Mit einem neuen Paket zum Energiesparen will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Gasspeicher voller bekommen und private Haushalte mehr in die Pflicht nehmen. Angesichts unsicherer russischer Lieferungen soll damit die Vorsorge für den Winter verstärkt werden. Dazu gehört auch, dass die Braunkohle-Reserve aktiviert werden soll. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Donnerstag, Deutschland könne sich auf russische Lieferungen nicht verlassen: „Der Gasverbrauch muss weiter runter, die Speicher müssen voll werden.“
Bei dem Paket geht es auch um das Energiesparen in öffentlichen Gebäuden, Betrieben und Büros sowie um einen verbindlichen „Heizungscheck“. Vorgesehen sind auch Maßnahmen, um den Energieverbrauch in Wohnungen zu senken. Hausbesitzern soll es künftig untersagt werden, private Pools mit Gas zu beheizen. Angesichts gestiegener Energiepreise sprach sich Habeck außerdem für weitere Entlastungen aus.
Russland liefert nach einer Wartung zwar seit Donnerstag wieder Gas über die Ostseepipeline Nord Stream 1, aber viel weniger als möglich. Habeck warnte vor einer trügerischen Sicherheit. Man dürfe keineswegs davon ausgehen, dass die Lieferungen über derzeit 40 Prozent der Leitungskapazitäten bei Nord Stream stetig so weitergingen. „Russland erweist sich zunehmend als Unsicherheitsfaktor im Energiesystem.“
Russland nutze seine große Macht, um Europa und Deutschland zu „erpressen“ und erweise sich als unsicherer Kantonist der Energieversorgung. Das Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei es, zu verunsichern, Preise zu treiben, die Gesellschaft zu spalten und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. „Dem beugen wir uns nicht, sondern setzen dem konzentriertes und konsequentes Handeln entgegen.“
Deswegen soll nun ein neues Paket zur Energiesicherung kommen. Hintergrund ist auch, dass die EU-Staaten alles dafür tun sollen, ihren Verbrauch in den kommenden Monaten um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre zu verringern. Die Bundesregierung hatte bereits umfangreiche Maßnahmen zur Verringerung des Gasverbrauchs beschlossen, etwa den Bau eigener Terminals für den Import von Flüssigerdgas in Deutschland.
„Wir brauchen einen langen Atem“, sagte Habeck. Es gehe nicht nur um den kommenden Winter, sondern auch um den Winter 2023/2024. Die Bundesregierung rechnet damit, bis zum Sommer 2024 weitgehend unabhängig von russischem Gas zu werden.
Oberste Priorität für die Bundesregierung hat es, dass die Gasspeicher in Deutschland zu Beginn der Heizperiode fast voll sind, um bei einem Totalausfall russischer Lieferungen für den Winter gut gewappnet zu sein. Aktuell liegt der Gesamtspeicherstand nach Angaben der Bundesnetzagentur bei 65,1 Prozent. Probleme bereiten aber vor allem die Speicher von Uniper sowie Gazprom, die deutsche Tochter steht inzwischen unter staatlicher Treuhänderschaft.
Wie beim Gas, so beim Strom? – Sorgen um Knappheit im Winter
Genau kann das noch niemand sagen. Eine erst vor wenigen Tagen vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte Analyse zur Stromversorgung kommt zwar zu dem Ergebnis, „dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 gewährleistet ist“. Doch so ganz traut man dem wohl nicht. Denn das Haus von Robert Habeck (Grüne) gab bereits einen zweiten Stresstest in Auftrag, bei dem Experten die Belastbarkeit der deutschen Stromversorgung unter „weiter verschärften Bedingungen“ – noch weniger Gaslieferungen, noch weniger Atomstrom aus Frankreich – prüfen und modellieren sollen.
Energieexperten, die von der Deutschen Presse-Agentur befragt wurden, zeigten sich allerdings überwiegend recht zuversichtlich, dass das Netz der Belastungsprobe gewachsen sein wird. Tobias Federico, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Energy Brainpool, sagte: „Ich persönlich bereite mich nicht auf einen Blackout vor.“ Die Fachleute erwarten trotz der Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke zum Jahresende im Winter keine großen Engpässe beim Strom, auch weil Steinkohlekraftwerke aus der Reserve geholt würden.
