Wahlkampf Frank-Walter Steinmeier: Der neue Genosse der Bosse

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier macht der Bundeskanzlerin die Wirtschaftskompetenz und der Union die Wähler der Mitte streitig. Der Wahlkampf wird wieder spannend.

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SPD-Kanzlerkandidat Quelle: rtr

Der Beamte kann beißen. Frank-Walter Steinmeier hat zwei neue Eigenschaften an den Tag gelegt, die man bislang bei ihm nicht vermutet hat: Härte, um im richtigen Augenblick, auch auf Kosten anderer, Fakten zu schaffen – und den unbedingten Willen zur Macht. Nicht mit brutaler Basta-Rhetorik und Vabanquespielen hat sich der Außenminister und neue Kanzlerkandidat der SPD die Macht erobert, sondern als ein Prozessästhet. Seit Monaten hat er systematisch eine Weiche nach der anderen so gestellt, dass die Entscheidung zwangsläufig auf ihn zulaufen musste. Er rüttelte nicht am Zaun des Kanzleramts und ruft „ich will hier rein“ – wie einst sein Mentor Gerhard Schröder –, sondern zückt eine Blaupause, formt einen Schlachtplan und schweigt zu seinen Eroberungsplänen. So trat er endgültig aus dem Schatten Schröders heraus.

Deutschland steht vor spannenden zwölf Monaten. Steinmeier gegen Angela Merkel. Vizekanzler gegen Kanzlerin. Das wird ein Kampf auf höchstem politischem Niveau. Gut für die Demokratie.

Dabei sind beide nur vordergründig in ihrer Matrix der Macht ähnlich: rational, berechenbar, unprätentiös-protestantisch – und beim Wähler beliebt. Und schon gar nicht sollte man über solche Gemeinsamkeiten auf herzliche Zuneigung schließen. Respektvolle Konkurrenz beschreibt wohl am besten das beiderseitige Verhältnis.

Auch emotional trennen die beiden Welten: Steinmeier denkt und handelt in Netzwerken. Und dort wird mit einer Währung gezahlt, mit der Merkel äußerst geizig ist: Loyalität. Rasch hat sich der designierte Kanzlerkandidat in den vergangenen Jahren ein weitgefächertes Netz an Kontaktleuten und Vertrauten geschaffen. Dabei konnte er auf seinen Erfahrungen an der Seite Schröders aufbauen und hat einen Großteil der Frogs – der Friends of Gerd – in seinen Orbit der Macht übernommen, aber auch neue Verbindungen hinzugewonnen.

Dieser Hintergrund macht Steinmeier so gefährlich für Merkel: Er spricht nicht nur die Sprache der Medien, sondern auch und vor allem die der Wirtschaft. Als neuer, selbstbewusster Genosse der Bosse will er seine Netzwerke nutzen, nicht um mit Zigarren- und Rotweinseligkeit mit den Mächtigen der Wirtschaft nach außen zu kokettieren, sondern um eine realistische Wirtschafts- und Wachstumspolitik zu verkaufen.

Kontakt mit der Wirtschaft

Der Konflikt mit Merkel soll auf deren ureigenem Terrain ausgetragen werden. Bereits an diesem Mittwoch gibt Steinmeier eine Kostprobe. Er hält – sehr zum Ärger des Kanzleramts – die Begrüßungsrede beim Spitzentreffen der deutschen Wirtschaftsverbände BDI, BDA und DIHK mit der Politik. Diese Chance ist auch eine Anerkennung dafür, dass Steinmeier auf dem Höhepunkt der Steueraffäre um den ehemaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel Ende Februar die Anti-Manager-Hysterie nicht angeheizt hat – anders als so mancher CDU-Politiker. Der Außenminister sagte damals in einem Interview mit der WirtschaftsWoche (9/2008): „Ich verurteile nicht pauschal. Im Gegenteil: Ich nehme die Mehrheit deutscher Unternehmensvertreter gegen die Diskreditierung in Schutz.“ Auch werde „die Mehrheit dieser Elite“ ihrer Verantwortung gerecht.

