Wahl in Sachsen „Das schlägt aufs Gemüt“

Karl-Heinz Paqué ist ein deutscher Volkswirt und Politiker (FDP). Quelle: Elisabeth Niejahr

Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige FDP-Landesminister Karl-Heinz Paqué über die Ursachen des AfD-Zugewinns im Osten, Traumata der Neunziger und die Folgen des Wahlergebnisses für Investitionen.

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Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung und lehrt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Volkswirtschaftslehre. Von 2002 bis 2006 war er Finanzminister in Sachsen-Anhalt. Paqué wuchs in Saarbrücken auf, lebt und arbeitet aber seit langem in Magdeburg und Berlin.

WirtschaftsWoche: Herr Paqué, die FDP hat es nicht geschafft, in Brandenburg und Sachsen in den Landtag gewählt zu werden. Warum schlägt sich die Unzufriedenheit mit den Regierungen in Bund und Ländern nicht stärker in Unterstützung für Ihre Partei nieder?

Karl-Heinz Paqué: In Sachsen und Brandenburg sind wir teilweise aus taktischen Gründen nicht gewählt worden – einige wollten trotz Sympathie für uns den CDU- beziehungsweise SPD-Ministerpräsidenten im Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die AfD stärken, andere wollten den emotionalisierten Protest. Generell hat das Thema Wirtschaft momentan nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Sonst hätten wir es leichter.

Welche Rolle spielt die Ökonomie für die Zustimmung zur AfD?

Manchmal wünsche ich mir, dass meine Landsleute aus dem Osten sich jeden Tag ein Foto ihrer alten Straße zu DDR-Zeiten anschauen würden. Vielleicht wäre dann die Wertschätzung für die ökonomische Entwicklung größer. Denn alles in allem ist die deutsche Einheit auch wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. Die Unzufriedenheit hat vor allem emotionale Ursachen.

Ist es nicht verständlich, dass viele Ostdeutsche mit niedrigeren Renten und Löhnen sowie schlechten Verkehrsanbindungen unzufrieden sind?

Gerade Rentner waren zunächst Gewinner der Einheit, der durchschnittliche Rentnerhaushalt im Osten hatte mehr Geld als im Westen. Das lag an den unterschiedlichen Erwerbsbiographien und gleicht sich langsam an. Die Folgen hoher (und oftmals langer) Arbeitslosigkeit konnte die Rentenversicherung dagegen nicht ausgleichen. Nun sind aber die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit längst vorbei. Das meine ich mit „emotional“: Das Trauma des radikalen und schmerzhaften Wandels der Neunzigerjahre prägt bis heute die Politik, etwa beim Kompromiss für die Kohleregionen. Dabei ist das Problem im Osten heute eher, dass zu wenig als zu viele Arbeitskräfte vorhanden sind. Fachkräfte und Auszubildende sind gesucht, offene Stellen bleiben unbesetzt.



Sie haben den Aufbau Ost als Hochschulprofessor, als sachsen-anhaltinischer Finanzminister und FDP-Politiker miterlebt. Was würden Sie im Nachhinein anders machen?

Rückblickend würde man vielleicht noch konsequenter auf den Weg setzen, der aus Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr wohlhabendes Land gemacht hat: Massive Förderung von Forschung und Hochschulen und der damit verbundenen technologieaffinen Industrie, die zukunftsträchtige Arbeitsplätze schafft. Wenn die Produktivität um ein Drittel stiege und es mehr erfolgreiche ostdeutsche Produkte und Unternehmen gäbe, wäre auch die Stimmung viel besser. Zu wissen, dass die Wirtschaft im Wesentlichen eine verlängerte Werkbank des Westens ist, schlägt aufs Gemüt.

Bayern hat auch davon profitiert, dass große Konzerne einst ihre Zentralen verlagerten.

Ja, aber entscheidender war eine moderne Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Dort, wo es im Osten moderne Hochschulen gibt, entsteht auch drum herum viel Neues. Städte wie Dresden und Leipzig, Halle und Magdeburg, Erfurt, Jena und Rostock wachsen wieder. Ich lehre in Magdeburg, und da erinnert mich die Atmosphäre rund um unseren Campus an amerikanische und britische Universitäten: innovativ, international, weltoffen. Das sind die neuen wirtschaftlichen Kerne, um die neue Technologien und Produkte entstehen – und mit ihnen wirtschaftliche Stärke aus eigener Kraft.

Stimmen Sie also dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle zu, das empfahl, die Wirtschaftsförderung auf Städte zu konzentrieren, weil dort zukunftsfähigere Jobs entstehen?

Nicht in dem Sinne, dass wir das Land in der Breite nicht mehr unterstützen. Das wäre falsch. Städte strahlen ja aus, aber nur, wenn die umliegenden Regionen die nötige Infrastruktur haben. Nehmen wir das weitere Umland von Berlin – das reicht wirtschaftlich mehr als 150 Kilometer weit bis zu den mitteldeutschen Großstädten. Gelingt es, ein großes wirtschaftliches Netzwerk rund um das schnell wachsende Berlin zu schaffen, dann kann auch im Osten das funktionieren, was Bayern mit dem viel kleineren München als Zentrum in den Fünfziger- und Achtzigerjahren geschafft hat.

Für Unmut im Osten sorgt auch, dass es so wenig Führungskräfte aus der Region in Unternehmen, in Unis und Gerichten gibt. Können Sie an Ihrer Hochschule daran etwas ändern?

Nach dem Mauerfall war es richtig, einen großen Teil der Ost-Eliten aus kommunistischer Zeit zu ersetzen. Viele Jüngere, die hätten nachrücken können, zogen weg. Das hat sich aber geändert, auch an den Hochschulen. Mein Nachfolger als Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft in Magdeburg ist ein geborener Ostdeutscher. Er ist Teil einer wachsenden neuen Generation von Führungskräften – aufgewachsen und ausgebildet in der Nachwendezeit.

In beiden Landeswahlkämpfen waren Sonderwirtschaftszonen im Osten ein großes Thema. Würden Sie helfen?

Ökonomisch wären sie wünschenswert, politisch halte ich sie für eine Illusion. Es gäbe zu viel Widerstand von benachbarten westdeutschen Ländern, die sagen würden: Das wollen wir dann auch. Die bessere pragmatische Lösung ist, den Städten und Gemeinden generell mehr Autonomie einzuräumen, um die Standortbedingungen attraktiv zu machen. Wir brauchen nicht mehr Förderung, sondern weniger Bürokratie.

Vor der Wahl gab es Warnungen, ein AfD-Erfolg werde der ostdeutschen Wirtschaft schaden. Fürchten Sie jetzt negative Folgen bei Investitionen und Personalsuche?

Ich halte solche Warnungen für kontraproduktiv. Vor dem Brexit-Referendum gab es sie in Großbritannien und viele Bürger haben trotzig reagiert, nach dem Motto: Wir lassen uns mit Horrorszenarien nicht erpressen. Und wenn man auf Länder wie Dänemark, die Niederlande oder die Schweiz schaut, merkt man, dass rechtspopulistische Erfolge sich nicht unmittelbar ökonomisch auswirken. Die Stimmung bei Dresdner Mikroelektronik-Unternehmen ist dann doch ganz anders als in sächsischen Dörfern – was nicht heißt, das ein offener kosmopolitischer Geist nicht besser auch für Unternehmen ist.

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