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Wahlkampf Merkel misstraut dem Wähler

Die Bundeskanzlerin verspricht wie alle anderen Parteien 100 Tage vor der Wahl das Blaue vom Himmel. Ihr 2005er-Ziel, „ehrlichere Wahlkämpfe“ zu führen, ist passé. Hat Merkel recht: Ist der Ehrliche der Dumme?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel verspricht dem Bürger Wohltaten nach der Wahl. Sind die angekündigten Milliardengeschenke der Schlüssel zum Wahlsieg? Quelle: rtr

Die Wahl hat Spuren hinterlassen. Angela Merkel lächelt gequält, ihr marineblauer Blazer und der schwarze, leicht verwischte Kajal spiegeln ihre Stimmung wider. „Frau Merkel, die CDU/CSU ist zwar stärkste Fraktion, aber Schwarz-Gelb geht nicht, das ist jetzt schon klar“, begrüßt Moderator Hartmann von der Tann die vermeintliche Wahlsiegerin in der Elefantenrunde zur Bundestagswahl 2005. „Sie sind weit hinter Ihren Erwartungen zurückgeblieben, [liegen] nur noch ganz kurz vor der SPD. Woran lag’s?“

Eine ehrliche Antwort findet Angela Merkel an jenem Wahlabend des 18. September 2005 nicht. Auch in den Monaten danach gibt es allenfalls Ansätze von Erklärungen, eine Bundesvorstandssitzung der CDU formuliert Thesen. Doch diese kratzen nur an der Oberfläche. Wie Merkel persönlich die Wahl 2005 interpretiert hat, zeigt sich erst jetzt, acht Jahre später, im Wahlkampf 2013. Genau 100 Tage sind es noch bis zur Wahl, die Merkel mit Wahlgeschenken in Milliardenhöhe gewinnen will: Das Elterngeld soll erhöht werden, die Renten sowieso und gleichzeitig soll die Steuerbelastung der Arbeitnehmer reduziert werden. Seriös gegenfinanziert sind die Versprechen nicht, bemängeln selbst führende Unionspolitiker. Doch darum geht es auch gar nicht. Merkel, die 2005 für mehr Ehrlichkeit im Wahlkampf warb, die die Staatsfinanzen damals „zerrüttet“ nannte und die Bürger auf schwere Zeiten vorbereitete, misstraut seit jener Zeit dem Wähler. Sie glaubt: Der Ehrliche ist der Dumme. Hat sie Recht? Will der Bürger belogen werden? Wählt er die Partei, die schlicht am meisten verspricht?

Helmut Kohl versprach "blühende Landschaften" - und siegte

Im ersten Impuls denkt man: Ja, genau so denkt und handelt das Wahlvolk. Bestes Beispiel: Gerhard Schröder wird heute für die Agenda 2010 gelobt. In seiner Amtszeit als Bundeskanzler (1998 – 2005) aber wurde er für die Reform beschimpft. Seine SPD verlor 2004/2005 eine Landtagswahl nach der anderen. Schröder rief Neuwahlen aus – und wurde zum Politrentner degradiert. Angela Merkel konnte vom Stimmenschwund der SPD nicht profitieren, auch sie wurde – aufgrund ihrer Ankündigung, die Steuern zu erhöhen – abgestraft. Stattdessen triumphierten Linke und FDP, die die Bürger mit lukrativen Versprechen köderten.

Bereits 15 Jahre zuvor erlebte die SPD, dass man für einen ehrlichen Wahlkampf nicht belohnt wird. Spitzenkandidat Oskar Lafontaine warnte 1990 vor den Kosten der Deutschen Einheit und nannte Steuererhöhungen unausweichlich. Sein Widersacher Helmut Kohl sprach von „blühenden Landschaften“ – und siegte. Drittes und letztes Beispiel: In fast allen Euro-Krisenländern wurden die Regierungen mindestens schon einmal aus dem Amt gejagt. Zulauf erhielten dagegen in Griechenland, Italien & Co. all jene Parteien, die ein Ende des Verzichts verkünden.

„Politiker müssen mit der Ehrlichkeit vorsichtig sein, zumal sich die Situation nach der Wahl dramatisch ändern kann“, sagt Andreas Freytag, Professor für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Ich würde keinem Wahlkämpfer pauschal raten, zu 100 Prozent ehrlich zu sein. Das heißt aber nicht, dass ein Politiker bewusst lügen sollte. Es ist wichtig, genauestens abzuwägen.“

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