Das Ziel ist klar: Wer so gut mit den Unternehmenschefs kann, den wird man nicht – wie es Strategie der Union ist – in die linke, unternehmerfeindliche Ecke schieben können. Die Wirtschaft sieht in ihm längst den Lieblingssozi. Der langjährige BASF-Manager und Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, Eggert Voscherau, sagt im WirtschaftsWoche-Interview: „Herr Steinmeier hat stets ein offenes Ohr für die Anliegen der deutschen Industrie.“

Das klingt alles nach Schröder. Hat aber inzwischen eigene Akzente. Steinmeier sei bei Weitem „nicht so kumpelhaft“ wie sein politischer Ziehvater und pflege einen „geschäftsmäßigen Umgang“ mit den Unternehmenschefs, beschreibt der Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler, den Stil des Außenministers. Kohler muss es wissen, denn die beiden sind befreundet und fahren mit ihren Familien regelmäßig gemeinsam nach Südtirol in Urlaub.

Ökonomisches Credo verbreitet

Am Verständnis von und für die Wirtschaft wird sich in jedem Fall viel in der Auseinandersetzung zwischen Merkel und Steinmeier entscheiden. Vergangenen Dienstag etwa nutzte der designierte Kandidat den lange angesetzten Wirtschaftstag während der jährlichen Botschafterkonferenz in Berlin, um sein ökonomisches Credo im Weltsaal des Auswärtigen Amtes zu verbreiten. Knapp 1000 Vertreter von 450 deutschen Firmen – große Dax-Unternehmen wie Mittelständler – lauschten. Ein Vorstand aus einem großen börsennotierten Unternehmen meinte danach: „Der Steinmeier trifft unsere Sprache. Schade nur, dass er in der falschen Partei ist.“

Ungewollt erinnert der Manager damit an die Zeiten Helmut Schmidts – und genau das kann für Merkel zum Risiko werden. „Wahlen werden im Kampf um die sogenannten Helmut-Schmidt-Wähler entschieden. Und die SPD hatte immer dann eine Chance auf die Regierungsbildung, wenn sie diese Gruppe für sich gewinnen konnte“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Sollte es Steinmeier und mit ihm dem zurückgekehrten Franz Müntefering gelingen, die Linke ruhigzustellen und mutiger die eigene frühere Reformpolitik zu vertreten, dann wird sich CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla etwas anderes einfallen lassen müssen als eine „Rote-Socken-Kampagne-light“. Der Sieg der Union und der allseits, aber vor allem bei nicht-traditionellen CDU-Wählern beliebten Kanzlerin lässt sich nicht mehr so einfach nach Hause schaukeln.

Risiko: eigene Parteilinke

Der Wahlkampf, so ein wichtiger Berater Steinmeiers, „wird in der Mitte und nicht links entschieden“. Dabei dürfe man aber nicht den Fehler machen, Mitte politisch-geografisch zu bestimmen. „Mitte“, so der Mann, der schon einige erfolgreiche Wahlkämpfe für die SPD geführt hat, sei vielmehr ein „Akt der Deutungshoheit“ für das, was die Mehrheit bewegt – oder bewegen sollte. Und diejenige Partei habe die besten Chancen, die nicht nur die Deutungshoheit über Begriffe und Themen gewinne, sondern sich auch geschickt an die Mehrheitsströmungen anpasse, diese aufsauge, weiterentwickle und in die eigene inhaltliche Strategie einbaue.

Das große Risiko für den Kanzlerkandidaten bleibt allerdings die eigene Parteilinke. Die hat sich zwar der kalten Entmachtung Kurt Becks nicht wirklich in den Weg gestellt – zu sehr grassierte auch bei den Linken die Furcht vor dem Arbeitsplatzverlust. Aber seit Münteferings Abgang 2005 haben sie tatsächlich die Partei verändert. Nach den inhaltlichen Vorlieben des Partei-Mittelbaus hätte eigentlich Andrea Nahles Becks Nachfolgerin werden müssen. Bleiben die Linken ruhig, dann kann Steinmeier den Genossen der Bosse geben. Fangen sie jedoch – wie bereits Ottmar Schreiner im WirtschaftsWoche-Interview – mit ihrer Nörgelei wieder an, dann droht Steinmeier ein ähnliches Schicksal wie seinen Vorgängern in den letzten fünf Jahren. Und dann kann die Union genüsslich die mangelnde Geschlossenheit der SPD im Wahlkampf ausschlachten.

International zuhause: Quelle: AP

Erste Nagelprobe für Steinmeiers Glaubwürdigkeit wird die von der hessischen SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti mithilfe der Linkspartei betriebene Abwahl von CDU-Ministerpräsident Roland Koch. Doch halten sich in Berlin hartnäckig Gerüchte, Steinmeier motiviere eigene und seiner Richtung nahestehende hessische SPD-Politiker, dieses Vorhaben zu stoppen. Doch jedes Mal, wenn ein Feuer ausgetreten ist, lodert die nächste Flamme. Selbst der Reformpolitiker und brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck will in Potsdam eine rot-rote Koalition nicht mehr ausschließen. Pikant für Steinmeier: Hat er doch inzwischen seinen Wahlkreis in Brandenburg an der Havel und ist somit inoffizieller Spitzenkandidat der brandenburgischen Genossen.

