VW und Entschädigungen „Kunden zweiter Klasse sollte sich VW nicht leisten“

Im Abgas-Skandal nimmt VW-Chef Müller deutschen Kunden die letzte Hoffnung auf eine Entschädigung. Das ruft Verbraucherschützer auf den Plan. Sie fordern, dass sich nun die Bundesregierung einschaltet.

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In den USA hatte VW nach monatelangen Verhandlungen eine Einigung mit US-Behörden und Klägern erreicht. Entschädigungen für europäische Kunden stehen für den Konzern aber nicht zur Debatte. Quelle: dpa

Berlin Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat mit scharfer Kritik darauf reagiert, dass der Volkswagen-Konzern Forderungen nach Entschädigungen auch europäischer Kunden unter Hinweis auf eine dann drohende Pleite des Konzerns zurückgewiesen hat. „Die Ungleichbehandlung europäischer Kunden gegenüber denen in den USA ist nicht akzeptabel. Verbraucher in Europa und Deutschland dürfen nicht leer ausgehen“, sagte VZBV-Chef Klaus Müller dem Handelsblatt. „Kunden zweiter Klasse – das sollte sich Volkswagen nicht leisten.“

Müller sieht nun die Bundesregierung am Zug, sich für geschädigte VW-Kunden in Deutschland einzusetzen. Betroffene Kunden müssten „angemessen“ entschädigt werden. „Die Bundesregierung ist gefordert, sich konsequent für Verbraucherbelange einzusetzen“, verlangte der VZBV-Chef.

Die Grünen im Bundestag dringen auf bessere Klagemöglichkeiten für betroffene Kunden. „Damit geschädigte VW-Kunden ihre Ansprüche leichter durchsetzen können, brauchen wir endlich die Möglichkeit von Gruppenklagen“, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer dem Handelsblatt.

Derzeit ist die rechtliche Lage wenig verbraucherfreundlich. Jeder Kunde muss für sich vor Gericht ziehen, um den Konzern auf Schadensersatz zu verklagen. Verbraucher-Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) plädiert deshalb auch für die Einführung von Gruppenklagen. Nach diesem Modell können sich viele Geschädigte zusammentun und Klage einreichen. Das könnte „uns helfen, die Rechtsdurchsetzung wesentlich zu vereinfachen“, sagte Kelber Anfang des Jahres dem Handelsblatt. Bisher sind aus den Überlegungen aber noch keine konkreten Gesetzespläne geworden.

Krischer sagte, der Abgasskandal sei nicht nur ein „Umweltskandal“, sondern auch ein „Verbraucherschutzskandal“, bei dem Millionen Verbraucher weltweit geschädigt worden seien. „Durch die illegale Software besteht bei ihren Autos ein Sachmangel, und sie haben Anspruch darauf, dass der Mangel beseitigt wird“, betonte Krischer. Es dürfe daher nicht sein, dass europäische Autofahrer schlechter behandelt würden als amerikanische VW-Fahrer.

Der Grünen-Politiker kritisierte in diesem Zusammenhang, dass VW immer noch nicht klargestellt habe, dass alle Ansprüche ihrer Kunden entschädigt würden. „Auch die Bundesregierung lässt die 2,6 Millionen betroffenen Verbraucher in Deutschland allein“, sagte Krischer und forderte: „Sie muss Klarheit von VW einfordern, wann Kunden von ihrem Kaufvertrag zurücktreten können.“

Volkswagen-Chef Matthias Müller hatte zuvor Forderungen nach Entschädigungen für Kunden in Europa infolge der Abgasaffäre eine Absage erteilt. Anders als in den USA, wo der VW-Konzern rund 16 Milliarden Euro dafür zurückgestellt habe, gebe es in Europa eine andere Sachlage, sagte Müller der „Welt am Sonntag“ (WamS). In den USA seien die Grenzwerte deutlich strenger und damit werde auch die Nachrüstung komplizierter. Außerdem sei die Teilnahme an einer Rückrufaktion in den USA anders als in Deutschland freiwillig.


„Das würde die Loyalität der Kunden stärken und VW gut tun“

In den USA hatte VW in der vergangenen Woche nach monatelangen Verhandlungen eine Einigung mit US-Behörden und Klägern erreicht. Demnach wird Volkswagen die Abgas-Affäre in den USA voraussichtlich bis zu 15 Milliarden Dollar kosten. Ein entsprechendes Paket sieht Rückkäufe, Entschädigungen und Strafen vor. So will VW US-Kunden mit manipulierten Autos jeweils mindestens 5100 Dollar (4600 Euro) Entschädigung zahlen. Die Besitzer könnten sich aussuchen, ob VW ihre Wagen zurückkaufen oder umrüsten soll. Die Regelung ist noch nicht rechtskräftig, ein Richter muss noch zustimmen.

In den USA sind von den Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen rund 500.000 Autos betroffen - weltweit aber elf Millionen Fahrzeuge, davon 2,4 Millionen in Deutschland. Der Abgas-Skandal hatte VW in eine schwere Krise gestürzt. 2015 verbuchte der Autobauer den größten Verlust der Konzerngeschichte.

Über Entschädigungen von Kunden auch in Europa wird schon länger debattiert. Zuletzt hatte sich auch EU-Binnenmarktkommissarin Elzbieta Bienkowska eingeschaltet. „Volkswagen sollte europäischen Fahrzeugbesitzern freiwillig eine Kompensation zahlen, die vergleichbar mit der ist, die den US-Konsumenten gezahlt wird“, sagte Bienkowska kürzlich der „Welt am Sonntag“. Es sei unfair, wenn sich VW hinter rechtlichen Erwägungen verstecke.

Sie wolle Volkswagen zwar keine Ratschläge erteilen, fügte Bienkowska hinzu. „Aber die Konsumenten in Europa anders zu behandeln als die US-Konsumenten ist kein Weg, das Vertrauen wiederzuerlangen.“

Der Autoexperte Stefan Bratzel riet Volkswagen ebenfalls seine Kunden in Europa nicht als Kunden zweiter Klasse zu behandeln. Auch wenn der Autobauer rechtlich nicht zu einer Entschädigung verpflichtet sei, sollte er als Symbol eine Wiedergutmachung anbieten. „Das würde die Loyalität der Kunden stärken und VW gut tun“, sagte der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Als Vorschlag nannte Bratzel, VW könne in der Werkstatt eine Service-Leistung übernehmen, etwa die Kosten einer Inspektion oder die Montage bei einer Reparatur. Als Summe nannte Bratzel einen Gegenwert von etwa 100 Euro pro Kunde. Der Auto-Experte beziffert die Kosten dann auf ein bis zwei Milliarden Euro für eine solche Aktion. Bargeld sei nicht angebracht, weil Kunden dann leicht mehr verlangen könnten: „Es macht keinen Sinn, 100 Euro ins Handschuhfach zu legen.“

VW kann nach Einschätzung des Autoexperten die Summe von 14,7 Milliarden Dollar Entschädigung in den USA stemmen: „Es ist schmerzlich, aber VW kann das verkraften.“ Allerdings fehle das Geld bei Zukunftsthemen: „Das Geld hätte VW schon früher in Zukunftstechnologien wie E-Autos oder autonomes Fahren investieren müssen. Der Konzern muss aufpassen, dass er nicht den Anschluss an die Zukunft verpasst.“

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