Wahl in Schleswig-Holstein Machtverlust an der Küste – für Schulz wird es brenzlig

Frischer Wind für Merkels Union, Sturmtief für die SPD von Schulz: Die Landtagswahl im hohen Norden mischt die Parteienlandschaft vor der Bundestagswahl kräftig auf. Einen Sündenbock hat die SPD bereits ausgemacht.

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Martin Schulz weiß, was die Stunde geschlagen hat. Quelle: dpa

Kiel/Berlin Martin Schulz weiß, was die Stunde geschlagen hat. Um 18.49 Uhr kommt er auf die kleine Bühne im Berliner Willy-Brandt-Haus. Er schaut in viele leere Gesichter. Der wahrscheinliche Machtverlust an der Küste tut Schulz höllisch weh: „Ich bin enttäuscht. Das ist etwas, was unter die Haut geht.“ Die SPD stürzt laut Hochrechnungen auf um die 26 Prozent ab, sieben Punkte hinter der CDU.

Die schafft es, mit dem „No Name“ Daniel Günther den nächsten Triumph nach dem Saarland einzufahren. Zwar stehen schwierige Koalitionsverhandlungen bevor – Günther dürfte der Posten des Regierungschefs aber nach diesem Resultat nur schwer zu nehmen sein. Wird es Jamaika mit Grünen und FDP? Oder gibt es für die SPD doch noch das Wunder einer Ampel?

Den Namen Torsten Albig erwähnt Schulz bei seinem Acht-Minuten-Auftritt kein einziges Mal. Andere in der SPD-Spitze sind da weniger zimperlich. Kraftausdrücke wie „Hornochse“ fallen. Albig trage zu 75 Prozent die Verantwortung für die Katastrophe, habe einfach zu viele Fehler gemacht, sagt einer aus der Führung.

Das ist die Verteidigungslinie der Bundespartei: Albig ist der Sündenbock. Diese Sichtweise soll auch Schaden von Schulz abwenden. Der Kanzlerkandidat befindet sich in einer gefährlichen Lage: Zwar dämpfte er persönlich stets die gewaltigen Erwartungen, die mit seiner Nominierung verbunden wurden. Nun aber hat er als 100-Prozent-Vorsitzender die zweite Wahlpleite infolge zu verantworten. Im Wahlkampf in Schleswig-Holstein war er sehr präsent.

Schulz will sich nicht kleinkriegen lassen. „Die SPD steckt solche Abende weg und geht erhobenen Hauptes in die nächste Auseinandersetzung.“ Die findet am nächsten Sonntag in Nordrhein-Westfalen statt. Am Sonntag muss Hannelore Kraft gewinnen, sonst dürfte Schulz vollends entzaubert sein. Kraft spiele in einer anderen Liga als Albig, machen sie sich bei der SPD Mut. Schulz selbst sagt, die NRW-Wähler hätten die „historische Chance“, eine „Ministerpräsidentin der Gerechtigkeit“ zu wählen und damit auch die rechten Hetzer von der AfD kleinzuhalten. Übrigens: Vor dem Albig-Desaster verlor die SPD vor zwölf Jahren das letzte Mal einen Ministerpräsidenten. Das war Peer Steinbrück. Wo? In NRW. 

Seit 2010 ist das bevölkerungsreichste Bundesland, wie ganz überwiegend seit 1946, fest in SPD-Hand. Es ist die Herzkammer der Sozialdemokratie. Etwas siegestrunken träumt die CDU nun schon davon, dass ihr Spitzenkandidat Armin Laschet in Düsseldorf Kraft ablöst. „Auch da haben wir alle Chancen“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer.

Und Generalsekretär Peter Tauber setzt mit Blick auf die Bundestagswahl im September noch einen oben drauf: Trotz steigender Temperaturen werden sich die Sozialdemokraten warm anziehen müssen.

Den CDU-Sieger in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, findet Merkel gut und erfrischend, heißt es. Der 43-Jährige war erst vor wenigen Monaten an die Spitze des CDU-Landesverbandes gekommen. Um so größer ist jetzt in der Partei der Respekt vor ihm. „Vielleicht reicht es ja für Schwarz-Grün“, frohlockt ein Christdemokrat in der Parteizentrale. Diese Farbkombination wünschen sich nach zwei großen Koalitionen und einem Bündnis mit der FDP unter Merkel seit 2005 viele in der CDU.

Wie sehr haben Christdemokraten gelitten, als die SPD zu Jahresbeginn Schulz in das Rennen gegen die Kanzlerin geschickt hatte und viele Menschen in Deutschland begeistert und neugierig auf das ihnen gar nicht so bekannte Gesicht des langjährigen Präsidenten des Europäischen Parlaments reagierten.

Die Kanzlerin wirkte auf viele blass und müde, sogar amtsmüde im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft. Die Umfragewerte für die Sozialdemokraten schnellten nach oben und kamen denen der Union gefährlich nahe. Der Unmut bei CDU und CSU war groß.

Merkel müsse dem ganzen Rummel um Schulz etwas entgegen setzen, dürfe sich nicht alles bieten lassen und müsse endlich in den Wahlkampf einsteigen, lauteten die parteiinternen Forderungen. Doch die CDU-Chefin mahnte zur Ruhe. Niemand könne acht Monate Wahlkampf durchhalten, die Wahlaussagen nutzt sich ab und mit ihnen die Kandidaten. Außerdem müsse sie noch regieren, bemerkte sie nüchtern.

Und das ist ein großes Pfund für Merkel. Regieren. Vor allem in der Außenpolitik kann sie in schöner Regelmäßigkeit den Bürgern zeigen, wie groß ihre Macht und der Respekt vor ihr in der Welt von Washington bis Moskau ist. Damit kann sie gut Wahlwerbung für sich machen. Gerade liefert sie tolle Bilder in Serie. Viele internationale Gipfel kommen, bald wird sie mit Obama am Brandenburger Tor zu sehen sein - Schulz muss sich etwas einfallen lassen.

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