Steinmeier weiß, wie sehr ihm eine unberechenbare Parteilinke zum Problem für eine Strategie der Mitte werden kann. Im kleinen Kreis sagte er kürzlich noch nachdenklich, dass Parteilinke wie Andrea Nahles erst alles zu Klump geschlagen hätten und jetzt von ihm erwarteten, dass er die „Scherben zusammenfegen“ solle. Und er weiß, wie gefährlich eine unberechenbare Linke für sein berechenbares Wirtschaftsimage ist.

Aber anders als Beck hat sich Steinmeier mit einem schlagkräftigen inneren und äußeren Kreis an Beratern umgeben. Der Minister agiert mit einer großen Zahl wirtschaftspragmatisch denkender Spitzenbeamten. Sein Außenministerium gleicht immer mehr einem Schatten-Kanzleramt – und dabei kommen nicht immer nur Sozialdemokraten zum Zuge. So holte Steinmeier nach nur einem Jahr in Frankreich den deutschen Botschafter Peter Ammon zurück. Der war vormals Leiter der Wirtschaftsabteilung und genießt als ruhiger, aber äußerst effizienter Unterstützer deutscher Unternehmen im Ausland einen hervorragenden Ruf. Schneller als andere in der Bundesregierung hat er sich noch in den letzten Tagen seiner Botschafter-Tätigkeit um die obskuren Verhörmethoden deutscher Spitzenmanager vom Luft- und Raumfahrtkonzern EADS durch französische Staatsanwälte bemüht. Ammon hat systematisch daran gearbeitet, Botschaften zu einer Art Dienstleistungszentren für deutsche Firmen zu machen. Als Staatssekretär wird er diesen wirtschaftsfreundlichen Kurs zusammen mit dem Leiter der Wirtschaftsabteilung, Rüdiger von Fritsch, weiter verfolgen. Von Fritsch war übrigens für einige Jahre beim Bundesnachrichtendienst.

Die "Steinmeier-Boys"

Dort hat auch Steinmeiers Planungsstabschef Markus Ederer eine längere Station verbracht. Auch er ist das glatte Gegenteil eines SPD-Parteisoldaten. Er entwickelt unkonventionelle Ideen in der Schnittmenge zwischen Wirtschaft, Außen- und Gesellschaftspolitik. So will er das vielfach von deutschen Unternehmen eingesetzte Konzept eines starken gesellschaftlichen Engagements – beispielsweise in der Aus- und Fortbildung – als Standort-Vorteil im globalen Wettbewerb einsetzen.

Koordiniert wird das Schatten-Kanzleramt von Staatssekretär Heinrich Tiemann. Der kam einst aus Münteferings Arbeits- und Sozialministerium und gilt als Mann der intellektuellen, pragmatischen Arbeiterbewegung. Er ist Sozialdemokrat und ehemaliger IG-Metall-Funktionär reinster Prägung, hat früher schon mal für Steinmeier im Kanzleramt gearbeitet und leitet zudem ein informelles Netzwerk von sozialdemokratischen Beamten in den Berliner Ministerien. Kritiker wie der frühere Planungschef im Amt, Wolfgang Nowak, halten Tiemann für zu gewerkschaftsnah. Allerdings hat Tiemann inzwischen auch einige persönliche Kontakte in die Chefetagen deutscher Unternehmen entwickelt. Regelmäßig trifft er sich etwa – halb privat – am Bodensee mit dem Daimler-Vorstandsmitglied Günther Fleig.

Tiemann hat die schwierige Aufgabe einer Spagat-Profilierung des Kanzlerkandidaten: reformpolitisch als Architekt der Agenda 2010 glaubwürdig zu bleiben und gleichzeitig sozialdemokratisch geerdet zu sein. Steinmeiers parteiinterne Gegner sind gespannt, wie er sich zwischen seinen wirtschaftspolitischen Netzwerken und der Parteilinken bewegen und – in kritischen Situationen – auch entscheiden wird.

