Wahlsager

Keine Mehrheit für Schwarz-Gelb, AfD nicht im Parlament

Konrad Fischer Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Konrad Fischer Ressortleiter Unternehmen und Technologie

Die WirtschaftsWoche-Wahlsager wagen unmittelbar vor der Bundestagswahl konkrete Tipps, wie Deutschland wählt. Hier sind ihre zehn Thesen.

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Seit Monaten haben wir den Verlauf der Umfragen beobachtet und auf ihre Stärken und Schwächen untersucht, die wissenschaftlichen Vorhersagen über die Bundestagswahl haben wir nahezu umfassend ausgewertet. Auch im Netz haben wir das Verhalten der Parteien beobachtet, außerdem haben wir langfristige Wähleranalysen studiert und selbst vorgenommen. Aus all diesem Wissen wollen wir nun zehn Thesen ableiten und begründen, wie aus unserer Sicht wahrscheinlich die Wahl ausgehen wird. Die Thesen sind zum Teil sehr kontrovers, zum Teil alles andere als sicher – aber genau darin liegt der Reiz.

1. Schwarz-Gelb erreicht keine eigene Mehrheit

Das Rennen sei völlig offen, auf diese Deutung haben sich die meisten Institute geeinigt. Mit jeder einzelnen Umfrage kann man kurz vor der Wahl tatsächlich nicht sehr viel anfangen. Schaut man sich die Umfragen aller Institute zusammen an, werden jedoch Tendenzen erkennbar. Mit Ausnahme der Forschungsgruppe Wahlen sehen in der letzten Projektion vor der Wahl die großen Institute keine Mehrheit für Schwarz-Gelb – entweder es werden genau gleiche Anteile für die amtierende Koalition und Rot-Rot-Grün vorhergesagt oder ein minimaler Vorsprung von SPD, Grünen und der Linken. Auch wenn die Abstände sehr knapp sind und sich innerhalb des statistischen Fehlers bewegen, so wird in diesem Fall aus vielen schwachen Wahrscheinlichkeiten eine etwas stärkere.

So ergibt die Wahlsager-Projektion inzwischen nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 29 Prozent für eine schwarz-gelbe Mehrheit.  Einschränkend ist allerdings zu sehen, dass sich unter der Annahme, dass die FDP (wie wir und die meisten Beobachter glauben) auf jeden Fall ins Parlament kommt, die Wahrscheinlichkeit ein Stück weit zugunsten von Schwarz-Gelb verschiebt (auf 43 Prozent). Selbst unter dieser Annahme spricht die Wahrscheinlichkeit aber eher für Rot-Rot-Grün.

Wahrscheinlichkeit: 71 Prozent bzw. 57 Prozent (wenn FDP-Einzug als sicher angesehen wird)

Deutschlands skurrilste Wahlplakate
Dieses Plakat der Piraten erreichte uns gleich mehrfach. Als gebe es einen Wettbewerb um unrealistische Wahlversprechen fordern die Piraten einfach "einen Wombat in jedem Haushalt". Sinnvoll oder einfach nur Papierverschwendung? Quelle: Piratenpartei
Auch der CDU-Abgeordnete Karl Schiewerling aus dem Wahlkreis Coesfeld/Steinfurt II verzichtet lieber gleich auf ein Wahlversprechen und wünscht seinen potenziellen Wählern lieber schöne Ferien. Auf seiner Homepage wirbt er dafür mit dem Slogan "Ihr Abgeordneter. Hält Wort."
Die Piratenpartei ist unter den skurrilen Plakaten gleich mehrfach vertreten, denn auch der Slogan "Themen statt Möpse" irritierte so manchen Wähler. Auch wenn der Mops mit ins Bild gerückt wurde, die Anspielung auf das freizügige Wahlplakat der CDU-Politikerin Vera Lengsfeld liegt nur allzu nah. Quelle: Stefan Butz
Dieses Plakat erinnerte unseren Leser an eine Situation am Grenzübergang in Salzburg vor vielen Jahren. "Warum wollen Sie denn nach Deutschland, bleiben Sie doch in Bayern", fragte der Grenzbeamte. Das Plakat zeigt, dass die Frage für einige immer noch aktuell ist. Quelle: Ernst Fojcik
Ein Beispiel dafür, dass Wahlplakate für sich allein hochseriös sein können, zusammen aber komisch wirken. Dieses Bild bekamen wir von einer Leserin aus Leipzig, unter dem Motto: "Drei Parteien, eine Brille". Quelle: Ulrike Bertus
Die Freien Wähler haben Kreativität bewiesen - und vor allem Fingerspitzengefühl bei der Positionierung des Plakats, es hängt nämlich direkt vor dem Springer-Haus in Hamburg. Quelle: Wolfgang Beecken
Ein Problem vieler Politiker und aller Parteien: Oft werden die Plakate verschandelt und sind schon nach kurzer Zeit nicht mehr wiederzuerkennen. Quelle: Martin Fuchs

