Wahlsager

Genauer hinsehen als die Demoskopen

Konrad Fischer Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Konrad Fischer Ressortleiter Unternehmen und Technologie

Mit einem neuartigen Umfragetool und erweiterten Darstellungsformen macht WirtschaftsWoche Online bis zur Bundestagswahl aus den Sonntagsfragen zur politischen Stimmung ein bisschen mehr.

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Nein, wir haben nicht eintausend Leute befragt. Wir haben noch nicht einmal ein Telefonstudio oder eine Adressdatenbank. Trotzdem werden wir in den kommenden Wochen mehr Spannendes über Wahlumfragen erzählen als es die etablierten Meinungsforscher und Medien für gewöhnlich tun. Seit mehr als 20 Jahren befragen forsa, Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen regelmäßig die Deutschen nach ihren politischen Interessen. Hinzu kommen Allensbach, TNS Emnid, YouGov und GMS, die ähnliche Fragen einmal im Monat stellen.

Die deutsche Meinungsforschung hat dabei eine große Stärke und eine Schwäche. Was sie wirklich gut kann, ist repräsentative Wahlumfragen durchführen. Hut ab, wenn man sich die vergangenen Wahlen anschaut, wie nah da die meisten Institute am Ergebnis lagen. Was die Institute leider nicht so gut können: Die Daten verständlich erläutern und alles aus ihnen herausholen. Das überlassen sie Medien und nehmen dabei zum einen auch in Kauf, dass Unklarheiten entstehen. Vielleicht liegt es daran, dass die Institute mit ihren Wahlumfragen allesamt kein Geld verdienen müssen, oder daran, dass sie mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammenarbeiten, aber Innovationen sind hier echte Mangelware.

Und genau da setzt die Analyse der "WiWo-Wahlsager" an. Auf Basis der wöchentlich bzw. monatlich erhobenen Daten führen wir zusätzliche Auswertungen durch - und sind uns ziemlich sicher, dass wir so mehr Genauigkeit und interessantere Informationen gewinnen können als die großen Meinungsforschungsinstitute. Aber damit keine Missverständnisse aufkommen: Das alles geht nur, weil es deren Daten gibt.

Zum einen erstellen wir eine aggregierte Sonntagsfrage, wir nennen sie die "Master-Projektion". Wir glauben, dass sie am Ende näher an der Realität liegen wird als die Werte der Institute. Denn unsere Projektion baut auf diesen auf und macht sie besser: Aus den existierenden Umfragedaten bilden wir einen Mittelwert, dann gewichten wir die Werte der einzelnen Institute anhand der Exaktheit ihrer jeweils letzten Prognosen vor den vergangenen vier Bundestagswahlen. So erhalten wir eigene Werte, die das Beste aus den guten Umfragewerten herausfiltert. Laut Nate Silver, einem US-Wahlblogger ("Fivethirtyeight"), von dem wir einige unserer Ideen abgekupfert haben, sollten wir damit im besten Fall zwanzig Prozent besser als die einzelnen Institute abschneiden.

Sieg und Niederlage

Wer bietet was?
Foto: Angela Merkel Quelle: AP
Foto: FDP-Fähnchen Quelle: dpa
Schriftzug SPD Quelle: dpa
Logo Bündnis 90 Die Grünen Quelle: dpa

Bei den Sonntagsfragen kann das natürlich keiner überprüfen, weil nächsten Sonntag keine Wahl stattfindet, spätestens bei der Wahl aber wird sich der Wert dieser Aussage erweisen. Aus zwei Gründen könnte dieser Erfolg dennoch nicht eintreten. Erstens: Eine einzelne Umfrage kann immer besser abschneiden als der Mittelwert, man weiß allerdings vorher nie ob das der Fall ist und die Umfrage welchen Instituts das sein wird - deshalb sollte der gewichtete Mittelwert meistens besser abschneiden. Zweitens: Sollten alle Umfragen eine gleichartige Fehlerquelle in sich bergen, von der wir nichts wissen, würden auch wir diesem Fehler unterliegen. Wir sollten der schnellste in der Herde sein, aber wenn die ganze Herde falschliegt, dann stürzen wir mit ins Elend.

