Wahlsager

Wie glaubhaft sind Internet-Prognosen?

Jan Eric Blumenstiel Politikwissenschaftler, Soziologe, Verwaltungswissenschaftler

Das Social-Media-Tool der WirtschaftsWoche ist eines von vielen neuen Instrumenten zur Wahlprognose. Deren Vorhersagen unterscheiden sich erheblich von der klassischen Umfrage. Doch wie glaubhaft sind sie?

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Für Wahlkämpfe gilt im Kern das gleiche wie für alle anderen Trends: Was gestern in den USA erfunden wurde, ist morgen in Deutschland der letzte Schrei. 1998 waren die ersten großen Wahlkampfshows der neue Trend, 2002 das Kanzlerduell im Fernsehen. In diesem Jahr könnten es neue Prognoseverfahren sein. In den USA haben die bereits 2012 überragende Ergebnisse geliefert und die klassischen Meinungsforscher in den Schatten gestellt.

Mal wird dabei auf Wahlausgänge gewettet, mal werden Wahlkreise analysiert oder Online-Kommentare gezählt. Gerade über die stetig wachsende Öffentlichkeit im Internet sind in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Informationskanälen zugänglich geworden, die über Stimmungen der Wähler Auskunft geben können.

Dabei lassen sich grundsätzlich drei Herangehensweisen unterscheiden. Zum einen  werden Wahlabsichten untersucht, dann handelt es sich um Erweiterungen der klassischen umfragebasierten Methoden. Dazu gehört auch die Master-Projektion der Wiwo-Wahlsager. Andere Modelle basieren auf quantitativen Modellen, Schätzungen sind hier mehr oder weniger unabhängig von Stimmungsschwankungen während des Wahlkampfs.

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Schließlich können Prognosemärkte kreiert werden, die auf das Expertenwissen der Marktteilnehmer setzen. Ein Vergleich der Stärken und Schwächen soll zeigen, was diese Tools wirklich leisten.

Ein bereits etabliertes quantitatives Verfahren ist das Schätzmodell der beiden Wissenschaftler Thomas Gschwend und Helmut Norpoth. Sie beziehen drei Variablen in ihre Schätzung mit ein: die aktuellen Kanzlerpräferenzen, langfristige Wahlergebnisse und die Abnutzungstendenz einer Regierung. In die exakte Definition der Formel und die Gewichtung der Variablen fließen dabei alle Wahlergebnisse seit 1953 ein. Die empirische Datenbasis ist also relativ breit.

Aktuell sagt das Modell einen ungefährdeten Sieg (99 Prozent Wahrscheinlichkeit)der schwarz-gelben Koalition voraus. Bei den vergangenen Wahlen haben die beiden Forscher mal exakt das Ergebnis getroffen, lagen jedoch auch mal kräftig daneben. Sie mussten ihr Modell dann nach der Wahl anpassen, um das Ergebnis zu erklären. Man kann hoffen, dass die Formel mit jeder Wahl besser wird und solche Fehler seltener auftreten.

Ein echter Mangel ist jedoch, dass die Formel nur Koalitionsergebnisse vorhersagt, einzelne Parteiergebnisse werden nicht berechnet. Zum Ringen der FDP um den Einzug ins Parlament geben sie beispielsweise keine Informationen.

Ähnlich funktioniert das Political-Economy-Modell der französischen Wahlforscher Jérôme et al. Neben der Kanzlerpräferenz und den Wahlergebnissen beziehen sie dabei situative Faktoren, also zum Beispiel Koalitionsfragen mit ein.

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