2. Die Union bekommt weniger als 40 Prozent der Stimmen

Die CDU ist ein schwieriger Fall. Einerseits ist sie zuletzt in den Umfragen etwas abgesackt, anderseits sind die Beliebtheitswerte von Kanzlerin Angela Merkel nach wie vor überragend. Dennoch glauben wir, dass sie unter der Schwelle von vierzig Prozent bleiben wird. Das deckt sich zum einen mit der Wahlsager-Projektion und alternativen Prognoseverfahren wie den Expertenbefragungen von „Pollyvote“ und den Prognosemärkten. Zudem wurde die CDU in den Umfragen 2005 und 2009 vor der Wahl leicht überschätzt, was dafür spricht, dass die Partei ein gewisses Mobilisierungsproblem hat. Trotz aller Absagen an eine Zweitstimmen-Kampagne für die FDP ist auch damit zu rechnen, dass ein paar Fans der schwarz-gelben Koalition ihr Kreuzchen lieber bei den Liberalen machen, aus Sorge dass die es sonst nicht ins Parlament schaffen könnten.

Gegen diese These spricht vor allem, dass die meisten Institute das CDU-Problem inzwischen selbst erkannt haben. Um die Partei nicht erneut zu überschätzen, korrigieren sie die Zustimmungswerte offenbar bereits deutlich nach unten, so lag die Partei in den Rohdaten der Forschungsgruppe Wahlen zuletzt noch bei 44 Prozent. Hinzu kommen die historischen Wahlergebnisse der CDU, die auf einen Wählerstock schließen lassen, der durchaus für 40 Prozent gut zu sein scheint. Bis 1994 landete die Partei nie unter dieser Marke, außerdem sind die Voraussetzungen 2013 exzellent: Die Wirtschaft brummt, die Kanzlerin ist beliebt und der Koalitionspartner unbeliebt. Dennoch glauben wir in diesem Fall an den Trend der letzten Wahlkampfwochen, die erste Ziffer des CDU-Ergebnisses wird eine 3 sein.

Wahrscheinlichkeit: 70 Prozent

SPD und Grüne

3. Die SPD erreicht mehr als 26 Prozent 

Die wichtigste Basis unserer Vorhersage ist auch hier die Wahlsager-Projektion. Da verzeichnete die Partei zuletzt einen leichten Trend nach oben, der letzte Wert liegt über 26 Prozent. Auch hier wird die These von anderen Erhebungen gestützt, in Expertenbefragungen schafft die Partei diese Hürde locker. Auch für diese These gibt es aber ernstzunehmende Gegenargumente: Da ist zum einen das deutlich schlechtere Wahlergebnis 2009, auch hier wurde der Partei in den letzten Wochen ein leichter Aufwärtstrend unterstellt, den es so wohl gar nicht gab.

Außerdem sind die Umfrageergebnisse hier in sich ziemlich widersprüchlich, in den Prognosemärkten erreicht die Partei mal mehr, mal weniger als 26 Prozent. Vor allem aber könnte es die Partei auf den letzten Metern schwächen, dass eine Mehrheit für Rot-Grün nahezu aussichtslos ist, was die Mobilisierung verringern könnte. Wir glauben aber, dass die zuletzt leicht steigende Beliebtheit des Kandidaten Steinbrück und vielleicht auch der Wunsch nach einer großen Koalition am Ende den Ausschlag geben werden.

