Wahlkampf mit dem Alter Die riskante Rentenstrategie

Die Politik will die Menschen mit Sorgen um wegbrechenden Wohlstand im Alter nicht allein lassen. Doch kann eine Partei die Rentenlücke schließen – oder fallen Versprechungen auf die Politiker zurück?

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Rentenpolitik ist ein emotionales Thema – dennoch sind die Parteien damit in den Bundestagswahlkampf gestartet. Quelle: dpa

Berlin Ein Rentenwahlkampf würde zu nichts führen als zu einer großen Verunsicherung. Die Warnung im Jahr vor der Bundestagswahl verhallte wirkungslos. Sie stammt aus dem Jahr 1997 vom damaligen Sozialminister Norbert Blüm (CDU). Tatsächlich ging der rot-grüne Sieg 1998 und der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder eine Wahlauseinandersetzung auch über das hochemotionale Thema Rente voraus. Heute sind die Parteien erneut in einen Rentenwahlkampf gestartet – mit allen Risiken. Der Zugzwang für neue Reformen wächst.

1998 zog die SPD gegen eine Blümsche Rentenreform zu Felde, die die Rentenerhöhungen bremsen sollte, wenn die Menschen älter werden. Doch 2001, unter dem Druck hoher Arbeitslosigkeit und einer schmelzenden Rentenreserve, leitete Rot-Grün selbst Reformen ein. Fortan sollten die Renten hinter der Lohnentwicklung zurückbleiben. Nicht mehr die gesetzliche Rente allein sollte den Lebensstandard absichern, sondern zusätzlich private oder betriebliche Vorsorge. Kritiker warfen der SPD Glaubwürdigkeitsverluste vor.

Mittlerweile ist das Rentenniveau – das Verhältnis der Löhne zu den Renten – von damals 53 auf 48 Prozent gesunken. Bis 2030 dürfte das Niveau nach heutigem Stand auf 44,6 Prozent und dann weiter fallen. Trotz staatlicher Förderung kann die Riesterrente die Lücken nicht füllen. Auch die Betriebsrente blieb hinter den Erwartungen zurück.

Wie kann die Rentenlücke geschlossen werden – und wer kann es am besten? Vor allem die Sorge vor dem Frust der arbeitenden Mittelschicht wegen wegbrechender Alterssicherung treibt die Parteien in den Rentenwahlkampf. Verdient man heute wie zum Beispiel eine Floristin, kommt man nach 40 Jahren Arbeit bei der Rente kaum über Grundsicherungsniveau. CSU-Chef Horst Seehofer begründet seinen Vorstoß für eine große Rentenreform damit, dass die Kürzung des Rentenniveaus „etwa die Hälfte der Bevölkerung“ in die Sozialhilfe treibe.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warnt, dass die Arbeitnehmer es schlicht nicht akzeptieren würden, wenn nur noch „40, 41, 42 Prozent vom letzten Netto“ blieben. Der SPD hängen aber die eigenen Reformbeschlüsse unter Schröder nach. So wettert die Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht: „Die ganze Zerstörung der gesetzlichen Rente ist mit SPD-Ministern verbunden.“

Im Nacken sitzt den etablierten Parteien dabei die AfD. Nicht von ungefähr hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Berichten zufolge einen Zusammenhang zwischen AfD-Erfolg und Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hergestellt. Denn mit dem Zins schmilzt auch das Vertrauen in die eigene Vorsorge. Die AfD fordert, Deutschland möge sich an der Schweiz ein Vorbild nehmen. Doch auch den Schweizern droht ein Loch in der Rentenkasse – Steuererhöhungen sollen frisches Geld hineinspülen.


Seehofer hält ein „Gesamtkunstwerk“ für nötig

Mehr Geld wird auch in Deutschland für die Rente gebraucht, soll das Rentenniveau nicht zu stark sinken – geschätzt rund sieben Milliarden Euro pro Prozentpunkt. Bisher gilt 43 Prozent als gesetzliche Untergrenze. Mittlerweile herrscht ein ziemlich breiter Konsens, dass das nicht reicht. SPD-Chef Gabriel will das Niveau stabilisieren. Die Linke will gleich auf 53 Prozent Rentenniveau zurück. Die Grünen streben maßvoller eine Untergrenze von 46 Prozent an. Selbst CDU-Sozialexperte Karl Schiewerling spricht sich für 45 Prozent aus.

Wo sollen die Milliarden dafür herkommen? Die Beiträge könnten schneller und höher steigen als auf die derzeit angenommenen 20,4 Prozent 2025. Der Haken: Laut einem Gutachten des DIW im Auftrag der Grünen kostet ein Prozentpunkt höhere Beiträge 60.000 bis 80.000 Jobs. Es könnten auch mehr Steuern für die Rente fließen. Doch auch das ist heikel. Schon nach heutigem Stand soll der Rentenzuschuss zwischen 2017 und 2019 von 90,85 Milliarden auf 97,82 Milliarden Euro klettern: In nur drei Jahren sind das mehr als 280 Milliarden.

Auch das Rentenalter könnte stärker steigen als bisher geplant. Doch so schlüssig solche Forderungen angesichts des immer ungünstigeren Verhältnisses von Einzahlern zu Rentnern rechnerisch sind, so unpopulär sind sie. Als Wolfgang Schäuble eine Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung forderte, war die Empörung groß. Schon heute geht fast jeder Vierte früher mit Abschlägen in Rente.

Dagegen zeichnet sich ab, dass Eigenvorsorge gestärkt werden soll – auch wenn Seehofer Riester für gescheitert hält. Die niedrigen Zinsen machen staatliche Zulagen und Zusagen bei Reformüberlegungen zur privaten und betrieblichen Vorsorge umso wichtiger.

Seehofer hält „ein Gesamtkunstwerk“ für nötig – und meint, vielleicht sei ja doch schon vor der Bundestagswahl ein neues Rentenpaket drin. Tatsächlich löst die Aussicht auf einen Rentenwahlkampf weder bei Kanzlerin Angela Merkel noch bei Fachministerin Andrea Nahles große Begeisterung aus. Zu einem Versprechen wie dem Blümschen „Die Rente ist sicher“ dürfte sich heute kaum noch jemand hinreißen lassen.

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