Vorgaben der Bundesregierung „Viele Unternehmen sind durch die gestiegenen Preise existenziell bedroht“

Gassparpläne der Industrie: Anlagen sollen mit Kohle oder Öl betrieben werden - doch der Staat bremst. Quelle: imago images

Die deutschen Unternehmen sollen Gas sparen. Doch der Umstieg etwa auf Öl wird durch Bürokratie und Rechtsunsicherheit gebremst.

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Die Bundesregierung ruft zum Gassparen auf, der Bundeswirtschaftsminister vorneweg – und doch verhindert der Staat aus Sicht von Unternehmen genau das, was er fordert. Umrüstungen in Betrieben würden nur sehr schwerfällig genehmigt, heißt es gleich aus mehreren Verbänden.

Kritik an bürokratischen Hindernissen trotz der Zeitnot vor dem Winter kommt einhellig vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und vom Verband der Chemischen Industrie (VCI), der die Branche mit dem höchsten Gasverbrauch vertritt. VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup kritisiert: „Jetzt ist nicht die Zeit für monatelange Verfahren im Schlafwagentempo.“ Die Branche verbraucht rund ein Siebtel des Erdgases in Deutschland und möchte Brennanlagen wegen der Gasknappheit teils auf Öl oder Kohle umrüsten. 

Genehmigungen seien zu langsam, so Große Entrup. „Wir brauchen grünes Licht aus Berlin für die zuständigen Genehmigungsbehörden vor Ort.“ Dafür solle pragmatisch vorgegangen werden. „Zeitlich befristet sollten Brennstoffwechsel von Unternehmen an Behörden nur gemeldet werden müssen. Jetzt zählen jeder Tag und jedes Watt“, sagt der VCI-Mann der WirtschaftsWoche.

Ähnlich scharf fällt die Reaktion des BDI aus. Holger Lösch, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer im Industrieverband, berichtet, zahlreiche Unternehmen seien bereit, ihre Anlagen schnellstmöglich von Gas auf andere Energieträger umzustellen. Doch „aktuell hakt das an langsamen Genehmigungen“, urteilt auch Lösch. „Für den anstehenden Winter ist ein Brennstoffwechsel auf leichtes Heizöl in etlichen Betrieben machbar.“

20 Prozent weniger Gas als bisher soll in Deutschland verbraucht werden, um eine Notlage bei der Versorgung abzuwenden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat dafür zwei Verordnungen zum Energiesparen eingebracht. Am meisten sparen lässt sich aus Sicht des Ministeriums in der Industrie und beim Wohnen – um bis zu 10 Prozent könne dort der Gasverbrauch gesenkt werden, hieß es. Zudem ist angekündigt: Verbraucht ein Unternehmen mehr als 10 Gigawattstunden Energie im Jahr, muss es ab Oktober in seine Energieeffizienz investieren.

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Chemie-Vertreter Große Entrup hält das weitere Einsparpotenzial seiner Branche für überschaubar. „Manche drosseln die Produktion oder verzichten ganz darauf, bestimmte Produkte herzustellen. Wer kann, ersetzt Gas durch Öl oder Kohle.“ Umsteigen auf andere Brennstoffe könnten Standorte, an denen noch Ölkessel oder kohlebefeuerte Kraftwerke stünden. 

So will die EU sparen
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Kraftwerk Mehrum im Landkreis Peine. Quelle: dpa
Auch Österreich setzt auf andere Brennstoffe. Quelle: dpa
 Das Atomkraftwerk in Flamanville. Quelle: dpa
Die Niederlande setzen vor allem auf Sparmaßnahmen der Bevölkerung mit einer Werbekampagne Quelle: imago images
Auch in Belgien ist der Verbrauch im ersten Halbjahr allein durch die hohen Preise zurückgegangen. Die Regierung hat die Bürger zusätzlich zum Energiesparen aufgerufen. Quelle: imago images
In Italien darf in den öffentlichen Büros nur noch bis auf 25 Grad gekühlt werden, zudem wird die Temperatur beim Heizen von 20 auf 19 Grad abgesenkt. Es wird auch erwogen, die Heizperiode um zwei Wochen zu verkürzen. Für die Industrie sind zunächst keine Einschränkungen des Gasverbrauchs vorgesehen. Quelle: imago images
In Griechenland dürfen die Behörden Räume nicht mehr unter 26 Grad kühlen, die Straßenbeleuchtung soll auf das absolut Notwendige reduziert werden. Quelle: dpa

In der Chemie sei Gas zudem nicht nur als Brennstoff wichtig, sondern als Teil der Produktion unersetzlich. „Als Rohstoff ist Gas derzeit noch gar nicht zu ersetzen.“ Zwei bis drei Prozent beim Gas als Energieträger lasse sich wohl noch einsparen, schätzt der VCI für die Branche. Weil die Preise vorher schon hoch gewesen seien, hätten sich viele Betriebe schon auf Effizienz getrimmt.

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Auch beim Bundesverband der Deutschen Industrie wird das Sparpotenzial für überschaubar gehalten – wenn es nicht zu Produktionseinbrüchen kommen soll. „Die Industrie spart bereits Gas ein, wo sie nur kann“, versichert Holger Lösch. Eine Untersuchung der Hertie School zeige, dass die Industrie mehr als zehn Prozent im Vergleich zu 2021 eingespart hat. Die Bundesregierung müsse schnell dafür sorgen, dass Gas nicht mehr wie bisher zur Stromerzeugung eingesetzt werde. „Bisher ist erst ein Kohlekraftwerk wieder am Netz.“ 

Die stark steigenden Energiepreise seien eine existenzielle Herausforderung für weite Teile der Industrie, warnt der BDI-Vertreter. „Viele Unternehmen, vor allem energieintensive und solche, die hohe Preise wegen des scharfen Wettbewerbs nicht weitergeben, können durch die exorbitant gestiegenen Preise existenziell bedroht werden.“

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Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kehrt dagegen hervor, welche Sparerfolge bereits erzielt worden seien. BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae sagt: „In Gaskraftwerken wurden im ersten Halbjahr 2022 rund zwölf Prozent weniger Strom erzeugt als im Vorjahreszeitraum.“ Die Energieversorger hätten begonnen, betriebliche wie private Kunden umfassend übers Energiesparen zu informieren. Alle müssten weiter mithelfen, gut durch den Winter zu kommen. Dazu sei es wichtig, den Gasverbrauch weiter zu senken und den restlichen Sommer über die Gasspeicher so weit wie möglich zu füllen.

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