Der Kölner Dom, der Förderturm einer Zeche, die Landesfarben Nordrhein-Westfalens – und das Logo der Partei: So präsentiert die AfD ihr Wahlprogramm für NRW. „Für unsere Familien und unsere Heimat“ prangt in Großbuchstaben auf dem Deckblatt. Es folgen mehr als 80 Seiten, 15 Themenblöcke und Dutzende Forderungen, mit denen der Landesverband von Marcus Pretzell und Martin Renner die Wähler begeistern will.
Neben Spezialthemen wie der Beflaggung öffentlicher Gebäude und AfD-Klassikern wie Migration und Asyl gibt es auch eine Reihe wirtschaftspolitischer Forderungen. Die verteilt die AfD in ihrem Programm auf mehrere Blöcke. Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat sie für die WirtschaftsWoche analysiert. „Im Programm der AfD finden sich viele Forderungen wie bei anderen Parteien auch“, sagt der Ökonom und Finanzexperte. Allerdings verliere das Parteiprogramm kaum ein Wort zur Finanzierung. „Es ist daher ein reines Wünsch-dir-was-Konzert.“
Bei der Bildungspolitik gehe es los. Die AfD will die alten Diplom- und Masterstudiengänge zurück haben. „Das ist aber kaum möglich“, sagt Hentze. Die AfD-Forderung nach mehr Wahlfreiheit bei der Betreuung von Kleinkindern sei „kein Schritt zu mehr Erwerbsbeteiligung.“ Und die Idee eines bis zu dreijährigen Erziehungsgehaltes für Eltern, die im Job pausieren und sich um die Familie kümmern wollen? „Das schwächt die Erwerbsbeteiligung und kostet viel Geld.“
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Ähnlich sieht Hentzes Urteil bei den Themen Verkehr und Energie aus. Die Abschaffung der Umweltzonen? „Rückwärtsgewandt.“ Die Streichung der Stromsteuer? „Bundessache.“ Die Forderung nach dem Erhalt und der Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur? „Hat ohnehin jede Partei im Programm.“
Beim Thema Finanzen erkennt Hentze einzelne vernünftige Ansatzpunkte – die sich aber kaum finanzieren ließen. Die geforderte Senkung der Grunderwerbssteuer sei „für sich genommen wünschenswert“, stehe aber im Widerspruch zu deutlich steigenden Ausgaben – und falle komplett dem Landeshaushalt zur Last. Das geforderte Mittelstandsförderungsgesetz, der Abbau von Bürokratie und Ansiedlungsunterstützungen kosteten ebenfalls viel Geld. Da passe es nicht, gleichzeitig eine Art Schuldenstopp zu fordern.
"Das passt nicht zusammen"
In den wichtigen Bereichen Wirtschaft, Arbeit und Soziales fordere die AfD ebenfalls viele Dinge, die in der Realität kaum umsetzbar seien. So klinge es gut, die Lohnnebenkosten für die Arbeitnehmer zu senken – angesichts des demografischen Wandels sei das aber kaum realistisch. Ähnlich sieht es bei der Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer aus. „Das würde komplett zulasten der Landeseinnahmen gehen“, sagt Hentze. „Allein auf Landesebene ist das nicht möglich.“ Beim Thema Bürokratieabbau fordert die AfD weniger Aufwand für mittelständische Unternehmen. Hentzes Urteil: „Unspezifisch.“
„Insgesamt verspricht die AfD fast jedem fast alles“, bilanziert Hentze. Ob Abschaffung der Strom- und Erbschaftsteuer, geringere Grunderwerbsteuer, bessere Bezahlung der Landesbeamten oder höheres Arbeitslosengeld – für jeden sei etwas dabei. „Und nebenbei soll die Verschuldung des Landes zurückgeführt werden“, sagt Hentze. „Das passt nicht zusammen.“
Könnte die AfD ihr Programm umsetzen, gäbe es allerdings auch ein paar Verlierer. „Ganz explizit wendet sich das Programm gegen erwerbstätige Eltern, gegen Zuwanderer, gegen die Pressefreiheit und gegen die Religionsfreiheit“, sagt Hentze. Dabei wäre es gerade für NRW wichtig, die Potenziale bei der Erwerbsbeteiligung auszuschöpfen. Dafür müsste es Eltern leichter gemacht werden, in den Beruf zurückzukehren und Zuwanderer müssten besser ins Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt integriert werden. „Das Wahlprogramm der AfD will genau dies leider verhindern“, analysiert Hentze.
Zur Umsetzung des Programms wird es ohnehin nicht kommen. Umfragen verorten die AfD in NRW derzeit zwischen sieben und zehn Prozent. Alle anderen Parteien haben eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Und selbst in Regierungsverantwortung könnte es bei Dutzenden Punkten schwierig werden. „Viele Forderungen des Programms ließen sich nicht auf Landesebene umsetzen, weil sie ganz oder teilweise in die Zuständigkeit des Bundes fallen“, sagt Hentze. „Zum Beispiel die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik.“