Wahrscheinlichkeit: 64 Prozent

"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch"
Begleitet von rund 200 Sympathisanten zogen die Grünen vor 30 Jahren in den Bundestag ein. Unter ihnen waren die Abgeordneten Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf (von links nach rechts). Der Bundestag war völlig unvorbereitet auf diese neue Art der Politik. Quelle: dpa
Zwei Tage nach dem 5,6-Prozent-Erfolg der Grünen bei der Wahl am 6. März 1983 kamen die 27 Abgeordneten erstmals zu einer Sitzung zusammen. Der Konferenzsaal des Abgeordnetenhauses am Bonner Tulpenfeld war viel zu eng. Auch Basisvertreter und Nachrücker waren dabei, nach zwei Jahren sollten die frisch gewählten Abgeordneten wieder aus dem Parlament hinausrotieren. Quelle: dpa
Trotz Ermahnungen der politisch Etablierten zu ordnungsgemäßer Kleidung dominierten Strickpullis und Zauselhaare. Nur eine weibliche Abgeordnete erschien mit Anzug und Krawatte. Einige brachten Strickzeug mit in den Bundestag, andere erschienen mit Blumentöpfen zur ersten Sitzung. Quelle: dpa
Auch Blumen gießen gehörte in den Anfangsjahren dazu – hier streng beobachtet von Otto Schily (rechts) und der amüsierten SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Über den fehlenden Platz für die Neuparlamentarier verhandelten die Grünen-Fraktionsvorständler Petra Kelly und Otto Schily sowie Fraktionsgeschäftsführer Joschka Fischer mit Bundestagspräsident Richard Stücklen. Die alteingesessenen Parteien zeigten sich skeptisch gegenüber den Neulingen. Helmut Kohl hielt die Grünen nur für eine zwischenzeitliche Episode. „Zwei Jahre gebe ich denen, dann gehen sie Mann für Mann zur SPD über“, sagte er. Quelle: dpa
Doch die Grünen blieben. Schon früh setzten die Grünen themenpolitische Akzente, mit der sie die ganze Republik umkrempelten. Sie sprachen sich nicht nur früh gegen Atomkraft und für den Umweltschutz aus, sondern forderten damals schon gleiche Rechte für Homosexuelle, eine multikulturelle Gesellschaft und die Abschaffung der Wehrpflicht ein – alles Themen, die bis heute auf der Agenda stehen. Waltraud Schoppe (Mitte) sorgte mit ihrer ersten Rede gar für Entsetzen. „Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus in diesem Parlament einzustellen.“ Ein Satz, der ob der Sexismus-Debatte auch 30 Jahre später noch aktuell ist. Quelle: dpa
Zu den ersten Abgeordneten zählten auch Petra Kelly (links, mit Blumen) und Marieluise Beck-Oberdorf (rechts). „Auch wenn wir uns antiautoritär gaben, so hatte doch dieser altehrwürdige Plenarsaal etwas Respekt einflößendes“, sagte Beck-Oberdorf in einem Interview mit tageschau.de. Trotzdem habe es das Gefühl gegeben, man sei keine „normale“ Partei. Quelle: dpa
Grünen-Gründungsmitglied Kelly, hier mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, gehörte zu den Ikonen der grünen Anfangsjahre. Sie prägte zum Beispiel den Ausdruck der „Anti-Parteien-Partei“ und der „Instandbesetzung des Bundestages“. Sie setzte sich besonders für Frieden und Menschenrechte ein. Noch mehr Beachtung als ihr Tun fand ihr Tod. Ihr Lebensgefährte und Mitstreiter Gert Bastian erschoss sie 1992 im Schlaf – und tötete sich selbst ebenfalls. Quelle: dpa

4. Die Grünen erreichen ein schlechteres Ergebnis als 2009

Wir glauben an den Trend. Und der spricht gegen die Grünen. In der letzten Wahlsager-Projektion (9,7 Prozent) liegen sie nur einen Prozentpunkt unter ihrem Wahlergebnis von 2009 (10,7 Prozent). Die Grünen kommen aber von zeitweise stabilen 14 Prozent, anders als die meisten Parteien haben sie in den letzten Wochen vor der Wahl fast ausschließlich negative Schlagzeilen produziert. Vor allem aber ist die Situation diesmal eine völlig andere als 2009: Während vor vier Jahren die meisten Menschen eine große Koalition abwählen wollten, nehmen sie diese 2013 zumindest billigend in Kauf. Da scheint es für Sympathisant des gemäßigt linken Spektrums womöglich sinnvoller, SPD zu wählen.

