Wahlkampf in Deutschland Viele Ideen in der Renten-Arena

Wie wollen die Parteien die Weichen für die Rentner stellen? Das soziale Megathema sorgt für Streit. Gewerkschaften und Arbeitgeber machen der Politik zum Start ins neue Jahr mit düsteren Szenarien Dampf.

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Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) sorgt mit ihrem neuen Renten-Gesamtkonzept für Gesprächsstoff. Quelle: dpa

Berlin Eines ist den knapp 21 Millionen Rentnern in Deutschland 2017 sicher. Ihre Bezüge steigen im Sommer um 1,5 bis 2,0 Prozent. Doch um die Rentner von heute geht es nicht, wenn die Politik über die Altersvorsorge streitet. Unterschiedliche Meinungen über die Weichenstellungen für die künftigen Rentner gibt es reichlich. Ein Wahlkampf auch ums soziale Megathema Rente naht.

Vorgelegt hat Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Ihr wenige Wochen altes Gesamtkonzept bietet ihrer nicht aus der Umfragekrise kommenden Partei reichlich Wahlkampfmunition. Sie will eine Haltelinie von 46 Prozent beim Rentenniveau bis 2045. Ziel ist sogar 48 Prozent.

Bei dieser Marge liegt das Verhältnis der Rente zum Durchschnittslohn bereits heute. 2017 dürfte es laut Rentenversicherungsbericht sogar um 0,2 Punkte steigen, bevor es in den Keller geht und auf 44,5 Prozent im Jahr 2030 sinkt. Gesetzlich wären sogar 43 Prozent erlaubt. Babyboomer gehen verstärkt in Rente. Die Regierung warnt: Viele Bürger bleiben im Ruhestand nicht ausreichend abgesichert – außer sie tun selbst mehr für ihre Altersvorsorge.

Bessere Absicherung allein über die Rentenbeiträge finanzieren will Nahles nicht. Beim Beitragssatz – heute 18,7 Prozent – ist für sie eine 25-Prozent-Grenze bis 2045 angemessen. Gegen Altersarmut soll auch eine Solidarrente mit einem Aufschlag auf die Grundsicherung für Geringverdiener helfen und eine Pflicht-Absicherung Selbstständiger. Kosten insgesamt: Mehr als elf Milliarden Euro Steuergeld pro Jahr.

Die CDU will die Rente aus dem Wahlkampf halten. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verwies darauf, dass die Lage beim Rentenniveau wesentlich besser als lange angenommen sei. Der CDU-Wirtschaftsrat warnt vor Rentengeschenken. Stattdessen plädiert er für die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung – also für längeres Arbeiten.

Die CSU unter ihrem Chef Horst Seehofer schreibt sich eine Ausweitung der Mütterrente auf die Wahlkampffahnen, die Linke ein Rentenniveau von 53 Prozent. Die Grünen-Konzepte ähneln am ehesten denen von Nahles. Die AfD will, dass es zu höheren Renten führt, wenn man viele Kinder hat.


Gewerkschaften unterstützen SPD

Druck auf die Regierung kommt von allen Seiten – die Arbeitgeber beziehen klar Stellung gegen die Sozialdemokraten. „„Hohes Sicherungsniveau“ klingt sozial, ist es aber nicht, wenn man den Jüngeren im Gegenzug immer höhere Lasten aufbürdet“, warnt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zum Jahreswechsel. „Statt die Herausforderungen anzupacken, die durch Alterung unserer Gesellschaft entstehen, will die SPD immer weiter beim Beitragszahler draufsatteln“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Kräfte müsse die Politik auf die Steigerung der Beschäftigung konzentrieren. Das dürfte man in der CDU ähnlich sehen.

Die Gewerkschaften stellen sich ebenso klar auf die Seite der SPD. „Die Menschen müssen auch im Alter ein ordentliches Leben in Würde führen können“, fordert der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Verdi-Chef Frank Bsirske rechnet im Detail vor, wie der Verfall des Rentenniveaus tendenziell wirken könnte. „Wenn wir das für 2030 bisher in Kauf genommene Rentenniveau von 43 Prozent bereits heute hätten, bekäme jemand mit einem aktuellen Bruttoverdienst von 2500 Euro nach 40 Beitragsjahren 809 Euro Rente netto vor Steuern“, sagt er. „Das ist dramatisch nah beim Grundsicherungsanspruch.“

DGB, Verdi und Co fordern ein Rentenniveau von zunächst 48, dann 50 Prozent. „Dafür wird es massiv höhere Steuerzuschüsse geben müssen“, räumt Bsirske ein. Woher soll das Geld kommen? „Wir können es uns nicht weiter leisten, dass die Bundesrepublik eine Steueroase bleibt bei der Besteuerung reicher Erben und hoher Vermögen“, wettert der Verdi-Boss.

Andere Hebel sind Betriebsrenten und private Vorsorge. Bsirske sieht es als kaum machbar an, die Lücken durchs sinkende Rentenniveau so auszugleichen - sonst, so seine Rechnung, müssten künftige Rentner rund 7 Prozent ihres Einkommens als zusätzlichen Beitrag zahlen. Ein Gesetz zur größeren Verbreitung von Betriebsrenten will die Koalition in den kommenden Monaten durch den Bundestag bringen. Einen schnellen Schub für Betriebsrenten erwarten Experten dadurch aber nicht. Die Riester-Rente soll im Grundzug weiterlaufen wie bisher – ungeachtet von Vorstößen wie jenem von den Verbraucherzentralen, Riester durch ein neues staatlich abgesichertes Standardprodukt zu ersetzen.

Ideen gibt es viele in der Renten-Arena. Derzeit neutralisieren sie sich noch in der großen Koalition – doch klar wird schon, mit welchen Parteien es nach der Bundestagswahl wie weiter gehen könnte.

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