Wähleranalyse des DIW AfD wildert bei SPD-Wählern

Die SPD scheint vielen Wählern nicht mehr sozialdemokratisch genug. Ihren Nimbus als Arbeiterpartei hat sie laut einer DIW-Studie an die AfD verloren. Wohl auch, weil sie sich stark dem Unions-Profil angenähert hat.

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„Wir sind eine Partei der kleinen Leute.“ Quelle: dpa

Berlin Für den Vize-Chef der AfD, Alexander Gauland, ist schon lange klar, wofür und für wen seine Partei steht. „Wir sind eine Partei der kleinen Leute“, bekannte Gauland einst im Interview mit dem Handelsblatt. Seinerzeit, im Frühjahr 2015, war noch nicht absehbar, dass wenige Monate später die aufkeimende Flüchtlingskrise der Partei etliche Umfrage-Höhenflüge bescheren würde. Mit der Folge, dass sie inzwischen in 13 Landtagen vertreten ist. Dass ihr im Herbst auch der Sprung in den Bundestag gelingt, gilt als sicher.

Der Erfolg der AfD auf Landesebene hat viel damit zu tun, dass sie nicht nur frühere Nichtwähler mobilisiert, sondern bei allen Bevölkerungsschichten punktet. Auffallend war schon bei den vergangenen Landtagswahlen, dass die Partei überproportional Stimmen aus dem Arbeitermilieu erhielt. Jetzt bestätigt sich der damalige Befund durch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

In ihrer Untersuchung, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, verglichen die Experten die Wählerstruktur der Parteien im Jahr 2000 mit jener von 2016 – nach Einkommen, Ausbildung, Stellung im Beruf und anderen Merkmalen. Und sie kommen zu dem überraschenden Ergebnis, dass die SPD nicht mehr als Arbeiterpartei gilt. Dieses Etikett kann sich inzwischen eher die Alternative für Deutschland (AfD) anhängen – jedenfalls wenn man die Struktur ihrer Wählerschaft zugrunde legt.

Das für die SPD ernüchternde Ergebnis erklärt DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos damit, dass sich die Alterung der Gesellschaft und der Wandel der Arbeitswelt auch auf die Wählerpräferenzen aus gewirkt hätten, „sodass manch altes Muster wie etwa das von der SPD als klassischer Arbeiterpartei verblasst ist“. Die SPD hat sich demnach im Untersuchungszeitraum von einer „Arbeiterpartei“ hin zu einer „Rentner-und Angestelltenpartei“ entwickelt – mit der Folge, dass sich die Wählerprofile von SPD und den Unionsparteien immer mehr aneinander angenähert haben.

Andere Parteien konnten sich derweil als „Arbeiterparteien“ profilieren, nicht nur die Linke, sondern auch die AfD. Dort sei der Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie der Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten an allen abhängig Beschäftigten am höchsten, heißt es in der Studie. Wie nachhaltig die Struktur der Wählerschaft der AfD ist, lässt sich abschließend nicht beantworten. Vor allem auch, weil die Partei, wie die Forscher bemerken, bereits einige „Häutungsprozesse“ hinter sich habe. Sie gehen deshalb davon aus, „dass sich das Gefüge ihrer potentiellen Wählerschaft in kurzer Zeit verändert haben dürfte“. Das erkläre auch, dass es zur Verortung der AfD teilweise widersprüchliche Befunde gebe.

Der DIW-Mann Kritikos glaubt indes, dass die AfD eine Lücke schließt und daher auch „offensichtlich bei Arbeiterinnen und Arbeitern einen guten Anklang“ finde. Deren Anteil in der AfD-Wählerschaft sei mit 34 Prozent relativ hoch, höher als bei der SPD (17 Prozent) und auch höher als bei der Linken (22 Prozent). Die Union liegt mit 16 Prozent fast gleichauf mit der SPD. Die AfD, so vermutet Kritikos, sei derzeit wohl in der Lage, „diese Klientel besser anzusprechen als die eher links orientierten Parteien.“

„Auffallend ist auch“, so Kritikos weiter, „dass die Wählerschaft der AfD einen hohen Anteil an Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten aufweist. Daneben gibt es bei der AfD auch einen ähnlich hohen Anteil an Selbständigen wie bei der FDP.“ Innerhalb der AfD-Wählerschaft gibt es laut der Studie auch „relativ viele Gewerkschaftsmitglieder“, während der öffentliche Dienst kaum vertreten sei. Relativ hoch seien dagegen die Anteile der Selbständigen und der Arbeitslosen.