Für die Grünen spricht zum einen die Widersprüchlichkeit der Umfrageergebnisse, drei Institute sahen zuletzt immerhin noch 11 Prozent Zustimmung. Zudem muss man den Grünen ein immenses Mobilisierungspotenzial unterstellen, 2011 wollten zeitweise über 20 Prozent die Partei wählen. Das wird aus unserer Sicht aber nicht reichen, um den negativen Trend zu drehen.

Wahrscheinlichkeit: 85 Prozent

 

FDP und Piraten

Ihre Themen – Bürgerrechte, Marktwirtschaft, Freiheit – sind aktueller denn je. Dennoch fällt die FDP beim Wähler unten durch. Der Grund: Bei keiner Partei klaffen Wort und Wirklichkeit weiter auseinander.
von Tim Rahmann

5. Die FDP schafft den Wiedereinzug in den Bundestag

Trotz des Debakels in Bayern scheint uns diese Vorhersage inzwischen eine recht zuverlässig  zu sein. Das liegt zum einen an den Umfragen, in denen sich die Partei zwar nie besonders deutlich von der Einzugshürde absetzen kann ­– aber sie eben auch nie unterschreitet. Auch bei den unkonventionellen Prognoseverfahren schafft die Partei diese Hürde stets. Zugleich sind diese Umfragen aber auch ein Punkt, den man gegen die FDP ins Feld führen kann. Vier der großen Institute verheißen der einen knappen Einzug ins Parlament mit  fünf Prozent der Stimmen. Mit anderen Worten: Sie halten es für beinahe genauso wahrscheinlich, dass die Partei den Einzug nicht schafft.

Zudem hat die Partei sich zuletzt ziemlich immun gegenüber Umfragen gezeigt: Mal landete sie deutlich über den Projektionen (Niedersachsen), in anderer Ländern fiel sie dafür deutlich aus dem Landtag heraus. Auch wissen wir nicht, ob die Institute die Partei nur auf Basis der schlechten Schätzerfahrungen (Niedersachsen) nach oben korrigieren. Schließlich war die FDP seit der Gründung der Bundesrepublik noch in jedem Bundestag vertreten. Bei der Forschungsgruppe Wahlen, die der Partei zuletzt sechs Prozent zutraute, gaben die Rohdaten nur fünf Prozent her.

Dennoch glauben wir, dass die Argumente für die FDP stärker wiegen. Wie bereits erwähnt wird die CDU Leihstimmen aller Voraussicht nach nicht komplett verhindern können.

Wahrscheinlichkeit: 69 Prozent

6. Die Piraten scheitern an der Fünfprozenthürde

Diese These lässt sich einfacher als die meisten anderen begründen. Die Piraten hatten seit gut einem Jahr keine Zustimmungswerte mehr über der Fünfprozenthürde, auch ist dieses Mal nicht zu erkennen, dass die Partei wie bei ihren Wahlerfolgen in NRW Wählergruppen jenseits ihres angestammten Milieus ansprechen könnte. Wir haben zudem gezeigt, dass die Wähler inzwischen zum Großteil ein sehr negatives Bild von den Piraten haben. In allen Umfragen liegen sie zurzeit bei höchstens drei Prozent.

