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Wahl in Bayern „Ökonomie ist nicht mehr die zentrale Frage“

Bayern-Wahl: So Wohlstand beeinflusst Wahlentscheidungen Quelle: dpa

Bayern steht wirtschaftlich blendend da, dennoch strafen die Wähler die CSU ab. Der Politologe Wolfgang Merkel über Wohlstand und Wahlentscheidungen bei wachsendem Parteiensortiment.

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Herr Merkel, die CSU ist von den bayrischen Wählern abgestraft worden, obwohl Bayern nach ökonomischen Daten blendend dasteht. Kommt es für Regierungen heute nicht mehr auf die Wirtschaftspolitik an, wenn sie wiedergewählt werden wollen?
Das gilt nicht mehr, wenn ein hohes wirtschaftliches Niveau anhält. In einem Land wie Deutschland, dem es der Mehrheit der Menschen so lange so gut geht, ist  für diese nicht mehr die Ökonomie die zentrale Frage. Stattdessen treten andere Fragen in den Vordergrund. Nämlich häufig solche, die kulturell konnotiert sind. Und gleichzeitig heben diese Fragen oft auf das politische Personal ab. Wie frisch sind die Ideen der Politiker? Wie lange stehen sie in Regierungsverantwortung?

Zur Person

Steigt also der Anteil der Postmaterialisten unter den Wählern?
Den Begriff würde ich in diesem Fall nicht unbefangen für alle Wählerschaften verwenden. Als postmateriell versteht man Gutgebildete, die sich selbstverwirklichen wollen, die offen sind, liberal denken. Das trifft gerade nicht auf die wachsende Wählerschaft der AfD zu. Unter den AfD-Wählern sind schon sehr viele, die eine soziale und wirtschaftliche Unsicherheit und Abstiegsangst spüren. Die Wähler der AfD oder der anderen Populisten in Europa sind solche, die sich über kulturelle Identifikationen gewinnen lassen oder davon abgeschreckt werden. Die Grünen-Wähler sind eher die gebildeten Postmaterialisten in den Städten, denen es materiell ziemlich gut geht.

Die alten Volksparteien der Bundesrepublik haben sich dadurch legitimiert, dass sie zur Wohlstandsmehrung und sozialen Absicherung beitrugen. Haben die ihre Aufgabe nun erfüllt und sind darum nicht mehr zeitgemäß?
Wohlstand bleibt natürlich nie sicher, sondern dafür bedarf es auch politischer Anstrengungen. Aber mittlerweile haben die ehemaligen Volksparteien eben nicht mehr das Monopol auf die Sicherung von  materiellem Wohlstand. Die ehemaligen Volksparteien haben aber noch ein anderes Problem: Sie wollen alles abdecken, alle  soziale Schichten, möglichst viele kulturellen Gruppen und sozialmoralische Milieus. Sie werden dadurch programmatisch diffus und verlieren das scharfe  politische Profil, während sie mit kleineren  Parteien konkurrieren, die ganz spezifische Probleme und Klientele ansprechen. Die einen versprechen Nationalismus, die anderen Weltoffenheit und Schutz der Umwelt oder aber einen Sozialismus für das 21. Jahrhundert. Der Individualisierung der Gesellschaft entspricht auch ein  individualisiertes Marktverhalten bei Wahlen. Das setzt den Volksparteien sehr zu. Die Menschen haben mittlerweile eine große Auswahl an politischem Sortiment und können ihre Bedürfnisse zielgenauer bei kleineren Parteien befriedigen als bei den diffuseren Volksparteien. Ich sehe gegenwärtig keine gesellschaftliche Entwicklung, die diesen Prozess stoppen könnte.

Blicken Wähler eher auf die Leistungen der Parteien in der Vergangenheit oder sind die Erwartungen für die Zukunft wahlentscheidend?
Beides. Sie blicken in die Zukunft und rechnen hoch, was in der Vergangenheit geschehen ist: War die Partei glaubwürdig? Hat sie die Ziele umgesetzt, die sie zuvor programmatisch beworben hat? Die Glaubwürdigkeit aus der Vergangenheit nehmen Parteien in die Zukunftserwartung mit. Aber das Personal darf nicht zu abgenutzt erscheinen. 13 Jahre im höchsten Regierungsamt wird eben nicht als Zukunftsversprechen empfunden. Das ist ein Problem der CDU. Bei der SPD ist das Problem dagegen, dass man ausgerechnet Leute wie Gabriel ausgetauscht hat, die hohes Potential hatten, während die aktuellen SPD-Ministerinnen und SPD-Minister eher blass bleiben.   

Werden die Grünen insgesamt als frische, unverbrauchte Partei angesehen?
Die Grünen haben ihre Kompetenzvermutung im Umweltbereich. Und der ist bei den Präferenzen der Wähler deutlich wichtiger geworden. Gleichzeitig haben sie sich von links in die Mitte bewegt. Sie sprechen jetzt neue Wählersegmente an, die die ehemaligen Volksparteien freigesetzt haben: linksliberale, urbane Wähler von SPD und auch von der CDU. Außerdem haben sie gerade die Führung ausgewechselt. Die aktuellen Köpfe der Grünen verkörpern relativ glaubwürdig die Ziele der Partei. Sie bleiben allerdings eine Partei der Besserverdienenden und gut Gebildeten. In die Wählerschaft des unteren Drittels der Gesellschaft dringen sie nicht ein.

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