Die SPD will sich angesichts der Befunde nun mit harten Attacken gegen die AfD profilieren. „Das Programm der AfD verheißt für normale Menschen nichts Gutes“, sagte Parteivize Ralf Stegner dem Handelsblatt. Isolation und Abschottung seien ein „Jobkiller-Programm“, die Zeche zahlten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. „Wo sich die AfD eine soziale Fassade zu geben sucht, ist alles Schminke und Tünche“, betonte Stegner. Deswegen müsse die SPD „die harte inhaltliche Auseinandersetzung suchen“ bei den Gerechtigkeitsthemen. Die AfD, fügte der SPD-Politiker hinzu, sei „unsozial, unsolidarisch und kommt normale Leute teuer zu stehen“.


Politikwissenschaftler: SPD-Wende kaum zu schaffen

Stegner ist zudem überzeugt, dass Martin Schulz der Richtige sei, „auch um verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen“. Der SPD-Kanzlerkandidat sei nah dran an den Problemen der Menschen im Land. „Hauptstadt-Journalisten haben ja manchmal Witze gemacht, über den Mann mit Bart und ohne Abitur“, fügte Stegner hinzu. Aber gerade sein eigener Lebensweg verbinde ihn mit sehr vielen Menschen im Land.

Dass die SPD ihren Nimbus als Arbeiterpartei verloren hätte, sieht Stegner nicht. Die Sozialdemokraten seien seit über 150 Jahren die Partei der Arbeit und Gerechtigkeit. „Von Streikrecht und Acht-Stunden-Tag bis Mindestlohn – Fortschritte für Arbeiter und Arbeitnehmer in Deutschland kommen immer durch die Sozialdemokratie“, betonte der SPD-Vize. Die SPD sei im Übrigen „die linke Volkspartei in Deutschland und hat schon immer verschiedene Wählergruppen, Wurzeln und Strömungen vereint“.

Dass die Partei einen, wie der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer, sagte, „ideologisch-programmatischen Wandel zur Arbeitnehmer- und linken Volkspartei“ vollzogen habe, sei auch notwendig gewesen. „Denn die gewerkschaftlich orientierte Industriearbeiterschaft als die historisch bedingte Kernwählerschaft der SPD schrumpft immer mehr.“

Doch auch bei den Themen schwächelt die SPD. Die Partei müsse zwar heute noch auf ihre Kernwählerschaft Rücksicht nehmen und daher auch die soziale Gerechtigkeit nach vorne stellen. „Aber wenn nur 6 Prozent der Wähler sagen, dass es ihnen wirtschaftlich schlecht geht und für die große Mehrheit andere Fragen wie Flüchtlingspolitik oder innere Sicherheit im Vordergrund stehen, lässt sich damit allein keine Wahl gewinnen“, so Niedermayer.

Der Politikwissenschaftler bezweifelt denn auch, dass die SPD in den kommenden Wochen vor der Bundestagswahl noch die Wende schaffen wird. „Helfen könnte der SPD jetzt nur noch ein von der Bevölkerung als wichtig angesehenes Thema, bei dem sie ein Alleinstellungsmerkmal hat. Ein solches Thema kann ich aber nicht erkennen“, sagte er.

Die AfD scheint in dieser Hinsicht den Vorteil zu haben, dass sie versucht, mit einer breiten Palette an Themen zu punkten. Dass die Partei diese mit einem rechtspopulistischen Anstrich versieht, schreckt dann selbst Wähler aus dem mutmaßlich linken Spektrum nicht ab. „Wir wissen aus empirischen Untersuchungen, dass auch Gewerkschaftsmitglieder nicht frei von Auffassungen sind, wie sie im gesellschaftspolitischen Bereich, etwa in der Flüchtlingsfrage oder beim Islam, von der AfD vertreten werden“, sagte Parteienforscher Niedermayer.     

Und ein weiteres überraschendes Detail fördert die DIW-Studie zutage. Der in der öffentlichen Debatte oft vertretenen Behauptung, dass die Wähler, die zur AfD neigten von der Gesellschaft „abgehängt“ seien, widersprechen die Forscher. Die Mehrheit der AfD-Wählerschaft habe zwar ein unterdurchschnittliches Einkommen, „aber eine substantielle Minderheit steht finanziell gut da“, schreiben die Wissenschaftler.

Die Untersuchung zeigt zudem, dass die Wahlpräferenzen mit der Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Lage sowie mit sehr unterschiedlichen Sorgen zusammenhängen. „Während unbesorgte Menschen zur FDP tendieren, zieht es viele besorgte Menschen zu AfD und der Linken“, heißt es in der Studie.

Gleichwohl müsse aber offen bleiben, in welchem Maße die kommende Bundestagswahl von der materiellen Situation beeinflusst werde. Schon vor zwei Jahren hätten die Ängste um Arbeitsplatz und Einkommen weit hinter anderen Sorgen gelegen, woran sich angesichts der anhaltend guten Lage auf dem Arbeitsmarkt auch nichts geändert habe. „Es könnten daher andere Themen bei der Wahl den Ausschlag geben – oder die verbreitete Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation“, so die Forscher.

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