Vorstoß zum Freihandelsabkommen Top-Ökonom kritisiert Anti-USA-Kurs Gabriels

Im Eifer der Empörung über die neuen NSA-Enthüllungen hatte SPD-Chef Gabriel gefordert, das Freihandelsabkommen mit den USA auszusetzen. Die Kanzlerin hält davon nichts. Auch Experten warnen vor einem solchen Schritt.

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Sigmar Gabriel: Auf Konfrontationskurs zu den USA. Quelle: Reuters

Berlin Mit seiner Forderung, angesichts der mutmaßlichen Ausspähung des Mobiltelefons von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch US-Geheimdienste die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA zu unterbrechen, hat SPD-Chef Sigmar Gabriel Schiffbruch erlitten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält von einer solchen Reaktion ebenso wenig, wie Experten aus der Wirtschaft.

„Es wäre ein schwerer Fehler, die ohnehin komplizierten Verhandlungen um den Abbau von Handelshemmnissen zwischen Europa und den USA jetzt mit weiteren Bedingungen zu belasten. Dann sind diese Gespräche womöglich bereits gescheitert, bevor sie richtig begonnen haben“, sagte der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus F. Zimmermann, Handelsblatt Online. „Ist das Zeitfenster für dieses Projekt aber erst einmal wieder geschlossen, dürfte es so bald auch nicht wieder zu öffnen sein.“

Der Wirtschaftswissenschaftler plädiert deshalb dafür, die nächste Gesprächsrunde planmäßig im Dezember abzuhalten und im Februar 2014 einen ersten Zwischenbericht zu veröffentlichen. Gerade Europa würde von einem Abbau der vielfältigen transatlantischen Handelshemmnisse „erheblich“ profitieren, sagte Zimmermann. Wer dies verhindere, schade letztlich den europäischen Interessen. EU und USA handelten jeden Tag Waren und Dienstleistungen im Wert von rund zwei Milliarden Euro  miteinander“, gab der IZA-Chef zu bedenken. Das seien mehr als 40 Prozent der weltweiten Wertschöpfung. Etwa sechs Millionen Europäer verdankten zudem ihren Arbeitsplatz einem US-Investor.  

Gabriel – und nach ihm noch weitere führende SPD-Politiker – hatte seinen Vorstoß damit begründet, dass für ihn kaum vorstellbar sei, mit den USA ein Freihandelsabkommen abzuschließen, wenn die USA Freiheitsrechte der Bürger gefährdeten. Jetzt sei eine klare und eindeutige Antwort Europas auf die Abhöraffäre um den US-Geheimdienst NSA gefordert. Die Amerikaner müssten die im Grundgesetz verankerten Freiheits- und Persönlichkeitsrechte respektieren.

Am Mittwochabend hatte die Bundesregierung mitgeteilt, ihr lägen Informationen vor, wonach das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel von US-Geheimdiensten überwacht wurde. Die Europäische Union (EU) und die USA haben im Juli mit Verhandlungen über die größte Freihandelszone der Welt begonnen. Am Ende der Gespräche könnte ein riesiger gemeinsamer Wirtschaftsraum ganz ohne Zölle, Quoten und andere Handelsbarrieren stehen. Der Verzicht auf Zölle und die Angleichung von Produktstandards könnten Einsparungen in dreistelliger Milliardenhöhe bringen. Auch Deutschland könnte als Exportnation von einer solchen Freihandelszone profitieren.


Deutschland winken 100.000 neue Jobs

„Die Chancen für Wachstum und Beschäftigung durch ein transatlantisches Freihandelsabkommen sind daher unbestritten“, betonte auch IZA-Chef Zimmermann. „Trotz  der unerfreulichen Begleitumstände durch die Debatte um die Abhörpraktiken des NSA sollte daher das Projekt entschlossen und ohne Vorbedingungen möglichst bis 2015 umgesetzt werden.“

Vertreter der deutschen Wirtschaft warnten daher auch vor einer Belastung der transatlantischen Handelsgespräche durch die Handy-Affäre der Kanzlerin. „Politischer Stillstand in den USA und wachsendes Misstrauen dürfen das Freihandelsabkommen nicht blockieren“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber. Die Unternehmen verlangten eine zügige Fortsetzung der Verhandlungen über eine Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA. „Das Abkommen hat eine enorme ökonomische, politische und strategische Bedeutung für Europa und Amerika“, sagte Kerber.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht das ebenso. „Die jüngsten Vorfälle machen den Start der Verhandlungen für ein umfassendes Freihandelsabkommen nicht leichter“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zu Reuters. „Für uns, aber auch für die Amerikaner ist das Abkommen aber zu wichtig, als dass man es jetzt abblasen sollte.“

Allein in Deutschland würden 100.000 neue Jobs entstehen und das Wachstum jährlich um mindestens fünf Milliarden Euro zusätzlich angeschoben. Der DIHK geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft wegen der Abhöraffären des US-Geheimdienstes NSA eher auf europäische Technologien setzen wird. „Natürlich wird der Blick jetzt stark auf europäische Anbieter gelegt“, sagte Treier.

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