Vordenker im Osten Wie die sächsische CDU Populismus bekämpfen will

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Erwartungen an die Politik sind groß

Und die AfD gibt sich nicht als Instanz für Umverteilung, sondern als Mittelstandspartei. Maler Chrupalla will sich für sie in Berlin als Wirtschaftspolitiker profilieren. Wer sich mit ihm verabredet, bekommt erklärt, warum er nur sechs Mitarbeiter und einen Auszubildenden beschäftigt: Aufträge gebe es genug, aber der Verwaltungsaufwand sei zu groß, für ihn lohne sich mehr Personal nicht. Zeitweise habe er elf Mitarbeiter beschäftigt, aber unterm Strich nicht mehr verdient. Sein wichtigstes Thema hier nahe Görlitz ist allerdings die Grenzkriminalität: Auto- und Fahrraddiebstähle, Einbrüche in Privatwohnungen. Und immer häufiger verschwänden auch Landmaschinen. Die Grenzpolizei habe zu wenig Personal.

Warum gerade hier?

In Sachsen hätten Begriffe wie Ordnung oder Leistung eben einen anderen Klang als im stets leicht verlotterten Berlin, behauptet Thomas de Maizière, Bundesinnenminister, der ebenfalls zur sächsischen CDU gehört. Und dann gebe es noch den Stolz darauf, bei den Protesten in der Schlussphase der DDR mutig vorangeschritten zu sein. Auch Biedenkopf habe den Sachsen immer vermittelt, dass sie etwas Besonderes seien – und ihnen gleichzeitig das Gefühl vermittelt, er kümmere sich schon.

Jetzt sind die Erwartungen an die Politik groß, die Neigung zur Protestwahl eben auch. Hätte de Maizière selbst versuchen müssen, als sächsischer Parteichef die CDU-Mehrheit im Land zu verteidigen? Der Minister winkt ab: Nach dem Rückzug von Stanislaw Tillich sei ein Generationswechsel fällig gewesen. Was er nicht sagt: Ein Minister, der Angela Merkels Flüchtlingspolitik maßgeblich mitgetragen hat, hätte gerade in Sachsen ein Akzeptanzproblem, womöglich auch in der eigenen Partei.

Merkel wolle doch nur noch Posten für sich und ihre Vertrauten sichern, schimpft beispielsweise Roland Ermer, der sächsische Handwerkskammerpräsident. Er wäre gerne als Bundestagsneuling für die CDU nach Berlin gegangen. In seinem Wahlkreis rund um Bautzen siegte aber ebenfalls ein Direktkandidat der AfD. Wie viele Mitglieder seines Verbandes sich von der CDU ab- und der Konkurrenz zugewandt hätten? Ermer zögert nicht mit der Antwort: „80 Prozent.“

Michael Kretschmer kennt solche Zahlen. Seine Antwort auf den Schock vom Wahlabend besteht aus vier Teilen. Teil eins: die Flüchtlingspolitik. Teil zwei: eine Wirtschaftspolitik des Sowohl-als-auch. Als er am Samstag nach seiner Wahl zum Landesvater beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Leipzig auftritt, ruft er als Erstes in den Raum, was er gegen die geplanten Werksschließungen von Siemens in Görlitz unternehmen will: ein Gespräch beim Konzernvorstand in München, und zwar ganz bald, im engen Austausch mit den Betriebsräten. Als die langjährige Vorsitzende des DGB-Landesverbandes, Iris Kloppich, ihn vor der Veranstaltung am Halleneingang mit „Herr Ministerpräsident“ anspricht, entgegnet er erstaunt, man kenne sich ja nun ewig und bleibe selbstverständlich auch künftig beim „Du“. Die Nähe zu den Arbeitnehmern, soll das heißen, ist ihm wichtig. In seiner Rede beschwert er sich dann aber über starre Arbeitszeitgesetze aus Berlin, die Mittelständler quälen.

Wie weiter?

Teil drei ist ein Modernitätsversprechen. Wie FDP-Chef Christian Lindner kommuniziert Kretschmer in Videos via Facebook und Twitter seinen Politikalltag. Wenn er, wie Mitte Dezember, eine öffentliche Kita besucht, lobt er, dass dort viele männliche Erzieher arbeiten. Gerade für Kinder von Alleinerziehenden sei das doch wichtig. Und weil in der Partei einige die Nase darüber rümpfen, dass er zwar liiert und Vater von zwei Kindern ist, aber nicht verheiratet, kokettiert er lieber selbst offensiv damit. In Interviews erzählt er oft, dass seine Frau Mutter von vier Kindern sei, aber dennoch seit Langem berufstätig. Sie koche die gesunden Sachen, er die Fleischgerichte.

Ansonsten gilt das Motto: Über die Erfolge der AfD wird nachgedacht, aber nicht viel gesprochen. Das rät im Übrigen auch Altmeister Kurt Biedenkopf: einfach rechts liegen lassen.

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