Vorratsdatenspeicherung FDP und Grüne bei Terrorabwehr unter Druck

FDP und Grüne hatten sich schon öfter gegen die Vorratsdatenspeicherung gestellt. In einer Jamaika-Koalition sollen nun beide das Instrument zur Terrorabwehr beerdigen, fordert ein Bündnis verschiedener Organisationen.

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Ein Jamaika-Bündnis weckt Begehrlichkeiten - auch bei sicherheitspolitischen Fragen. Quelle: Reuters

Berlin Ein breites Bündnis aus Verbänden und Nichtregierungsorganisationen fordert von der künftigen Bundesregierung ein Umsteuern in der Sicherheitspolitik. Die Große Koalition habe in der vergangenen Legislaturperiode mit unzähligen Überwachungsgesetzen die Grund- und Freiheitsrechte „schwer beschädigt“, heißt es in dem als „Jamaika-Appell“ bezeichneten Brief an die Bundesvorsitzenden von FDP und Grünen, Christian Lindner, Simone Peter und Cem Özdemir. „Von einem Jamaika-Koalitionsvertrag mit FDP und Bündnis90/Die Grünen erwarten wir eine Beseitigung der schädlichsten Altlast der Großen Koalition, nämlich der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland.“

Das Schreiben lag dem Handelsblatt vorab vor. Zu den 22 Unterzeichnern gehören etwa der Deutsche Journalistenverband, die Bürgerrechtsorganisationen Digitalcourage und Campact sowie der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Der Brief ist bewusst an die FDP und die Grünen adressiert, da beide Parteien schon das Aus für die Vorratsdatenspeicherung gefordert hatten. Zuletzt im Juni, nachdem die Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter vorläufig ausgesetzt hatte - nur drei Tage vor dem Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung. Zehn Wochen lang sollte demnach eigentlich gespeichert werden, wer wann mit wem wie lange telefoniert, simst, und wie sich jemand im Internet bewegt. Vier Wochen sollen die Standortdaten von Handy-Gesprächen aufbewahrt werden.

Die Unterzeichner des Appells sehen in der Vorratsdatenspeicherung „die am tiefsten in die alltägliche Privatsphäre eingreifende und unpopulärste Massenüberwachungsmaßnahme, die der Staat jemals hervorgebracht hat“. Die anlasslose Sammlung „sensibler Informationen“ von Millionen Bürgern höhle „Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen und –missbrauch“. Sie untergrabe zudem den Schutz journalistischer Quellen und beschädige damit die Pressefreiheit im Kern.

Außerdem habe sich „herausgestellt, dass eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung zur Aufdeckung, Verfolgung und Bestrafung schwerer Straftaten überflüssig ist“. Untersuchungen belegten, dass bereits die schon verfügbaren Kommunikationsdaten zur „effektiven“ Aufklärung von Straftaten ausreichten. Einen wissenschaftlichen Beleg, dass eine Vorratsdatenspeicherung besser vor Kriminalität schütze, gebe es nicht.

Das Bündnis appelliert daher an die FDP und die Grünen, in den Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition ein „klares Bekenntnis zur Aufhebung“ der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland einzufordern. Die sogenannte freiwillige Vorratsdatenspeicherung der Unternehmen solle zudem auf „besondere Anlässe und verdächtige Aktivitäten“ beschränkt werden. „Die aktuelle Missachtung der europäischen Grundrechte-Charta muss beendet und die freie Kommunikation wieder hergestellt werden“, heißt es in dem offenen Brief.

Das Thema könnte noch zu einem Knackpunkt in den Jamaika-Gesprächen werden. Denn die Union gilt als vehemente Verfechterin der Datenspeicherung zur Terrorabwehr. „Wir leben in einer digitalen Welt. Da funktioniert es nicht, wenn Verbrechen 4.0 ausgeübt werden und die Polizei auf Niveau 1.0 ermittelt“, sagte er CDU-Rechts- und Innenexperte Patrick Sensburg kürzlich dem Handelsblatt. „Die Vorratsdatenspeicherung ist daher zur Verbrechensbekämpfung notwendig.“


Viele Verfassungsbeschwerden gegen Vorratsdatenspeicherung anhängig

Gleichwohl zeigte Sensburg unter bestimmten Voraussetzungen zu Abstrichen an den bestehenden Regelungen bereit. „Die Vorratsdatenspeicherung kann nach den Vorgaben der Gerichte angepasst werden – abgeschafft werden darf sie aber auf keinen Fall“, sagte er.

Die Grünen sehen indes keinen Nutzen darin, anlasslos Millionen von Bürgerdaten zu sammeln. „Statt einer solchen Massenüberwachung aller Bürgerinnen und Bürger brauchen wir endlich effiziente Instrumente und ein zielgerichtetes Vorgehen gegen konkrete Gefahren“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz kürzlich dem Handelsblatt. „Dazu gehört personell wie technisch gut ausgestattete Polizei und in bestimmten Fällen eine lückenlose Überwachung und konsequente Strafverfolgung sogenannter Gefährder.“

Vor diesem Hintergrund werde die Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten und insgesamt das Konzept anlassloser Massendatenspeicherungen bei den Koalitionsgesprächen, sollte es zu diesen kommen, „sicherlich eine wichtige Rolle spielen“.

Die Vorratsdatenspeicherung sorgt seit Jahren für politischen Streit. Schon mehrfach hatten oberste Gerichte in Deutschland und der EU Einwände – und kippten die Vorgaben. 2015 hatte die Große Koalition schließlich eine Wiedereinführung des Instruments beschlossen – im Namen des Kampfes gegen Terror und schwere Verbrechen.

Das Terrorabwehr-Instrument sieht auch der Verband der Internetwirtschaft eco kritisch und hat deshalb auch den „Jamaika-Appell“ unterzeichnet. Der Verband unterstützt außerdem eine Klage, die das eco-Mitgliedsunternehmens Spacenet AG beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht hat. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster im gleichen Verfahren bestätigte im Juni dieses Jahres die Europarechtswidrigkeit des Gesetzes und hat dazu geführt, dass die Bundesnetzagentur die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung zunächst gestoppt hat. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht nach wie vor aus.

Offen ist überdies, wie sich das Bundesverfassungsgericht zu dem Instrument verhalten wird. In Karlsruhe sind gegen die Vorratsdatenspeicherung 14 Verfassungsbeschwerden anhängig. „Wie viele andere haben auch wir vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Neuauflage dieses unverhältnismäßigen Überwachungsgesetzes geklagt“, sagte der Grünen-Politiker von Notz.

Zur Begründung führte er an, dass die Vorratsdatenspeicherung aller Telekomunikations-Verbindungsdaten einen „rechtsdogmatischen Dammbruch“ darstelle. „Durch die anlasslose Speicherung sämtlicher Kommunikationsvorgänge wird die unserer Rechtsordnung immanente Unschuldsvermutung relativiert“, kritisierte von Notz. „Alle Bürgerinnen und Bürger werden zu potenziellen Verdächtigen, in deren Grundrechte man verdachtsunabhängig eingreift.“

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