Christoph Maurer vom auf Energie spezialisierten Berater Consentec hält die Lage für angespannt, aber grundsätzlich in einem normalen Winter beherrschbar. Vorsichtiger gab sich Thorsten Lenck von Agora Energiewende: „Nach unseren bisherigen Analysen ist es durchaus möglich, dass es im Winter in einigen Stunden knapp werden könnte.“
Mindestens vier, wenn man den Experten glauben darf: die massiven Probleme Frankreichs mit seinen Akw, mögliche Wetterextreme, die Versorgungslage der Gaskraftwerke und das Verhalten der Verbraucher.
Einer der größten Risikofaktoren ist ausgerechnet das Nachbarland Frankreich. Dort steht ein großer Teil der Kernkraftwerke gerade nach Entdeckung kleiner Risse im Notkühlsystem oder wegen Wartungsarbeiten still. Gelinge es nicht, genügend dieser Atomkraftwerke rechtzeitig wieder ans Netz zu bringen, könne dies aufgrund der europäischen Vernetzung zur Herausforderung für die deutschen Versorger werden, warnten Lenck und Maurer. Besonders kritisch könne es in einem kalten Winter werden, weil in Frankreich viel mit Strom geheizt werde.
Zweites Risiko: Wetterkapriolen. Besonders kritisch kann eine „Dunkelflaute“ sein – mehrere Tage mit wenig Wind- und zugleich kaum Solarstrom. Passiere das in Deutschland und Frankreich gleichzeitig und komme dann noch eine Kältewelle, sei das bedenklich, so Federico.
Drittes Risiko: die Versorgung der Gaskraftwerke mit ausreichend Brennstoff. Zwar machen sie nur einen recht kleinen Teil der Kapazitäten in Deutschland aus. Doch bei Lastspitzen können sie entscheidend sein, um die Netzstabilität zu sichern, betonte Lenck. 2021 stammten gut 15 Prozent der insgesamt erzeugten Elektrizität aus der Gasverbrennung – nun soll wegen der unsicheren russischen Lieferungen vorhandenes Gas aber mehr zum Heizen reserviert werden.
Und schließlich das schwer vorherzusagende Verbraucherverhalten. In den letzten Wochen hat die Nachfrage nach elektrischen Heizgeräten – vom Heizlüfter bis zur Konvektorheizung – deutlich zugenommen. Würde wirklich in großem Umfang damit geheizt, könnte das die Stromnetze in die Knie zwingen, warnte Maurer: „Das ist ein Szenario, das man fast um jeden Preis verhindern muss.“ Denn es würde die Möglichkeiten des Stromnetzes sowohl bei der Erzeugung als auch beim Transport überfordern. Die wachsende Zahl von E-Autos sei bisher noch kein Problem, meinte der Experte.
Sparsamer Umgang mit Strom empfiehlt sich schon mit Blick auf den eigenen Geldbeutel. Wie die Gas- sind auch die Strompreise zuletzt drastisch gestiegen. Im Juni lagen sie laut den Vergleichsportalen Verivox und Check24 um rund 30 Prozent über dem Vorjahresmonat. Der Wegfall der EEG-Umlage verschaffe den Verbrauchern etwas Entlastung, betonte Verivox-Energieexperte Thorsten Storck - doch sei dies wohl nur eine Atempause. „Spätestens zum Jahreswechsel rechnen wir erneut mit flächendeckenden Strompreiserhöhungen für Millionen Haushalte.“
Jedoch spricht nach Einschätzung der Branchenkenner vieles dafür, dass der Anstieg nicht so dramatisch sein dürfte wie beim Gas. „Der Strompreis wird sicher auch steigen, aber nicht ganz so heftig“, so Florian Stark von Check24. Die Entwicklung an den Strombörsen sei weniger drastisch. Zudem machten Kosten für Beschaffung und Vertrieb bei Strom „nur“ 44 Prozent des Preises aus, bei Gas über 60 Prozent.
Etliche Betriebe fürchten indes, die Mehrbelastung im Einkauf nicht mehr lange tragen zu können. Der Verband der Energie-Abnehmer (VEA) sprach jüngst von einem durchschnittlichen Strompreiszuwachs von fast 62 Prozent seit Januar. Die Lage sei mittlerweile existenzgefährdend.
Im Winter wird dies doppelt wichtig, um das Netz stabil zu halten und das Portemonnaie zu schonen. Wo und wann immer im Alltag Beleuchtung oder durchlaufende Maschinen nicht unbedingt nötig sind, lässt sich darauf verzichten. Immer wieder gibt es auch den Hinweis, nicht regelmäßig genutzte Elektrogeräte oder Unterhaltungselektronik ganz aus der Steckdose zu ziehen, statt sie im Standby-Modus zu lassen.
