Der Skandal um Abgasmanipulationen bei Volkswagen ist aus Sicht von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel „eine Zäsur“ über den Konzern hinaus. Für die Autoindustrie und die Marke „Made in Germany“ sei es über die Schadensbegrenzung hinaus nötig, Vertrauen wiederherzustellen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Von den Manipulationen bei VW habe er erstmals über Pressemitteilungen in Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Skandals im September 2015 erfahren.
Danach habe er in Gesprächen mit dem VW-Konzern dringend Klärung angemahnt und sich für eine schnelle Einführung neuer Testverfahren auf EU-Ebene eingesetzt. Gabriel sollte vom Ausschuss auch zu seiner Zeit als Umweltminister von 2005 bis 2009 befragt werden.
Natürlich sei ihm damals bekannt gewesen, dass es Kritik von Umweltschützern am Auseinanderfallen von Testmessungen und realen Abgaswerten gab, machte Gabriel deutlich. Dies sei angesichts von Äußerungen von Technikern über den entsprechenden Testzyklus auch plausibel gewesen. Begriffe wie „Abschalteinrichtungen“ der Abgasreinigung, die nun im Fall VW bekannt wurden, habe er in seinen damaligen Gesprächen aber nicht gehört.
Auch Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) hatte nach eigenen Angaben keine früheren Hinweise auf illegalen Praktiken. Altmaier sagte im Untersuchungsausschuss des Bundestags, zu Beginn seiner Amtszeit als Umweltminister 2012 sei es in einem Gespräch mit Deutschen Umwelthilfe um Abweichungen von Testwerten und realen Werten gegangen. Von der Umwelthilfe sei dies aber nicht als strafbar oder rechtswidrig beschrieben worden. Zu möglichen illegalen Methoden habe er keine Unterlagen erhalten, die man hätte prüfen können. Das Thema sei danach auch von anderer Seite nicht mehr an ihn herangetragen worden.
Am 19. Januar sollen der früheren VW-Chef Martin Winterkorn und weitere Branchenvertreter ebenfalls vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundetags als Zeugen befragt werden. So wollen die Abgeordneten den Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, vernehmen. Rede und Antwort stehen sollen außerdem Konzernvertreter von Volkswagen, Audi und Opel.
Spar- und Sanierungsprogramme bei Volkswagen
Im Jahr des Amtsantritts des späteren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch als Vorstandschef steckt der Konzern in einer tiefen Krise. Er produziert im Vergleich mit der globalen Konkurrenz viel zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30.000 Beschäftigten.
Peter Hartz, von Piëch eingestellter Personalvorstand und späterer Entwickler der Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder, kann den Kahlschlag abwenden. Er führt in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat und der IG Metall unter anderem die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen ein - eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Auch der umstrittene „Kostenkiller“ und Ex-General-Motors-Manager José Ignacio López bringt den verlustreichen Konzern finanziell wieder auf Kurs.
Die Hauptmarke Volkswagen-Pkw fährt chronisch niedrige Erträge ein - eine deutliche Parallele zur heutigen Lage. Nach monatelangen Verhandlungen zum neuen Haustarifvertrag bei VW einigen sich die Parteien auf eine Abkehr von der Vier-Tage-Woche. Als Gegenleistung für die wieder deutlich längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verlangt die IG Metall vom Unternehmen verbindliche Zusagen für die langfristige Zukunft der sechs westdeutschen Werke.
Nachdem Kernmarken-Chef Wolfgang Bernhard mit Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen gedroht hat, verlässt er den Konzern. VW kann dennoch die Kosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Nach Jahren satter Gewinne dümpelt die Marke mit dem VW-Emblem - gemessen an der Marge (Anteil des Gewinns am Umsatz) - im Branchenvergleich erneut vor sich hin. Zugleich muss der Gesamtkonzern die Milliardenlasten des Abgas-Skandals verdauen und sich stärker auf die Zukunftsthemen der Branche konzentrieren.
Der „Zukunftspakt“ soll daher den Spardruck, den Umbau in Richtung E-Mobilität, Digitalisierung und Dienstleistungen sowie das Interesse der Belegschaft an sicheren Jobs und Standorten in die Balance bringen. Nach Monaten des Ringens steht fest: Dies wird nicht ohne Zugeständnisse bei den Jobs gehen. 30.000 Stellen sollen weltweit bis 2020 auslaufen, betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben - stattdessen soll der Abbau etwa über Altersteilzeiten erreicht werden.
Der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke) sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei kein Geheimnis, dass die Autoindustrie enge Kontakte zur Bundesregierung habe. „Welche konkreten Absprachen es im Kontext des Abgasskandals und der Emissionsgesetzgebung gegeben hat, wird im Zentrum der Befragungen stehen.“ Am 26. Januar soll Daimler-Cheflobbyist Eckart von Klaeden (CDU) geladen werden, der zuvor Staatsminister im Kanzleramt war.
Winterkorn war im September 2015 über den Skandal um manipulierte Abgaswerte bei VW gestürzt. Er betonte bei seinem Rücktritt, er sei sich keines Fehlverhaltens bewusst.