Wahrscheinlichkeit: sehr hoch

AfD und Wahlbeteiligung


Die "Euro-Wehr" zieht durch Frankfurt
Rund 1000 Anhänger der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD) haben am Samstag in Frankfurt gegen die deutsche EU-Krisenpolitik demonstriert. Sie zogen vom Römer zum Platz vor der Europäischen Zentralbank (EZB) und hielten Plakate hoch mit Parolen wie „Der Euro spaltet Europa“ oder „Ja zu Europa - Nein zur Schuldenunion“. In Sprechchören riefen sie „Wir sind das Volk“ und forderten eine Volksabstimmung über die Euro-Rettung. An der Kundgebung nahmen auch der AfD-Bundesvorsitzende Bernd Lucke und die hessische Spitzenkandidatin Christiane Gleissner teil. Quelle: dpa
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg singen Anhänger der AfD gemeinsam mit Parteichef Lucke: "Die Rettung ist alternativ". Im Hintergrund stehen alte Feuerwehr- und Katastrophenschutz-LKWs mit dem Schriftzug "Euro-Wehr". Quelle: dpa
Der Bundessprecher der AFD, Bernd Lucke, ist optimistisch, dass seine Partei bei der Bundestagswahl 2013 zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen holen wird. Zumindest in den Regionen, in denen die Partei bekannt ist.„Unser Problem ist der immer noch zu geringe Bekanntheitsgrad“. Der Zuspruch für die AfD aber steige. Quelle: dpa
Eine Kooperation mit der CDU schließt die AfD für sich aber aus: Sollten die Euro-Rebellen am 22. September in den Bundestag einziehen, wollen sie Angela Merkel (CDU) bei der Kanzlerwahl nicht unterstützen. „Wir wählen keine Kanzlerin, zu der wir kein Vertrauen haben. Das haben wir zu Frau Merkel derzeit ganz eindeutig nicht“, sagte der Parteivorsitzende Lucke der „Welt“ (Online). Quelle: dpa
"Wir mündigen Bürger wollen nicht, dass die Politiker das Recht immer weiter verbiegen", sagte Frauke Petry, Sprecherin der Alternative für Deutschland, während ihrer Begrüßungsrede auf dem Römerberg zum Auftakt der Demonstration. Den immer wieder gemachten Vorwurf der Europafeindlichkeit der AfD lehnt die Partei übrigens rund weg ab. Petry sagte, die AfD stehe "für ein starkes und freies Europa der Vaterländer gemäß den Ideen Charles de Gaulles". Quelle: dpa

7. Die AfD scheitert an der Fünfprozenthürde

Eine der umstrittensten Fragen in diesem Wahlkampf ist wohl das Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD). Das liegt vor allem daran, dass die junge Partei noch an keiner Abstimmung teilgenommen hat. Den Instituten (und uns) fehlt daher die Grundlage, um von den geäußerten Zustimmungswerten auf reale Ergebnisse zu schätzen. Für die AfD spricht zum einen ihre hohe Medienpräsenz. Sie haben dadurch in den vergangenen Monaten eine überproportional hohe Aufmerksamkeit erzielt und zudem eine sehr aktive Internetgemeinde. Alle Versuche, davon auf die Stimmung in der Gesamtbevölkerung zu schließen, sind aber bisher gescheitert.

Zudem haben sie ein klares Alleinstellungsmerkmal (Euro-Austritt), dass aber tendenziell an Bedeutung eingebüßt haben sollte. In einzelnen Umfragen ist ein Einzug ins Parlament inzwischen zumindest nicht mehr auszuschließen.

Aus unserer Sicht spricht dennoch mehr dafür, dass es nicht reichen wird. Dafür spricht zum einen die Mehrzahl der Wahlumfragen, auch die Expertenbefragungen und viele Prognosemärkte sehen die Partei allesamt außerhalb des Parlaments. Zudem zeigen sich die Wähler bei  Bundestagswahlen (wo es um viel geht) tendenziell weniger offen für neue Parteien als bei anderen Wahlen. Wir können uns bei der AfD aufgrund der besonders großen Unsicherheit nicht in dem Maße festlegen wie bei anderen Thesen, gehen aber davon aus, dass es am Ende nicht reichen wird.