Wir wollen aber nicht nur mehr aus den Daten der Institute machen, wir wollen auch ehrlich sagen, wo die Grenzen von Umfragen liegen. Denn an dieser Stelle lassen die Institute zu, dass ihre Werte zu wörtlich genommen werden. Sie veröffentlichen ihre Ergebnisse als sogenannte Punktschätzungen, zum Beispiel: CDU 38,5 Prozent. Klar, das lässt sich besser verkaufen, doch ihre Daten geben das gar nicht her. Wie alle Statistiker unterliegen auch die Meinungsforscher einer Reihe von Fehlerquellen und insbesondere dem Zufallsfehler. Will heißen: Wenn man ein und dieselbe Untersuchung mehrmals durchführt, wird nicht in allen Fällen exakt das gleiche herauskommen. Vielmehr streuen die Ergebnisse rund um einen mittleren Schätzwert. Wir werden deshalb die sogenannten Konfidenzintervalle mit veröffentlichen. Das sieht dann zwar nicht mehr so schön eindeutig aus, bei einem mittleren Schätzwert von beispielsweise 4,5 Prozent für die FDP sind Aussagen wie "FDP schafft es nicht mehr ins Parlament" dann nur noch sehr eingeschränkt möglich. Dafür lassen die Intervalle eine zutreffende Aussage zu: "Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent würde das Wahlergebnis der FDP momentan zwischen 3,1 und 5,9 Prozent liegen." Die meisten Institute geben zwar Fehlermargen an, in den Medienberichten über Umfrageergebnisse spielen diese aber meistens keine oder nur eine untergeordnete Rolle.

