VW-Diesel-Skandal Damoklesschwert über VW-Besitzer

VW-Fahrzeuge mit Manipulationssoftware müssen nachgerüstet werden, sonst droht der Entzug der Zulassung. Ein Unding, finden die Grünen. Die Behörde beschwichtigt: Bisher sei noch kein Auto aus dem Verkehr gezogen worden.

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In Deutschland sollen insgesamt rund 2,4 Millionen Fahrzeuge ein Software-Update bekommen. Quelle: dpa

Berlin Für Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist die Sache klar: „Die Rechtssituation in Deutschland ist anders als in den USA“, sagte der CSU-Politiker kürzlich der „Bild“-Zeitung. Er meint damit, dass in den USA die Fahrzeuge nicht in einen rechtskonformen Zustand versetzt werden, weshalb die Kunden dort eine Entschädigung erhalten oder ihren Wagen an VW zurückverkaufen können. In Deutschland müsse VW dagegen die Fahrzeuge durch Nachrüstung „in den rechtskonformen Zustand versetzen“.

Dobrindt setzt sich daher vehement dafür ein, dass wenigstens dieser Weg der Hilfe einigermaßen reibungslos funktioniert. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn bei den anstehenden Mängelregulierungen ist nicht nur der VW-Konzern gefordert. Die Maßnahmen, die Dobrindt angestoßen hat, verlangen auch eine Mitwirkung der Dieselfahrzeug-Halter. Sie sind verpflichtet, dem vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) angeordneten Rückruf aller betroffenen Dieselmodelle des Volkswagenkonzerns und seiner Marken Folge zu leisten, damit VW die Fahrzeuge umgerüstet werden können. Davon sind in Deutschland insgesamt rund 2,4 Millionen Fahrzeuge betroffen.

Nehmen betroffene Kunden an der Rückrufaktion und der Umrüstung nicht teil, kann das schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Es droht der Entzug der Zulassung. Die Grünen halten das für inakzeptabel. Dabei wurde von der Stilllegungsmaßnahme noch kein Gebrauch gemacht. „Bislang musste kein Fahrzeug außer Betrieb gesetzt werden“, teilte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) auf Anfrage des Handelsblatts mit. Der Rückruf der manipulierten Autos sei aber verbindlich. Soll heißen: Das Damoklesschwert eines Zulassungsentzug schwebt weiter über den betroffenen Autofahrern.

„Fahrzeuge, die nicht umgerüstet werden, können außer Betrieb gesetzt werden“, warnt die Behörde. In den Schreiben der Hersteller sei eine Aufforderung zur Terminvereinbarung enthalten. Gegebenenfalls würden Erinnerungsschreiben verschickt, sofern ein Fahrzeug trotz Aufforderung nicht in der Werkstatt vorgeführt wurde. Das KBA und das Ministerium gingen jedoch davon aus, „dass alle Fahrzeughalter an der Umrüstung teilnehmen, damit das Fahrzeug sich anschließend in einem rechtskonformen Zustand befindet“.

Falls nicht, könnten die Fahrzeugbesitzer spätestens bei der nächsten Hauptuntersuchung eine böse Überraschung erleben. Laut Medienberichten gibt es die Prüfplakette bei Tüv, Dekra und ähnlichen Anbietern offenbar nur noch bis höchstens 18 Monate nach Erhalt der Aufforderung zur Nachrüstung. Wer nach Ablauf dieser Frist zur Hauptuntersuchung muss, bekomme danach keine Plakette mehr, schreibt die Stiftung Warentest auf ihrer Webseite. Das fehlende Update soll demnach zwar als „erheblicher Mangel“ gewertet werden, aber nicht zur sofortigen Stilllegung führen. Betroffene Autobesitzer könnten das Update nachholen und bekämen dann eine neue Prüfplakette.


Grüne fordern von VW Entschädigung oder Fahrzeugrücknahme

Den Grünen ist diese Praxis ein Dorn im Auge. Aus ihrer Sicht müsste die Bundesregierung eine deutlich härtere Gangart gegenüber dem VW-Konzern einlegen. „Wir fordern endlich eine Regelung, dass VW betroffene Fahrzeuge entschädigt oder zurücknimmt. Es kann nicht sein, dass VW betrügt, in Deutschland aber nicht der Konzern, sondern allein die Autobesitzer die Konsequenzen tragen müssen“, sagte der Vize-Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, dem Handelsblatt.

Krischer kritisierte in diesem Zusammenhang, dass laut Bundesverkehrsministerium Halter von VW-Autos mit den umstrittenen Einrichtungen zum Abschalten der Abgasreinigung den Entzug der Zulassung befürchten müssen, wenn sie sich weigern, ihr Fahrzeug nachrüsten zu lassen. Er warf Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vor, eine „Pervertierung des Verursacherprinzips“ zu betreiben. „VW betrügt und die betrogenen Autofahrer müssen nachher mit der Zwangsstilllegung rechnen.“ Von Entschädigung oder gar Rücknahme des Fahrzeugs sei hingegen keine Rede. Vielmehr hätten diejenigen VW-Kunden, die am Rückruf der manipulierten Fahrzeuge teilnähmen, „praktisch keine Chance mehr, noch Schadensersatz geltend zu machen“.

Bei der Aufarbeitung des VW-Abgasskandals will derweil die EU-Kommission den Druck auf Volkswagen erhöhen. Nach Handelsblatt-Informationen wollen die nationalen Verbraucherschutzbehörden der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel am heutigen Dienstag aller Voraussicht nach erstmals gemeinsam einen Rechtsverstoß des Konzerns feststellen.

„Volkswagen hat gegen europäische Verbrauchergesetze verstoßen, das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben", sagte EU-Justizkommissarin Vera Jourova dem Handelsblatt. Nach mehr als sechs Monaten ergebnisloser Gespräche mit dem Konzern über eine Entschädigung für die Kunden in der EU sei es nun an der Zeit, gemeinsame Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.


VW kritisiert EU-Kommission scharf

Der „Welt“ sagte Jourova: „Volkswagen hat nach mehr als einem halben Jahr des Dialogs mit uns die Schlüsselforderungen der Verbraucher nicht erfüllt.“ VW habe europäisches Konsumentenrecht gebrochen. Sollte VW nicht Zugeständnisse an die betroffenen Kunden machen, könnten nationale Behörden auf der Grundlage des Rechtsgutachtens Strafzahlungen gegen den Konzern verhängen.

VW weigert sich bisher unter Verweis auf die unterschiedliche Rechtslage sowie die Höhe der Kosten, betroffene Kunden genau so zu entschädigen wie in den USA. Dies hatten Verbraucherschützer wiederholt scharf kritisiert.

Jourova verlangt von dem Konzern, den 8,5 Millionen betroffenen Kunden in der EU finanziell oder durch zusätzliche Service-Leistungen entgegenzukommen. Die zugesagte Reparatur reiche nicht aus. Ein VW-Sprecher sagte dem Handelsblatt: „Die Ankündigungen der EU-Kommissarin sind unverständlich und könnten Kunden davon abhalten, in die Werkstätten zu kommen.“

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