Wahrscheinlichkeit: mittel

AfD-Sprecher Bernd Lucke möchte die Währungsunion auflösen und die Krisenstaaten in die Insolvenz schicken. An der europäischen Integration aber wolle er festhalten. „Alles, was in Europa sinnvoll ist, bleibt.“
von Tim Rahmann, Konrad Handschuch, Roland Tichy

8. Die Wahlbeteiligung liegt über 70 Prozent

Die meisten Beobachter sind skeptisch, was die Wahlbeteiligung betrifft. Bei den letzten Wahlen sank sie jeweils ab, manche sehen  das Land auf einer Rutschbahn zu einer Gesellschaft der politischen Ignoranten. Wir sind da nicht so skeptisch. Über längere Zeiträume betrachtet hat die Wahlbeteiligung sich nicht linear, sondern eher zyklisch verhalten. Oft ging es runter, aber manchmal (1998) auch wieder rauf. Das wird gerne auf die Polarisierung des jeweiligen Wahlkampfes zurückgeführt, doch die ist schwer zu messen. Wenn man den Medienschlagzeilen folgt, dann hat der Wahlkampf zuletzt etwas an Fahrt aufgenommen. Aber was heißt das schon? Aus unserer Sicht zumindest, dass die Polarisierung 2009 so gering war, dass ein weiterer Abfall vermieden werden könnte. Zudem wird ein recht knapper Wahlausgang erwartet, auch das könnte die Menschen an die Urne treiben. Vielleicht ist auch die Bayernwahl, bei der es einen deutlichen Anstieg gab, als Signal dafür zu deuten, dass das politische Interesse 2013 größer ist als in den Jahren zuvor.

Das vorläufige amtliche Endergebnis – hier sehen Sie, wie die politische Stimmung im Land ist.

Das sind alles keine starken Argumente und es gibt bisher auch keine wissenschaftlichen Versuche, die Wahlbeteiligung vorherzusagen. Aber in der Summe sehen wir doch genügend Anhaltspunkte, um davon auszugehen, dass die Wahlbeteiligung nicht deutlich unter den Wert von 2009 (70,8 Prozent) sinkt.

Wahrscheinlichkeit: hoch

Zahl der Abgeordneten und die Wahrscheinlichkeit, dass der Wahlsager richtig lag

Der Wahlrechtexperte Joachim Behnke von der Zeppelin University Friedrichshafen erklärt, was Wähler am Sonntag aufgrund des neuen Wahlrechts unbedingt beachten sollten.
von Max Haerder

9. Im nächsten Bundestag werden weniger als 650 Abgeordnete sitzen

Auch das ist eine These gegen den publizistischen Trend. Viele haben argumentiert, dass der Bundestag deutlich größer wird, weil die Überhangmandate 2013 erstmals komplett ausgeglichen werden. Würde genauso gewählt wie 2009, würde der Bundestag auch tatsächlich auf gut 670 Sitze anwachsen. Wir haben aber in einer Kolumne aktuelle Prognosen auf die Sitzzahl umgerechnet und kommen zu dem Ergebnis, dass es aller Voraussicht nach nicht zu einem solchen Wachstum kommen sollte. Der entscheidende Faktor sind dabei CDU und vor allem die CSU. Die beiden Parteien holten in der Vergangenheit die meisten Überhangmandate.

WiWo-Wahlsager: So wird Deutschland wählen

Nach dem neuen Wahlrecht werden jetzt alle Fraktionen proportional in dem Maße vergrößert, in dem die Partei mit der größten Quote an Überhangmandaten ihren Sitzanteil nach Zweitstimmen übertrifft. Sollte also die CSU sehr wenige Zweistimmen holen (z.B. 35 Prozent in Bayern), könnte der Bundestag extrem groß werden. Abgeschwächt gilt das auch für die CDU. Dafür müsste das CDU/CSU-Ergebnis aber wohl zumindest in den Bereich von 35-36 Prozent fallen, was momentan recht unwahrscheinlich ist.

Wahrscheinlichkeit: hoch

10. Nicht alle unsere Thesen werden stimmen  

Zum Abschluss noch ein bisschen Wahrscheinlichkeitsrechnung.  Auch wenn wir davon ausgehen, dass es für alle einzelnen Thesen eine gute Chance besteht, dass sie eintreten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass sie allesamt stimmen. Ein Beispiel: Wenn die Wahrscheinlichkeit für eine These bei 70 Prozent liegt und für eine zweite bei 50 Prozent, dann liegt die Chance, dass beide eintreten, nur bei (0,7*0,5=0,35) 35 Prozent. Für unsere insgesamt neun Thesen heißt das: Selbst wenn jede Wahrscheinlichkeit bei 80 Prozent läge, haben wir nur eine Chance von 13,4 Prozent, dass alle Thesen eintreten.

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