Wahlkampf Ein Joe Kaeser macht noch keinen grünen Sommer

Joe Kaeser Quelle: dpa

Der Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser wirbt für die Öko-Partei und stellt sich schützend vor Annalena Baerbock. Ein Sinneswandel in der deutschen Wirtschaft ist das nicht. Unterdessen verweigert die Kanzlerkandidatin weiterhin eine Veröffentlichung ihrer Masterarbeit. Fürchtet sie Plagiatsjäger? Ein Kommentar.

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Manche in der Politik und den Medien glauben, dass wir gerade Zeugen einer erbarmungslosen Hetzjagd auf Annalena Baerbock werden. Stimmt das? Gehen die deutsche Öffentlichkeit und die politische Konkurrenz mit ihr – der einzigen Frau im Kreis der Spitzenkandidaten – besonders hart und gemein um? Oder wird die Kanzlerkandidatin der Grünen am Ende nur durch die gleiche mediale Mühle gedreht wie alle anderen Top-Politiker auch?

Wie schmutzig ist der Wahlkampf?

Die Debatte um einen angeblich „schmutzigen Wahlkampf“ ist jedenfalls voll entbrannt. Allerdings nicht wegen der Kübel voller Häme, die wochenlang über Armin Laschet ausgegossen worden sind. Auch die Dauerkritik an Olaf Scholz und seinen diversen Erinnerungslücken war nicht der Auslöser für die plötzliche Sorge um eine korrekte Wahlkampagne. Nein, die Debatte begann interessanterweise erst in dem Augenblick, als sich Baerbocks aufgehübschter Lebenslauf, ihre vergessenen Sonderzahlungen und die Plagiate in ihrem Buch zu einem Negativtrend verdichteten. Da fühlten sich die Tugendwächter in Politik und Medien plötzlich berufen, Mahnungen auszusprechen und Haltungsnoten zu verteilen.

Joe Kaeser – ein gern gesehener Gast bei den Grünen

Als prominenter Verteidiger stellt sich jetzt auch der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser vor die Kanzlerkandidatin – nicht zum ersten Mal. Schon zu seiner aktiven Zeit besuchte der Topmanager grüne Kongresse und Veranstaltungen. Kaeser liebt die Bühne und Debatten um gesellschaftliche und politische Fragen. Das kann man kritisieren oder als Beispiel seltener Courage in der weitgehend schweigsamen und unpolitischen Managerkaste auch gut finden. Jedenfalls ist Kaesers Eintreten für die Grünen und ihre Führungsfrau ein Teil seines freien, bürgerschaftlichen Engagements und als solches nicht zu beanstanden. Aber ein Sinneswandel in der deutschen Wirtschaft lässt sich daraus nun auch wieder nicht ablesen – selbst wenn es immer mehr Unternehmer geben mag, die mit grünen Ideen sympathisieren, dem Klima helfen und dabei hübsche Gewinne einfahren. Allerdings macht eine Schwalbe noch keinen Sommer und ein Kaeser noch keinen grünen Frühling im deutschen Mittelstand – zu wirtschaftsfeindlich sind allein die Steuerpläne der Ökopartei.

Baerbock sitzt in der Zwickmühle

Kaeser könnte seine Parteinahme für Baerbock auch noch bereuen. Die selbst ernannte „Völkerrechtlerin“ weigert sich bis heute, ihre Masterarbeit zu einem völkerrechtlichen Thema an der London School of Economics öffentlich zugänglich zu machen. Kommen ihr jetzt Zweifel, ob die damalige Abschlussarbeit aus England nach dem einjährigen Studienaufenthalt dort fundiert genug ist, um heute vor dem Urteil kritischer Wissenschaftler in Deutschland zu bestehen? Oder fürchtet Baerbock am Ende sogar, dass die Plagiatsjäger neue Stellen finden, die andere bereits vor ihr geschrieben haben? Baerbock sitzt in der Zwickmühle. Wenn sie die Arbeit nicht frei gibt – was sie nach den Regeln der London School of Economics offenbar kann – dann wird man ihr Geheimniskrämerei und Vertuschung vorhalten. Der Plagiatsjäger Stefan Weber beruft sich auf den „Freedom of Information Act“ und will die Veröffentlichung notfalls vor Gericht einklagen. Wie immer das ausgeht – aus all diesen Umständen kann man erkennen, dass sich die Diskussion um Baerbocks redlichen Umgang mit fremden Quellen nicht so schnell erledigen wird.



Ersatzkandidat Robert Habeck?

Damit droht auch eine andere, für die Grünen extrem missliche Debatte an Fahrt zu gewinnen, nämlich die des Ersatzkandidaten. Sollte es weitere Probleme mit Baerbocks Vita geben und sollten die Umfragewerte für die Grünen weiter sinken, dann werden sich viele fragen, ob man nicht besser Robert Habeck ins Rennen schickt. Der Co-Vorsitzende besitzt immerhin Regierungserfahrung, ist als langjähriger Schriftsteller besser und geschickter im Formulieren und hat im Gegensatz zu Baerbock seine Bücher ohne die Hilfe von Ghostwritern geschrieben. Allerdings wäre er nur der Kandidat von der Ersatzbank und als männliche Reserve auch eine Enttäuschung für viele Frauen bei den Grünen, die ihre Hoffnungen auf eine weibliche Kanzlerin gesetzt haben.

Mehr zum Thema: In ihrem Buch will sich Baerbock als Vordenkerin profilieren – jetzt muss sie sich allerdings gegen Plagiatsvorwürfe wehren. Ihre Kampagne gerät immer mehr aus dem Tritt. Ein Kommentar.

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