wechselmanöver trifft die Grünen in einer Phase, in der viele die Partei ohnehin auf dem absteigenden Ast sehen. In Niedersachsen, wo die Grünen bei der letzten Landtagswahl 2013 ein Ergebnis von 13,7 Prozent einfuhren, reicht bereits der Blick ins Nachbarland Nordrhein-Westfalen.

Bei der dortigen Landtagswahl im Mai stürzten die an der Regierung beteiligten Grünen auf 6,4 Prozent ab. Jüngste Umfragen prophezeien den niedersächsischen Grünen bei der kommenden Landtagswahl 9 Prozent. Für eine Fortsetzung der Regierungskoalition mit der SPD würde das nicht reichen: Die Sozialdemokraten kommen auf 28 bis 32 Prozent. Ein Bündnis mit der CDU (40 Prozent) wäre rein rechnerisch im Bereich des Möglichen.

Doch nach Twestens Übertritt zur CDU hat sich für die niedersächsischen Grünen der Bewegungsspielraum verengt. Gerüchte um Lockangebote der Union an Twesten halten sich hartnäckig, das Klima zwischen beiden Parteien ist vergiftet. Schwarz-Grün sei in „sehr, sehr weite Ferne gerückt“, sagt Landeschefin Janssen-Kucz.

Die beiden Parteien sind sich in Niedersachsen ohnehin fremder als in vielen anderen Bundesländern. Dem eher links orientierten grünen Landesverband steht eine CDU gegenüber, die ihren Rückhalt in vor allem ländlich-konservativen Regionen wie Vechta und Cloppenburg hat. Viele Landtagsabgeordnete der Union sind gelernte oder studierte Landwirte. Bei den Themen Agrar-, Umwelt- und Sicherheitspolitik tun sich tiefe Gräben auf.

Die Grünen in Niedersachsen seien „Gorleben-geprägt“, beklagt der CDU-Abgeordnete Jens Nacke. Sie würden die Polizei immer noch als Gegner wahrnehmen und hätten eine starke Fokussierung auf den Kampf gegen die Kernenergie. „Eine Linie wie mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg ist mit den Grünen hier nicht möglich.“ Das sieht die Grünen-Abgeordnete Susanne Menge ähnlich - nur schiebt sie die Schuld auf die Union. „Die niedersächsische CDU setzt auf Kontrolle, Härte, Stillstand.“ Eine schwarz-grüne Koalition sei deshalb aus ihrer Sicht „surreal“.

Selbst wenn der Übertritt von Elke Twesten das Verhältnis zwischen beiden Parteien weiter zerrüttet hat - zu einer klaren Koalitionsaussage für ein Bündnis mit der SPD wollen sich die Grünen auch nicht durchringen. „Das muss der Wähler entscheiden“, sagt Janssen-Kucz. So ganz haben auch die niedersächsischen Grünen ihre Hoffnung auf ein Stückchen Macht noch nicht aufgegeben.

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