




Sigmar Gabriels Hoffnung dürfte sich nicht erfüllen. Es wird in der SPD durchaus so manches „Stirnrunzeln“ geben über die Honorare, die ihr frisch gekürter Kanzlerkandidat als vortragsreisender Bundestagsabgeordneter einsteckte. Und noch viel mehr Stirnrunzeln gibt es bei potenziellen SPD-Wählern. Bei der „Sonntagsfrage“ des ARD-„Deutschlandtrend“ von Infratest dimap verliert die SPD einen Prozentpunkt und kommt nur noch auf 30 Prozent (Union: 40 Prozent). Noch weiter sacht Steinbrück selbst in der Wählergunst nach unten. In der Beliebtheitsskala verliert der Kanzlerkandidat gegenüber Oktober neun Prozentpunkte und landet nunmehr bei 50 Prozent (Angela Merkel: 68 Prozent).
Mit gutem Grund. Steinbrücks Glaubwürdigkeitsproblem und damit das der SPD lässt sich nicht so einfach durch größtmögliche Offenheit vom Tisch wischen. Selbst wenn Steinbrück die finanziellen Details seiner Vorträge öffentlich gemacht und alle Transparenzregeln für Abgeordnete übererfüllt hat, beseitigt er damit nicht den eigentlichen Gegenstand der Empörung. Für die Wähler, die die SPD anspricht – und nicht nur für die - wird ein Honorar von 25.000 Euro für einen einzigen Vortrag vor hochrangigen Vertretern der Finanzindustrie nicht dadurch moralisch reingewaschen, dass man es offenlegt.
Den Einladenden geht es nicht um den Vortrag
Eine Nebelkerze der besonders raffinierten Art ist die vermutlich zutreffende Behauptung Steinbrücks, der Inhalt seiner Vorträge sei "unverdächtig“. Sein Parteivorsitzender hatte schon Ende Oktober gesagt, Steinbrück habe bei diesen Gelegenheiten nichts gesagt, was er nicht auch schon im Bundestag gesagt habe. Als ob es bei Steinbrücks einträglichen Vorträgen um das gegangen sei, was Steinbrück sagte! Natürlich bezahlen Finanzinstitute und Unternehmensberatungen niemandem mehrere Tausend Euro für einen Vortrag, dessen Inhalt wahrscheinlich jedermann in Steinbrücks Buch oder seinen Bundestagsreden finden kann.
„Vortrag“, das klingt nach Gelehrsamkeit. Ein Gelehrter trägt lernbegierigen Zuhörern sein Wissen vor. Jeden Abend finden an Instituten, in Universitäten, Volkshochschulen und Buchhandlungen Vorträge statt. Die allermeisten sind für die Zuhörer kostenlos. Und die allermeisten Vortragenden erhalten, selbst wenn sie renommierte Wissenschaftler sind, kaum mehr als die Reisekosten und eine kleine Aufwandsentschädigung.
Die Vorträge, die Steinbrück und viele andere ehemalige oder aktive Politiker, aber auch Wirtschaftsgrößen für einige Tausend Euro bei Unternehmen wie der Kerkhoff Consulting GmbH oder der Südwestbank AG halten, haben damit wenig zu tun. Ihr Sinn ist nämlich in der Regel nicht, dass die Zuhörer vom Vortragenden etwas lernen wollen. Im Gegenteil: Der Vortragende soll etwas lernen. Die Einladenden bezahlen nicht für den Vortrag, sondern für die Kontaktmöglichkeit zu einem politisch einflussreichen Menschen. Und sie werben um Verständnis für ihre Anliegen. Im Fall Steinbrück sind es nicht zuletzt Anliegen von Branchen, die in den kommenden Jahren zum Gegenstand politischer Regulierung werden könnten.
Eine verschleierte Form der Korruption
Vorträge der Steinbrückschen Art haben sich zu einem verbreiteten und offenbar für die Auftraggeber erfolgreichen Instrument des politischen Lobbyismus entwickelt. Sie schmeicheln der Eitelkeit des Vortragenden, der vielleicht gar nicht merkt, dass er zum Objekt der Einflussnahme wird, weil er eine angemessene Leistung erbracht zu haben meint. Und doch ist es nichts anderes als eine honorig verpackte Form von Korruption, denn kein Vortrag ist 25.000 Euro wert.
Dass die Regierungsparteien Steinbrück in dieser Affäre sehr sanft anpacken, hat natürlich gute Gründe. Aber die Tatsache, dass bei den Nebeneinkünften Union und FDP die Opposition weit abhängen, ändert nichts daran, dass ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat, der die Bändigung der Finanzbranche auf seine Fahnen geschrieben hat, nicht glaubwürdig ist, wenn ihn Unternehmen zum reichen Mann machen, die in den Augen breiter Bevölkerungsschichten die Hauptverantwortlichen der Krise und die Hauptnutznießer der Rettungspolitik sind.
Diese potentiellen SPD-Wähler werden 2013 wenig Neigung verspüren, einen solchen Mann zum Kanzler zu wählen. Die Wahlen werden sich mehr als je zuvor ganz um die beiden Spitzenkandidaten drehen. Persönliche Glaubwürdigkeit ist daher entscheidend. Am Wahlabend, wenn er Angela Merkel zum Sieg gratulieren muss, werden Steinbrück die 1,25 Millionen Euro ein großer Trost sein.