Diese Mannschaft des inneren Kreises wird – noch bevor es um Steinmeiers direkte Kontakte zu einzelnen Unternehmensführern geht – durch eine Art unternehmerische Vorfeld-Organisation ergänzt: Das sind Freunde, Zöglinge oder enge Weggefährten, die als „Steinmeier-Boys“ inzwischen ihren Weg in die Spitzenetagen der deutschen Wirtschaft gefunden haben, aber wichtige Ansprechpartner bleiben – wie der scheidende Chef von Evonik und ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller und der Vorsitzende der Geschäftsführung der Evonik-Tochter Steag, Alfred Tacke. Gemeinsam mit Dena-Chef Kohler sind sie ihm wichtige Ansprechpartner für sein Lieblingsthema – die Energie-Außenpolitik. Und schließlich wechselte Anfang September Steinmeiers ehemaliger Sprecher Martin Jäger als politischer Stratege auf den Posten des Außenministers vom Automobilkonzern Daimler.

Persönliche Beziehungen in die Wirtschaft

Mit diesem Netzwerk geht Steinmeier auf Kommunikations-Tournee und pflegt enge persönliche Beziehungen in die Wirtschaft. Selten zuvor hat sich ein deutscher Außenminister so als Außenwirtschaftsminister gegeben. Anders als sein Vorgänger Joschka Fischer nimmt er auf seinen Reisen regelmäßig große Wirtschaftsdelegationen mit. Oder er baut neue Zirkel auf. Vergangenen Dezember lud er gemeinsam mit Telekom-Chef René Obermann zu einem vertraulichen Kamingespräch in die Hauptstadt-Repräsentanz des Unternehmens. Unter geschickter Zusammenarbeit mit seinem liberalen Vorvorgänger Klaus Kinkel trafen sich fast alle Präsidenten der deutschen Elite-Forschungsinstitute von Fraunhofer über Max-Planck bis Helmholtz, um über die Wissenschaftsförderung zu sprechen. Daraus wurde dann in wenigen Monaten ein Gesamtkonzept, das auf der Botschafterkonferenz vergangene Woche in Berlin als „Initiative Außenwissenschaftspolitik 2009“ vorgestellt wurde. Damit soll über eine internationale Vermarktung von Forschung und Entwicklung Deutschland auch weiterhin – zum Nutzen der eigenen Industrie – globale Standards setzen können.

Auch wenn er anders agiert als Schröder, so profitiert der Außenminister von dessen alten Bekannten. Dazu gehört auch der RWE-Chef Jürgen Großmann, mit dem Steinmeier, noch in der niedersächsischen Staatskanzlei sitzend, einst den Deal zur Rettung von Georgsmarienhütte zimmerte. Gut ist ebenfalls die Beziehung zu Eigentümer-Unternehmern wie dem westfälischen Walter Mennekes, der Elektro-Steckvorrichtungen für den internationalen Markt produziert. Ein Loblied auf die Hilfe Steinmeiers für Geschäftsanbahnungen in China singt inzwischen auch Lukas Meindl aus der gleichnamigen Schuhdynastie.

Das System Steinmeier basiert auf Personen und weniger auf eingefahrenen Strukturen: Wie einst im Kanzleramt stellt er diskursiv das jeweilige Maßnahmen-Paket des Tages zusammen oder bildet ein Netzwerk von Personen, die im Konsens ein Problem zu lösen haben. Der Vizekanzler, so lautet eines seiner Lieblingsworte, will „Korridore“ öffnen, damit Handlungsfreiheit schaffen, ohne selbst das Ziel zu eng vorzugeben. Die große sozialdemokratische Erzählung ist seine Sache nicht – womit auch sein größtes Defizit beschrieben ist. Manchmal betreibt der Minister Koordination zu sehr als Selbstzweck. Und es bleibt die Frage, ob Lösungen des Tages, ohne Einbettung in eine übergeordnete Idee, nachhaltige Wirkung entfalten. Das war schon das Defizit der Agenda 2010.

Nicht ganz selbstlos wird von Steinmeiers Entourage verbreitet, dass inzwischen viele Unternehmer bei ihm anrufen, um den Minister zu bitten, doch „mäßigend“ auf die Kanzlerin einzuwirken. Wegen ihres kritischen Kurses gegenüber den Regierungen in Moskau und Peking stünden deutsche Exportinteressen auf dem Spiel. Offiziell verteidigt der Minister die distanzierte Haltung Merkels, nutzt aber die immer größer gewordene Entfremdung von Teilen der deutschen Wirtschaft gegenüber der Kanzlerin, um sich als Hüter deutscher Wirtschaftsinteressen zu profilieren.