Wahlversprechen, und was daraus wurde
1988: „Eins ist sicher: die Rente“ (CDU) Noch im Sommer forderte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen, eine Zuschussrente einzuführen. Das soll die Armut im Alter verhindern, die viele Deutsche fürchten. Denn die staatliche Rente allein reicht längst nicht mehr. Schon 2001 führte die Bundesregierung mit der Riester-Rente eine zusätzliche Vorsorge-Möglichkeit ein. 1988 klangen noch andere Töne: Einen abgesicherten Lebensabend versprach damals CDU-Sozialminister Norbert Blüm im Wahlkampf. Mit dem Spruch „Eins ist sicher: die Rente“ hatte die CDU für sich geworben. Quelle: AP
1990: CDU will Aufbau Ost aus der Porto-Kasse zahlen„Blühende Landschaften“ versprach Kanzler Helmut Kohl 1990 in den neuen Bundesländern. Dafür hatte er vor der Bundestagswahl ausgeschlossen und wollte die Wiedervereinigung „aus der Portokasse“ finanzieren. Stattdessen kam der Solidaritätszuschlag. Dieser sollte aber nicht lange bleiben. 1996 versprach Kohl: „Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg.“ Heute gibt es ihn immer noch. Quelle: dapd
2005: SPD schließt eine höhere Mehrwertsteuer ausFranz Müntefering fand es 2005 als Vizekanzler „unfair“, dass die Regierung „an dem gemessen wird, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist“. Seine SPD hatte im damaligen Wahlkampf gesagt, dass es mit ihre keine höhere Mehrwertsteuer geben würde. Die CDU hatte sich für eine Erhöhung um zwei Prozentpunkte eingesetzt. Schließlich wurden es drei Prozentpunkte – mit der SPD als Koalitionspartner. Quelle: dpa/dpaweb
2005: CDU will erst raus aus dem Atomausstieg - und dann doch nichtSchon im Wahlkampf 2005 stellt die CDU den unter der SPD beschlossenen Atomausstieg in Frage. Raus aus dem Ausstieg wagt sie sich jedoch erst 2010 in einer Koalition mit der FDP. Lange fest hält sie daran nicht. Kanzlerin Angela Merkel änderte ihre Haltung ein knappes Jahr später nach der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Juni 2011 beschlossen Bundestag und Bundesrat, die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke und das Kraftwerk Krümmel sofort stillzulegen sind. Die restlichen deutschen Kernkraftwerke sollen bis 2022 abgeschaltet werden. Quelle: AP
2008: Hessens SPD will erst ohne, dann mit der LinkenRoland Koch als hessischen Ministerpräsidenten zu Fall bringen: Das war 2008 das Ziel von SPD-Spitzenkandiidatin Andrea Ypsilanti im hessischen Wahlkampf. Dafür wollte sie sogar ihr Wahlversprechen brechen, keine Koalition mit der Linken einzugehen. „Wir werden uns nicht einmal von ihr tolerieren lassen. Auch nach dem Wahlabend nicht, garantiert!“ Das waren Ypsilantis Worte vor der Wahl gewesen. Als sie sich nach der Wahl doch von der Linken tolerieren lassen wollte, ließ sie nach heftigem Widerstand von ihrem Vorhaben ab und trat zurück. Quelle: dpa
2009: CDU und FDP wollten das Kindergeld auf 200 Euro erhöhen200 Euro Kindergeld versprach die FDP vor der Bundestagswahl 2009. Die Koalition mit der CDU einigte sich sogar auf diese Erhöhung – geschehen ist seit dem nichts: Der Kindergeld-Satz liegt derzeit bei 184 Euro für das erste und zweite Kind, sowie 190 Euro für das dritte Kind. Laut einem Bericht der Bild-Zeitung von November 2012 können Eltern immerhin auf eine Erhöhung von zwei Euro bis spätestens 2014 rechnen. Quelle: AP
2009: CDU will Eingangssteuersatz senkenZum Jahresbeginn2013 dürfen sich die Steuerzahler über eine Erleichterungen freuen. Der Grundfreibetrag steigt ab jetzt schrittweise bis 2014 von 8.004 auf 8.354 Euro. Der Eingangssteuersatz bleibt jedoch gleich. Dabei hatte die CDU im Wahlkampf 2009 versprochen, ihn in zwei Schritten von 14 auf zwölf Prozent zu senken. Quelle: dpa

Die vermeintlichen Punktschätzungen fallen den Instituten immer dann auf die Füße, wenn die Wahl besonders knapp verläuft. Durch die Punktschätzungen vermitteln sie den Eindruck, eine Aussage über Sieg und Niederlage treffen zu können. Auch wenn sie im Sinne des Konfidenzintervalls am Ende des Wahlabends völlig richtig liegen, haben sie dann scheinbar auf das falsche Pferd gesetzt. Bestes Beispiel dafür war die jüngste Niedersachsen-Wahl: Selbst nach den ersten Hochrechnungen war noch unklar, wer gewinnen würde. Wie soll da eine Umfrage zehn Tage vorher richtig liegen?