Außerdem könnte die Kraft-Wärme-Kopplung – die parallele Erzeugung von Strom und Wärme aus ein und demselben Brennstoff – die Effizienz erhöhen. Für Verbraucher gibt es etwa Mini-Blockheizkraftwerke. Auch in der Industrie kann der überschüssige Anteil heißen Dampfes, der nicht für die Bewegung einer Turbine und danach zum Generator-Betrieb nötig ist, weiter verwendet werden. Der Wirkungsgrad ist dann höher.
Die Werte für Deutschland verbessern sich allmählich, doch die Energiewende bleibt eine längerfristige Aufgabe. Nach Daten des Umweltbundesamts (UBA) nahm die Erzeugung von Strom aus Quellen wie Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie Bioenergie und Geothermie in der ersten Jahreshälfte um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Insgesamt kamen über 137 Milliarden Kilowattstunden an elektrischer Energie zusammen. Damit erzielten regenerative Träger Schätzungen zufolge rund 49 Prozent am Brutto-Stromverbrauch im Inland – 8 Prozentpunkte über dem Niveau von Ende 2021. Ähnliche Zahlen meldete jüngst der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Die Vorgaben für die Füllstände der Speicher sollen nun noch einmal verschärft werden. Konkret soll für den 1. September ein neues Zwischenziel von 75 Prozent eingefügt werden. Zum 1. Oktober sollen die Speicher statt bisher zu 80 Prozent dann zu 85 Prozent und 1. November statt wie bisher 90 zu 95 Prozent gefüllt sein.
Daneben geht es um weitere Einsparungen von Gas. Laut Bundesnetzagentur ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar, sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiter auf einem niedrigen Niveau verharren.
Deswegen soll zum 1. Oktober die Braunkohlreserve aktiviert werden, bisher ist dies bereits bei der Reserve bei Steinkohlekraftwerken der Fall. Ziel ist es, bei der Stromerzeugung Gaskraftwerke zu ersetzen und dadurch mehr Gas einspeichern zu können. Zusammen mit dem Bundesverkehrsministerium solle es eine Verordnung geben, damit der Transport von Kohle im Schienenverkehr Vorrang bekommt.
Damit der Gasverbrauch in Betrieben, Bürogebäuden und privaten Haushalten sinkt, sind neue Regelungen auf der Grundlage des geänderten Energiesicherungsgesetzes geplant. Ein Teil der Maßnahmen wird auf sechs Monate befristet sein, ein Teil auf zwei Jahre. So sei es sinnvoll, Räume, in denen man sich nicht regelmäßig aufhält, nicht mehr zu heizen – außer es gebe dafür sicherheitstechnische Anforderungen. Als Beispiel nennt das Ministerium Flure, große Hallen, Foyers und Technikräume. Für öffentliche Einrichtungen und Bürogebäude solle das in Verordnungen geregelt werden.
Zudem will das Ministerium mit den Sozialpartnern über weitere Einsparmöglichkeiten im Arbeits- und Betriebsbereich sprechen. Habeck brachte dazu ein verstärktes Arbeiten im Homeoffice ins Gespräch: „Die Energiebilanz ist dann eine positive, wenn in den Büros nicht geheizt wird und [daheim] Räume genutzt werden, die sowieso geheizt werden.“
Mieterinnen und Mieter sollen mehr Spielraum bekommen, Energie einzusparen. Derzeit gibt es nach Angaben des Ministeriums vertragliche Verpflichtungen, eine Mindesttemperatur in gemieteten Räumen aufrechtzuerhalten. Wenn Mieterinnen und Mieter weniger heizen wollen, verstoßen sie gegen Mietverträge. Diese Verpflichtungen sollen vorübergehend ausgesetzt werden, damit Mieterinnen und Mieter, die die Heizung herunterdrehen wollen, dies auch tun dürfen.
Eigentümer von Gasheizungen sollen einen Heizungscheck machen müssen. Verbindlich werden soll zudem ein hydraulischer Abgleich, damit Heizwasser optimal verteilt wird. Einen solchen sollen künftig alle Eigentümer von Gebäuden mit zentraler Wärmeversorgung – also in der Regel Mehrfamilienhäuser – machen, wenn sie ihn nicht in den vergangenen Jahren schon gemacht haben. Für Gebäude mit zentraler Wärmeversorgung soll der Austausch „ineffizienter, ungesteuerter Heizungspumpen verbindlich werden, dies seien große Energiefresser.
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