Merkel wiederum sieht teilweise in der Wirtschaft und bei Steinmeier zu viel Angst und Opportunismus am Werk. Zugleich hält sie ihren Vizekanzler für einen verlängerten Arm Gerhard Schröders. Und wenn es für sie jemand gibt, auf den die politische Kategorie Feind zutrifft, dann ist dies sicher am ehesten Schröder – und damit letztlich auch dessen politisches Ziehkind.

Sollbruchstelle: Ampel-Koalition

Auffällig ist, dass sich die Wirtschaft diese Sicht der Dinge nicht zu eigen macht. Mit Steinmeier können die Bosse gut leben. Allerdings zeichnet sich bereits eine Sollbruchstelle ab: nämlich bei der Option einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Sollte das neue Führungsduo der Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl vor der Alternative einer großen Koalition oder einer Ampel stehen, dann, so ein SPD-Regierungsmitglied, „werden die sich für die Ampel entscheiden“. Eine Ampel aber, mit zwei linken Parteien – SPD und Grünen – und einem kleinen bürgerlichen FDP-Korrektiv wäre für die Wirtschaft, so Chemie-Präsident Voscherau, keine gute Lösung. Die Wirtschaft sieht dann in der Fortführung der großen Koalition das kleinere Übel. Voscherau: „Deutschland braucht eine Regierung, die den Mut hat, bis 2013 weiter wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Bei einer Dreier-Ampel-Koalition stelle ich mir das schwer vor. Da besteht die Gefahr, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt.“

Setzt die Union auf diese Sorgen in den bürgerlichen Milieus? In jedem Fall ist Merkel dabei, die Wirtschaft wieder stärker zu umgarnen. Dem Vorstand des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft gewährte sie Ende August ein Mittagessen im privaten Teil des Kanzleramtes im achten Stock. Locker und mit Selbstironie empfing sie die Herren – die zwar zumeist CDU wählen, aber Schröder nachtrauern – mit einem lockeren Spruch, dass sie alle wohl hier oben ja schon mal öfters und mitunter lieber als mit ihr gesessen hätten.

Solche Termine, dazu noch Auftritte bei Wirtschaftsverbänden, stehen jetzt wieder häufiger in ihrem Kalender. Ziel ist die Aussöhnung mit der Wirtschaft und das Durchkreuzen von Steinmeiers Strategie, diese Gruppe für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Strippen ziehen in Berlin

Weiteres Schlachtfeld wird der Profilierungswettbewerb zwischen Medien-Kanzlerin und Medien-Kandidat. Merkel und ihr CDU-Generalsekretär beobachten mit Argwohn, wie Steinmeier in Berlin Strippen zieht und ihm dabei der erfahrene frühere „Spiegel“- und Boulevard-Journalist Ulrich Deupmann wichtige Hilfestellungen gibt. Der Außenminister pflegt, anders als die Kanzlerin, systematisch Journalisten, auch diejenigen, die nicht als Jubelperser an seinem Wegesrand stehen. Und er nimmt sich auch schon mal einen Abend Zeit, um nur mit Korrespondenten der Wirtschaftsteile großer Zeitungen und Magazine zu sprechen. Schon befürchtet man in der Union, dass viele Berliner Journalisten, auch die, die der SPD nahestehen und die in den vergangenen Monaten Beck niedergeschrieben haben, nunmehr die neue Führungsspitze hochschreiben werden. Zumindest scheint plausibel, dass fünf Jahre Häme über die SPD irgendwann einmal zu Ende sein müssen – genauso wie sich das positive Niveau der Merkel-Darstellung nicht so lange wird durchhalten lassen. Allerdings warnt der Medien-Analytiker Roland Schatz vom Forschungsinstitut Media Tenor vor frühzeitiger Euphorie: „Steinmeier wird es schwerer haben, vor allem wenn er nicht mehr als neutraler Vertreter Deutschlands in der Welt wahrgenommen wird, sondern als SPD-Politiker.“

Steinmeier hat Zähne gezeigt, erstmals aber steht er jetzt auch vorne an der Rampe der politischen Bühne, er kann sich jetzt nicht mehr in den Kulissen verstecken. Der letzte Sozi, der dort stand und eine Wahl gewann, war Gerhard Schröder. Der ließ sich auch gerne als „Rampensau“ bezeichnen und hat mehrmals innerhalb weniger Wochen Stimmungen in Deutschland gedreht. Solch eine Rampensau ist Steinmeier nicht. Das ist der Unterschied. Eine Gemeinsamkeit aber bleibt: Wie Schröder 2005 könnte Steinmeier bei seinem Wahlkampf ziemlich einsam sein – weil seine Partei nicht folgt.

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