Politische Wahrscheinlichkeiten

Wie das Einkommen das Wahlverhalten bestimmt
Die Anhänger dieser Partei würde wahrscheinlich diese Wahlkabinen nicht betreten - es ist die Partei der Nichtwähler. 18,5 Prozent der Nichtwähler verdienen weniger als 1.000 Euro pro Monat. Auch in der Einkommensgruppen über 2.500 pro Monat finden sich immer noch 26 Prozent der Nichtwählerpartei.Quelle: Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig Quelle: REUTERS
Die Linkspartei kommt nicht richtig bei den Armen an. Lediglich 6,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro - 30,8 Prozent der Linke-Wähler stehen hingegen mehr als 2.500 Euro zur Verfügung. Quelle: dpa
Anders als die Vermutung nahe legt, befindet sich auch die SPD bei den Personen, die weniger als 1.000 Euro verdient, klar in der Minderheit. Nur 6,1 Prozent der SPD-Wähler kommen aus dieser Schicht, während bei den Personen mit einem Einkommen von mehr als 2.500 Euro bereits 31,3-Prozent der Wähler stammt. Quelle: AP
Die Piratenpartei hat eine breite Basis an Anhängern. Sie überholt alle etablierten Parteien im Spektrum der Personen, die weniger als 1.000 Euro verdienen: Sie finden hier 10,8 Prozent ihrer Wähler. Und bei den großen Einkommen über 2.500 Euro vereinen die Freibeuter gleich 31,8 Prozent ihrer Wählerschaft. Quelle: dpa
Untentschlossene Wähler stammen zu 32,9 Prozent aus der Einkommensgruppe über 2.500 Euro. Sie sind auch in der Gruppe unter 1.000 Euro mit 11,4 Prozent vertreten. Quelle: ZB
31,8 Prozent der Wähler, die ihr Stimme der CDU/CSU geben, verdienen mehr als 2.500 Prozent. In der Einkommensgruppe von unter 1.000 Euro sind lediglich nur 5,7 Prozent der Wähler. Quelle: dpa/dpaweb
Gut in den allen Einkommensgruppen vertreten: Die Rechtsparteien. 15,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro; 35 Prozent mehr als 2.500 Euro. Quelle: dapd

Die Bedeutung des Konfidenzintervalls zeigt, dass es eigentlich eine ganz andere Größe gibt, die im Prognosegeschäft interessant ist - die in Deutschland bisher aber keine Rolle spielt: die Wahrscheinlichkeit. Deshalb stellen wir Umfragen erstmals in Form von Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Koalitionsoptionen dar, eine Form die bisher völlig unüblich ist.

Dabei hat sie gerade in Verhältniswahlsystemen wie dem deutschen viel Charme: Welchen Leser interessiert schon wirklich, ob die SPD 26, 28, oder 30 Prozent holt? Am Ende wollen alle wissen, wer regieren kann. Deshalb berechnen wir auf Basis der wöchentlichen Master-Projektion Koalitionswahrscheinlichkeiten für alle theoretisch denkbaren und halbwegs wahrscheinlichen Varianten. Grün-Gelb fällt aus Gründen der mikroskopisch geringen statistischen Wahrscheinlichkeit weg, schwarz-dunkelrot aufgrund der inhaltlichen Distanz (politische Wahrscheinlichkeit).

In inhaltlichen Fragen werden wir ansonsten aber großzügig sein: Auch eine Ampelkoalition kommt nach den Aussagen der Parteien derzeit politisch nicht in Frage, sie ist aber nicht so abstrus, dass die Wahrscheinlichkeit nicht trotzdem interessant wäre.

Mithilfe der Wahrscheinlichkeiten und der Analyse verschiedenster Daten aus der Vergangenheit über Wählerverhalten und Einstellungen zu inhaltlichen Themen wollen wir diese Kolumne außerdem dafür nutzen, im Laufe des Wahlkampfs statistische Phänomene zu erklären und aktuelle Entwicklungen richtig einzuschätzen.

Werfen wir zum Schluss einen kurzen Blick auf die aktuellen Wahrscheinlichkeiten. Dass eine große Koalition und auch eine – von den beteiligten Parteien nicht angestrebte – schwarz-grüne Koalition mit einer Mehrheit rechnen könnten, wenn bereits am Sonntag Bundestagswahl wäre, dürfte nicht allzu sehr überraschen. Interessant ist vor allem, dass die Chancen im Moment sowohl für eine rot-grüne als auch für eine schwarz-gelbe Mehrheit gering sind. In der nächsten Kolumne werden wir allerdings zeigen, wie viel sich bis zur Wahl noch ändern kann und wie schnell sich die Wahrscheinlichkeiten für die Koalitionen verändern können.

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